Überregend
Ungefähr zu der Zeit, als ich die Uni besuchte, war ich bereits ziemlich sicher, zu wissen, was mich an Männern interessierte, was sie interessant für mich machte, worauf ich „stand“. Ich konnte einige Qualitäten aufzählen, die man auf den ersten Blick nur schwer einschätzen kann, die aber beim Kennenlernen das Gefühl erzeugen, dieser Mann könnte mir gefährlich werden.
Äußerlich mag ich Männer, wie ich meinen Kaffee trinke – heiß und angenehm wärmend, ein bisschen süß, eher hell (ich nehme ihn oft mit zu viel Milch zu mir) und gerade so stark, dass er magenfreundlich bleibt, ich aber seine Wirkung deutlich und langanhaltend spüren kann…
Das `stark´ muss man ihm nicht unbedingt an viel Muskeln ansehen können. Breitere Schultern als meine sind aber ein Muss und größer muss er auch sein. Die Stärke, die ich meine, zeigt sich z.B. darin, dass er sich beschützend vor mich stellt, wenn jemand in meiner Nähe aggresiv wird, oder er mir seine Hand reicht, wenn ich auf unwegsamem Boden gehe.
Außerdem sollte er ähnliche Filme und Musik mögen wie ich, eine eher nüchterne und philosophische Einstellung zur Welt haben, witzige Bemerkungen machen und meine würdigen können. Und wie ich eher zu viel denken und hinterfragen als zu wenig.
In diesem Alter meinte ich die Grundlagen dafür durchschaut zu haben, was einen Mann für mich attraktiv macht. Die oberflächlichen Dinge, die einem schnell auffallen. Ich wusste rasch zusagen, ob mir ein Typ, den ich abends in der Kneipe traf, gefiel oder nicht – nach einem Blick und zwei Sätzen. Es kann sein, dass ich sogar laut sagte: „Auf dem Gebiet weiß ich, was mir gefällt, keine Überraschung mehr drin.“
Dann änderte sich etwas. Man kennt diese Situation aus Filmen – ich sah kürzlich noch diese Szene:
der Mann versuchte eine Frau beim ersten Date zu beeindrucken, sprang auf ein paar Felsen am Strand herum, verletzte sich, sie wusch ihm die Wunde, riss ein Stück von seinem T-Shirt ab, um ihm daraus einen Verband zu basteln, legte diesen stramm an der verletzten Hand an und als er winselte, schalt sie ihn Schwächling.
Man sah, wie ihn das umhaute. Er war überrascht und auch erregt – sie hatte plötzlich sein Interesse geweckt mit diesem überlegten Handeln und es gefiel ihm. Sogar, dass sie ihn anherrschte. Man konnte sehen, wie es in seinem Kopf ratterte „Wow, das ist gut. He, Moment, das macht mich an? Wieso? Aber es ist gut!“
Es gibt kein gutes Wort für diese plötzliche Attraktion, die einem zeigt, dass völlig überraschende Dinge auf einmal interessant und aufregend sein können. Der Moment, in dem man eine Vorliebe entdeckt, die man vorher gar nicht hatte – oder immer hatte, sie einem aber nicht bewusst war.
Überregend vielleicht – überraschend und erregend zugleich. Müsste mal jemand erfinden.
Bei mir war es ein Momemnt in der Kennenlernphase mit einem Mann, den ich schätzte, aber noch nicht gut genug kannte, um ihn anziehend zu finden. Vom Äußeren her nicht aufsehenerregend und nicht `mein Typ` in mehr als einer Hinsicht. Er war interessant und ich unterhielt mich angeregt mit ihm, aber sein Denken war zu oft auf einer anderen Ebene als meins. Ich liebe es zwar, wenn jemand Intelligenz zeigt und ich etwas lernen kann, aber die Gefahr von Missverständnissen ist groß und immer unterlegen sein will man schließlich auch nicht.
Mitten in einer Diskussion, in der ich mich wacker zu schlagen meinte – worüber es eigentlich ging, weiß ich schon nicht mehr, aber ich benahm mich wie oft etwas offensiv, wollte, dass er mir gut zuhört, meine Argumente verstand und gelten ließ – sagte er auf einmal „Halt.“ Und fragte mich, ob ich nicht lieber aufhören und meinen Kopf an seine Schulter legen wolle. Ich käme ihm viel zu aufgeregt und viel zu bedacht darauf vor, immer die starke, selbstbewusste und selbstständige Frau sein zu müssen. Das wäre doch nicht nötig, es könne doch auch schön sein, mal schwach zu sein. Ich dürfe mich gern bei ihm ausheulen oder einfach zur Ruhe kommen.
Ich war verwirrt, dachte, dass ich jetzt beleidigt sein sollte, weil er mich nicht ernst nahm. Doch das Gegenteil war der Fall – ich hätte heulen können in dem Moment, denn er hatte mich durchschaut, eindeutig. Und ich nahm ihm nicht übel, mich gestoppt zu haben und nicht weiter diskutieren zu wollen.
Ich fühlte mich verstanden und mehr akzeptiert, als wenn ich mich in der Diskussion durchgesetzt hätte. Ich wollte in den Arm genommen werden und in diesem Moment sollte er es sein, an den ich lehnen, der mich stützen würde. Es war ihm nicht entgangen, wie ich um Anerkennung kämpfte, dass ich oft meine `Frau` stehe und er wusste gut, dass ich eigenständig bin.
Und doch wollte er für mich da sein, wenn es mir zu viel würde. Das verstand ich aus dieser Bemerkung und dem Angebot. Und ich fühlte, dass er es ernst meinte.
Daraufhin haben wir uns geküsst und ich fühlte mich so zu ihm hingezogen wie zu kaum einem Mann vor ihm. Auf körperlicher und geistiger Ebene. Und es hält bis jetzt an.
Überregend ist nur ein schwacher Versuch, dass in ein Wort zu packen. Aber die Szene, in der der Mann im Film urplötzlich diese Frau ansieht und denkt `die will ich haben`, war genau so ein Moment, wie ich ihn damals erlebte.
Ich wusste auf einmal, dass es auch das ist, was ich in einem Mann suche, der zu mir passen soll. Dass ich schwach sein darf, aber respektiert werde.
Er darf auch Dummerchen zu mir sagen, wenn ich weiß, dass es als Scherz gemeint ist. Er darf mich auf meine Fehler aufmerksam machen. Weil das Grundbedürfnis, akzeptiert zu werden, schon erfüllt ist. Respekt, Verständnis und liebevolles Eingehen auf den anderen. Diese eine Bemerkung hat mir so viel gezeigt und mir die Augen geöffnet. Ich wusste vorher nicht, dass ich das brauche – aber seitdem weiß ich, dass es immer so war, natürlich, schon immer. Und dass es das war, was mir bei anderen fehlte, so heiß und interessant sie auch waren.