Scheiberling
Seit Tagen saß er nun zur Nachmittagszeit vor Tastatur und Bildschirm und starrte auf die leere Fläche. Gut - immer wieder las er die Szenen, die er schon zu Papier gebracht hatte. Hoffte dabei an den Fluss anzuknüpfen, der ihm Anfangs ganz ohne Zutun durch die Fingerspitzen geflossen war. Doch Nichts geschah.
Irgendwie musste diese Quelle doch wieder zum Fliessen gebracht werden. Früher waren es Zweifel an seinen Fähigkeiten gewesen, die den Fluss ins Stocken brachten. Doch der innere Zwang seiner schier unerschöpflichen Phantasie neuen Platz zu schaffen, hatte nach kürzester Zeit diese Hindernis entweder überflutet, weggeschwemmt oder sich einfach ein neues Bett drumherum gegraben. Nein, Zweifel waren es nicht mehr. Sie waren mittlerweile so oft konfrontiert worden, dass sie Reißaus nahmen, sobald er den Blick auf sie richtete. Es war in etwa wie bei den überlebten Eifersuchtsgefühlen seines Protagonisten im ersten Abschnitt.
Allerdings schien dieser aus den unerfreulichen Aspekten seiner Vergangenheit sogar neue Energie zu schöpfen.
Darauf liessen die Vögel mit Schmetterlingsflügeln schliessen.
Nur eine Spur dieses Elans und er käme mit dem Tippen nicht mehr hinterher.
Der zweite Abschnitt hatte sogar noch mehr Energie. Die allerdings, die dann zur Verfügung steht, wenn aus Gefahr Bedrohung wird. Aus Spass tödlicher Ernst. Dieses Gefühl prallen Lebens im Angesicht des fast Unausweichlichen kannte er. Doch so Etwas zu inszenieren, um kreativ werden zu können, war als ob man einen Krieg anzettelte, um inmitten Maschinengewehrsalven seine Tanzbeine zu trainieren.
Auch das hatte er in gemässigter Form schon sein ganzes Leben praktiziert. Dazu hatte er zum Glück wirklich keinen Drang mehr.
Die Unverfrorenheit eines Dragan? Nein, auch die, nebst der Dummdreistigkeit, mit der sie sich meist zu paaren pflegt, war nicht als Schreibelixier zu nutzen.
Blieb nur noch der vergrabene Spürsinn des fast stillgelegten Kommissars. Auch der glaubte nicht mehr daran, dass noch etwas Spannendes passieren könnte in seinem Job. Der war schon nahe daran, sein Leben in aufregenden Phantasien zu begraben. Doch dann passierte das Unglaubliche.
Etwas wirklich Böses schlich sich in sein Leben und Supermann konnte aufatmen. Das Leben bekam wieder Sinnfür ihn.
Der Schreiber schüttelte den Kopf. Genau das war es. Genau so verlief sein Leben. Die Jagd nach Attraktionen, nach dem Bösen aber ungemein Belebenden beim Anderen. Beim bösen Stellvertreter, der zwar das pralle Leben, aber auch die volle Schuld hatte. Scheiß Spiel!
Alle Varianten, die ihm bisher eingefallen waren, kamen ihm in diesem Licht platt vor. Berechenbar und banal, wie die Action-, Krimi- und Agentenscheisse, die er sich das letzte halbe Jahr viel zu oft zugemutet hatte. Die und die Halbherzigkeit seines bisherigen Lebens zusammen verstopften alle Quellen so wirksam mit ihren hinterlistigen, einschläfernden Versprechen, dass jedes Wasser mit der Zeit trüb und faul werden musste.
Daher wehte der Wind im ersten Abschnitt. Er hatte sich selbst auf den Kran gestellt und der Dummheit erlaubt ihn zu fesseln. Er war sich zu dem Zeitpunkt sogar noch schlau vorgekommen. Wohl weil er sich so selbst auszutricksen dachte. Das hatte er geschafft. Deshalb hing er nun in den selbstgesponnenen Seilen. Prima!
Was nun? Die Eso- oder die SciFi- Schiene, auf die er so oft schon gewechselt war, wenn ein Gleis ins Nirgendwo zu führen schien, verbot sich nun auch. Alles abgelutscht und fade.
Musste er wirklich wie der frustrierte Kommissar warten, bis etwas Neues daherkam und ihm Leben einhauchte? Musste er selbst böse werden, um wieder Spannung auf den Bildschirm und in sein Leben zu zwingen? Oder war es nur die Feigheit, die die Kraft auf die Seite des Bösen zwang? Das Böse gar erfand, um der Schuld zu entgehen? Verantwortung zu vermeiden? Wo würde seine Geschichte hinführen, wenn er .....
In diesem Moment riss ihn das Klingeln des Telefons aus seinen Gedanken.