Wahr, Liebe
Für Hal (1965 – 1988), für Albert (1961 – 1996) aber besonders für Jim (Happy Birthday!), und auf keinen Fall für Fred!Okay, ich arbeite in diesem beknackten Kaufhaus mit dieser nervtötenden blinkblink Musik und sage immer „ja“, wenn meine Eltern sagen, und für das hast du Kunstgeschichte studiert? Okay, ich vergraule alle meine Freundinnen mit meinen hysterischen Lachanfällen, wenn sie mit ihren 3x2 Jahresplänen kommen. Volontariat, Kuration, schwanger – da laufen einem doch die Tränen runter, oder nicht? Und okay, okay, okay, ich hab auch die Tendenz immer auf die falschen Kerle hereinzufallen - aber dieses Mal hab ich echt den Vogel abgeschossen.
Ich bin unsterblich in Albert verliebt. Und um die ganze Sache abzukürzen, um die Katze gleich aus dem Sack zu lassen: Albert liebt Fred.
Wochenlang hab ich jetzt gedacht, das geht vorbei. Früher oder später geht das vorbei, jedes Selbsthilfebuch sagt dir das, der Glückskeks beim Asiaten sagt dir das, die Handleserin, jeder Depp sagt dir das, früher oder später ist man da durch. Tja, bei mir ist es später, das steht schon mal fest.
Albert hat alles, und ich meine wirklich alles, und wir reden nicht vom Traummann, er ist alles und hat alles von dem ich nie im Leben geglaubt habe, dass ich mich hier überhaupt verknalle.
Es geht schon damit los, dass er wirklich was auf dem Kasten hat, und das ist echt was Neues zu all diesen Pfeifen die vor ihm waren. Dann ist er „blond“, und auch noch „Garnier-blond“, weil „Garnier-blond“ ist viel besser als „Schwarzkopf-blond“, wie er mir vor kurzem gestanden hat. Er hat eine kleine Nase und ein rundes Gesicht, fast ein Babygesicht. Er ist nicht mal groß und dann ist er auch noch dünner wie ich! Es müssen seine Augen gewesen sein. Kein Himmel, kein Meer, nichts kommt dieser unglaublich blauen Farbe nahe, nichts außer diesem Bucheinband, den ich schon seit der ersten Klasse habe und den ich durch die ganze Welt und immer mit mir herumschleppe.
Seine Augen – ich kann eigentlich nur reinstarren, ich gebe ihnen einfach meine ganze Aufmerksamkeit – seine Augen sind alles für mich.
Und sein positives, saufreundliches Wesen! Er mag doch tatsächlich was er tut! Er liebt jede Minute seines Lebens, das ist doch nicht normal! Aber er lacht mich an, seine Augen lachen mich an, und alles was meine Gehirnzellen singen können ist „jaaaa jaaaa jaaaa“.
Wir arbeiten zusammen und seitdem sind meine Verkäufe signifikant nach oben gegangen. Ich persönlich finde diese Einstellung „Und was kann ich Ihnen heute verkaufen?“ „Mit was kann ich Ihnen behilflich sein?“ „Eine andere Farbe, ist doch überhaupt kein Problem!“ absolut zum Kotzen. Ich dachte immer, hier zu arbeiten, ist das gleiche wie gegen böse Feinde zu kämpfen und mein Tag war vollkommen im Eimer, wenn sie dann nach mehr als einem Gegenstand gefragt haben. Und jetzt? Er steht neben mir, er steht nur neben mir, und ich lächle, und ich lächle noch mehr, und ich frage sogar „Darf es noch etwas sein?“.
Ist das wahre Liebe?
Wahr ist, Liebe tut weh, das ist das Einzige was ich sicher weiß. Ich lass mir lieber die Weisheitszähne noch dreimal herausnehmen, immer wieder herausnehmen, lieber das, als ihm im Pausenraum gegenüber zu sitzen, in seine blauen Augen zu schauen, und mir die „Fred-Stories“ anzuhören. Was Fred gesagt hat, was er gemeint hat, was Fred mag, was er nicht mag. Lieber die Weisheitszähne, echt.
Ist nicht das der Kern worum es bei wahrer Liebe geht? Liebe im Sinn von geben und unterstützen und füreinander da sein? Okay, aber was ist mit anlehnen und reinnehmen und dranlehnen?
Deshalb sag ich auch ja, als mich Vic um ein Date bittet. Ich sag ja! Ich muss einfach ein Date haben. Ich muss!
Wenn du jetzt von einem Typen die ganze Nacht geküsst wirst und ihn die ganze Nacht zurückküsst, ihn wie der Teufel zurückküsst, und wenn du deine Augen ganz ganz fest schließt, kannst du dann so tun als ob? Kannst du so tun, als ob es jemand anders wäre?
Du kannst, aber es funktioniert nicht richtig. Vics Zunge ist zu dick, seine Witze sind zu laut. Aber es fühlt sich gut an in irgendwelchen Armen zu liegen. Zumindest irgendwer will mich. Dieser irgendwer hat seine Arme überall und trinkt einen nach dem anderen. Aber er macht mir auch Spaß und ich will Spaß und so trinke und küsse ich mich mit ihm bis fünf Uhr früh.
Auf dem Weg zur Arbeit schau ich Scheiße aus. Meine Augen brennen, meine Haare sind nicht zu bändigen, kräuseln sich, und pfundweise Löschblätter, so ist der Geschmack in meinem Mund. Ich steige in den Bus und da ist Albert und mein Herz wird ganz weich und verschmust und fürchtet sich, oh Gott, Albert, bloß jetzt nicht, bitte demateralisiert mich, jetzt und auf der Stelle!
Isabella, ruft er, schau dich nur an! Und er ist ganz aufgeregt und hüpft und freut sich und ich kann ihn nur anstarren mit meinen brennenden Augen. Isabella, sagt er, schau dich nur an, du hattest Sex!
Nein, bestimmt nicht, bestimmt nicht, sag ich.
Du hattest Sex, lacht er, und als ultimativen Beweis spielt er an meinem Halstuch. Er zupft daran und legt meinen Hals frei und schaut voller Bewunderung auf diese großen blauen Flecke, von denen ich weiß, dass sie da sind, fast so wie ausgelaufener Ball Pentel auf weißem Papier. Du musst wirklich müde sein, meint er, komm lehn dich an mich.
Und da, in dem stinkenden Bus, auf dem Weg zur Arbeit in die Innenstadt, liegt mein Kopf auf seiner Brust und er lächelt mich an, und er streichelt über meinen Kopf, weil ich mir den Verstand rausgevögelt hab.
Ist das wahr? Ist das Liebe? Ist es das?
Darüber denke ich immer noch nach, am Abend, auf meinem Nachhauseweg, alleine und müde bis auf die Knochen.
Als ich aus dem Bus steige, beginnt es zu regnen, was sage ich regnen, schütten. Besteht wahre Liebe nur zwischen einem Mann und einer Frau? Okay, ich kann mir nicht vorstellen einen Fisch zu lieben, oder eine Treppe, aber ich kann schon einen Fummel lieben, oder einen Hund, oder eine Einstellung. Aber kann man einen Mann lieben der kein Mann ist? Kein Mann für mich?
Ich werde so schnell so nass es ist unglaublich. Die Läden auf meinem Nachhauseweg sind schon alle geschlossen, aber der 1 EuroLaden hat einen Regenschirmständer davor vergessen. Ohne nachzudenken, schnappe ich mir einen.
Es ist einer dieser monströsen Regenschirme für zwei, einer dieser Liebesdinger, und es ist wirklich schwer ihn zu halten, bei diesem ganzen Regen und Wind. Aber ich mache es. Ich halte mich an ihm fest, obwohl ich eigentlich schon nicht mehr nässer werden kann. Ich halte mich fest und mir ist kalt und ich bin müde und heute war ich in seinen Armen und mein Kopf war an seiner Brust und er lachte mich an und er bewunderte mich.
Und er hat es mir auch gesagt.