Mist, Handtuch vergessen!
Ich habe heute extra früher Dienstschluss gemacht, um ja pünktlich zu sein. Nun sitze ich in der U-Bahn und bin auf dem Weg zu ihm. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Ich denke so vor einem Jahr, damals schien auch die Sonne und wärmte uns. Ich komme einfach nicht los von ihm, schon gar nicht nach der langen Zeit, die wir uns nun kennen. Er wirkt wie eine Sucht auf mich, der ich einfach nicht entfliehen kann.Die Bahn ruckelt und schuckelt, werde hin- und hergeschüttelt ….. die Gleise müssten erneuert werden; oder vielleicht lieber doch nicht, das mit dem Schienenersatzverkehr ist immer ätzend, da sich die Fahrzeit verlängert. Ich bin heute irgendwie nicht richtig anwesend; die Süße neben mir interessiert mich überhaupt nicht. Wenn ich nicht den Termin mit ihm hätte, wäre jetzt anflirten angesagt, aber heute ist alles anders.
Meine Gedanken drehen sich nur um ihn und unser gemeinsames Vorhaben. Es ist alles so vertraut, doch immer wieder anders und neu. Wie wird es werden? Schaffen wir es heute? Ich bin so aufgeregt.
Wird der Raum noch so sein wie beim letzten Mal? Hat er ihn vielleicht umgestaltet? An eine neue Umgebung müsste ich mich erst gewöhnen, nach all den Jahren. Das erste Mal haben wir uns bei ihm zu Hause getroffen, beim ihm im Wohnzimmer, auf der Couch. Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. Plötzlich diese laute Stimme neben mir. Mein Gott, wozu hat er das Handy in der Hand? So laut wie der erzählt, müsste man ihn in Timbuktu hören.
Wir werden heute nicht viel Federlesen machen, sonst wird es wieder so spät. Er wird sicherlich schon Alles vorbereitet haben, so dass wir sofort beginnen können. Ich habe meine Kleidung entsprechend ausgewählt: das Trägerkleidchen über die Schultern gestreift, runtergleiten lassen und das Höschen ist auch schnell ausgezogen.
So ein Mist, jetzt habe ich das Handtuch vergessen, was ich auf die Liege legen wollte, da muss ich mich nun auf mein Kleidchen legen. Wie durch Watte vernehme ich: „ …. damm, Übergang zur U6“ …. Mehringdamm …. da war doch ….. ach ja, ich muss raus und umsteigen. Das hätte ich jetzt fast verpasst.
Er wird den Vorhang zuziehen, damit uns niemand zuschauen kann. Werde mich seitlich auf die Liege legen. Hmmm, welche Seite er wohl zuerst ran nehmen wird? Er weiß sicher, was er will und es mir sagen. Dann dieses schnäppsende Geräusch: er zieht die Latexhandschuhe an. Dieser Geruch nach Gummi ….. steigt mir nicht in die Nase, es riecht nach Döner! Warum können die den nicht vor Ort essen? Jetzt stinkt es im ganzen Waggon.
Er wird mich so verbiegen, wie er es braucht. Ich werde mich seinen Wünschen fügen, auch wenn es nicht sehr bequem sein wird. Darauf folgt der Schreck, kalt wird es, wenn er das Spray und danach die Vaseline auf meine Haut aufträgt. Im nächsten Schritt drückt er die Papierschablone auf die Haut. Jetzt nochmal tief durchatmen, nur ….
„Bsst, bsst, bsst“, kann seine Hand auf mir spüren, wie sie meine Haut leicht strafft. „Rums“ …. danke, für den Rucksack in meinem Gesicht, hat mich fast die Brille gekostet. Das sind die quadratisch praktisch Guten, benötigen immer zwei Sitzplätze und haben ihr Handgepäck nicht unter Kontrolle. Die erste Linie wird heftig, daran gewöhne ich mich schnell wieder. Erst kurz, dann werden sie länger, verbleiben an einer Stelle. Im Hintergrund anhaltend mit Pausen „Bsst, bsst, bsst“. Direkt über dem Knochen, ich werde die Zähne zusammen beißen und keinen Mucks von mir geben.
Wie lange es wohl diesmal dauern wird? Ich hab keine Ahnung? Hmmm, zwei Raucherpausen werden wir bestimmt einlegen, dass stehen wir beide sonst nicht durch. „.... Endstation ….... Plesae leave the train here“ Gleich ist es soweit, den Bahnhof verlassen und zwei Straßen entlang.
Zum Ende wird es unangenehm und schmerzhaft sein. Und erst die Tage hinterher! Vor allem beim Duschen oder wenn ich mich im Schlaf auf die Seite lege. Aber ich will es so, kann nicht anders. Ich will diesem inneren Trieb nachgeben. Ich liebe diesen Schmerz.
Bei dem Gedanken, was zurückbleiben wird, wenn die Wunden abgeheilt sind, zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich sehe ihn schon, er wartet bereits auf mich. Steht vor der Tür um mich in Empfang zu nehmen. Vor der Tür seines Tattoo-Studios.
© majberlin im August 2012
inspiriert durch: Gedichte und Lyrik: beim Stecher
( for the my friend )