Das glückliche Häufchen Elend
Christie hatte doch tatsächlich ernsthaft erwogen, ihr Date abzusagen. Jetzt war sie so froh, dass nicht getan zu haben. Was sie nicht alles verpasst hätte! Diese Gelegenheit zu verpassen, nur wegen einer kleinen Erkältung, wäre doch reinste Sünde gewesen. Gut, an dem Abend nannte sie es nicht „kleine Erkältung“. Den ganzen Tag über hatte sich ihr Zustand nur weiter verschlimmert. Von ein bisschen Husten und schweren Gliedern am Morgen über eine unaufhörlich laufende Nase, die sie sich mit Bergen von Taschentüchern immer wieder putzen musste, bis ihre Nasenflügel purpurn schillerten, bis hin zu diesem schrecklich intensiven Niesen. Sie nannte es ausgewachsene Scheißgrippe.
Ausgerechnet an dem Samstag, an dem sie Gary das erste Mal treffen sollte, fühlte sie sich wie eine wandelnde Virenkutsche. Sie rief ihn an, erklärte ihren Zustand, als auch das Kräuterbad, die Unmengen Tee und Aspirin keine Besserung gebracht hatten, um ihre Verabredung zu verschieben.
Er war einerseits sehr verständnisvoll und mitfühlend, andererseits jedoch bereits in ihrer Stadt. Sie hatte nicht großartig darüber nachgedacht, dass er sich ein Hotelzimmer nehmen würde, da er zu weit weg wohnte, um am selben Abend noch nach Hause zu fahren und er in dem netten Restaurant, in dem sie sich treffen wollten, auch den Wein genießen wollte. Er war ganz in ihrer Nähe, hatte sich bereits in Unkosten gestürzt und sein Wochenende so gestaltet, dass er sie treffen könnte – auch am Sonntag nochmal – dass es dumm gewesen wär, einfach abzusagen.
„Die Viren können mir wenig anhaben, glaub` mir. Ich werde selten krank. Außerdem würde ich dich viel lieber auf andere Gedanken bringen und unterhalten, als mit dem Wissen, du sitzt krank und allein zuhause, hier mutterseelenallein im Hotel essen zu müssen.“, hatte er gesagt. Sie hatte also zugestimmt.
Sie machte sich zurecht, doch das beste Make-Up konnte die rote Nase und leicht fiebrigen Augen nicht vertuschen. Er war ja gewarnt – er war vernünftig genug, zu wissen, dass sie nicht immer so aus sah. Aber blöd war es schon, dass er sie nun so kennenlernen musste. Dabei hatte sie sich schon so lange darauf gefreut.
Das wurde ihr an diesem Abend bewusst – wie lange sie bereits kein Date mehr gehabt hatte, aber auch wie neugierig sie auf diesen Mann war. Sie hatten sich im Internet kennen gelernt, viele Mails ausgetauscht und wochenlang gechattet und noch immer war er mysteriös und noch immer machte er einen guten Eindruck auf sie. Es gefiel ihr, dass sie über alles Mögliche und Unmögliche reden konnten, dass sie in so vielen Dingen die gleichen Ansichten vertraten, dass er den gleichen Geschmack wie sie in Büchern, Filmen und Musik hatte.
Es fühlte sich auf eine seltsame Art so vertraut an, wie sie miteinander umgingen, ohne sich jemals gesehen zu haben. Und es war spannend, ihn sich vorzustellen, sich sein Lächeln vorzustellen, wenn sie Witze austauschten, seine blitzenden Augen, wenn er sie neckte, sein ernsthaftes Gesicht, wenn sie diskutierten, und seinen Körper, wenn sie von romantischen Dingen redeten.
Sie waren sich näher gekommen, nur durch Worte, und verhehlten nicht ihr gegenseitiges Interesse. Sex war zur Sprache gekommen, Vorlieben, Erfahrungen, doch mit ihrer angeborenen Reserviertheit hatte sie immer nur verhalten reagiert, wenn er am Ende einer Mail schrieb „Ich drücke und küsse dich“. Das angenehme Gefühl im Bauch, das sie bekam, wenn sie seine Worte las, wurde langsam mehr als freundschaftlich. Wenn sie telefoniert hatten und seine angenehm sonore Stimme noch in ihr nachklang, hatte sie in letzter Zeit öfter allein für sich weitergeträumt. Davon, wie sie reagieren würde, wenn er leibhaftig vor ihr säße, wenn er ihr Komplimente machte oder interessierte Fragen stellte. Wie sie ihn wieder küssen würde und seine Zärtlichkeiten genießen würde, hingebungsvoll, sanft, und glücklich, wenn sie auch ihn glücklich machen könnte.
Diesen Mann zu treffen war ein Traum – der leicht zu einem Alptraum werden könnte. Und statt in Topform zu sein, vorbereitet auf jede erdenkliche Art durch den Willen, ihm zu gefallen, war sie plötzlich schlapp geworden, war ihr Widerstand gebrochen und schniefte sie wie ein Walroß. Was wollte ihr Körper ihr nur damit sagen? Sie wollte ihm gefallen, sie wollte ihn nicht enttäuschen, sie wollte ihm ebenbürtig sein, nicht nur auf intellektuellem Niveau. Und das war eine Herausforderung, wenn man sich sein Foto ansah. Er war so gutaussehend, dass Christie, wenn es ihr schlecht ging, leicht denken konnte, sie hätte einen solchen Mann nicht verdient.
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Gary war nicht er selbst gewesen in den letzten Tagen. Normalerweise konnte nichts ihn nervös machen. Er hatte seine Launen im Griff und war nicht leicht zu erschüttern. Die Depression, in der er nach der Trennung von Michelle gefallen war, hatte er so gut wie überwunden, er wusste wieder, was er wert war, und dass auch er ein Recht auf Glück hatte. Er vermisste sie noch, aber er wollte sie nicht zurück.
Er hatte schon nicht mehr geglaubt, sich je wieder verlieben zu können, doch dass er Christie hatte kennenlernen dürfen, hatte ihm gezeigt, dass es noch Hoffnung gab, dass es noch viel Schönes und Neues zu erleben gab für ihn. Er freute sich darauf, sie endlich persönlich zu treffen, wo er sie doch schon so gut zu kennen glaubte. Ihr Foto stand auf seinem Schreibtisch, wenn sie Abend für Abend im Chat ihren Tagesablauf schilderten, sich Anekdoten erzählten, sich neckisch und kindisch benehmen konnten. Er sah in ihre Augen, wenn sie nach den albernsten Dingen plötzlich wieder seriöse Gedanken wechselten, tiefschürfende Ideen teilten, und hitzige Auseinandersetzungen zu weltbewegenden Themen führten. Diese Frau war ihm ebenbürtig, was Esprit, Intelligenz und Witz betraf und doch war sie so weiblich.
Er fühlte sein Innerstes dahin schmelzen, wenn er an ihren Antworten erkannte, dass er zu weit gegangen war. Wenn sie reserviert wurde, weil er ihr zu intim wurde. Wie süß sie dann werden konnte. Doch sie bot ihm auch Paroli und wies ihn auf einseitige Gedankengänge, Intoleranz oder simples Fehlverhalten hin. Mit einer diplomatischen, liebevollen Art, die er an Frauen so schätzte und bei Männern vermisste. Er mochte sie sehr, als Freundin, der er Geheimnisse erzählen wollte und mit der er nicht nur Pferde stehlen, sondern die Welt verbessern könnte, zumindest in Gedanken.
Dass der Anblick ihres Gesichts, ihrer tiefbraunen Augen und widerspenstigen Locken, ihres geheimnisvollen Lächelns auf dem Foto vor ihm auch noch ganz andere Gefühle auslöste, wenn sie sich schrieben, hatte er ihr gestanden. Musste er ihr schreiben. Dass er sich ihren Körper ausmalte, daran dachte, wie warm ihre Lippen sich anfühlen würden, wie weich ihre Haut. Wie gern er mit den Fingern durch ihr Haar fahren würde, wie schön es sein würde, wenn er sie im Arm halten könnte, wenn sich ihre beiden Körper begegnen würden.
An dem Tag, als er sie enlich treffen sollte, hatte sich seine Nervosität zugespitzt. Was, wenn er ihr nicht gefiele? Was, wenn die Chemie nicht stimmte? Seit Tagen plante er, organisierte eine Umgebung, in der ihnen alle Möglichkeiten offen bleiben würden. Er buchte ein Hotelzimmer in der Nähe ihrer Wohnung – man würde sehen, wie sich der Abend entwickelte und wo sie und er tatsächlich übernachten würden. Das Restaurant, das er gewählt hatte, bot leichte Kost, guten Wein und nette musikalische Untermalung. Er hatte an alles gedacht. Seine Nervosität schob er auf den Teil des Abends, den er nicht planen konnte.
Und jetzt schien es so weit zu sein – die erste Überraschung war, dass sie ihn anrief - mit einer ganz anderen Stimme als sonst. Tiefer, rauchiger und zögerlich. Als sie sich am Telefon räusperte und nicht so richtig mit der Sprache rausrücken wollte, was sie eigentlich wollte, spürte er eine seltsame Erregung. Statt das Schlimmste zu erwarten, weil es klang, als ob sie absagen wollte, stellte er sich vor, wie sie heiser und leise in sein Ohr zu flüstern versuchte, was sie von ihm wollte, was er mit ihr machen sollte, geheime Wünsche, zärtliche Aufforderungen. Er schalt sich für seine unvermeidlichen Fantasien, die ihm Bilder in den Kopf zwängten von Leidenschaft und Hingabe.
Er riss sich zusammen und erklärte sicher und bestimmt, dass „eine kleine Erkältung“ kein Grund dafür sei, ihre Verabredung abzusagen. Dann nieste sie lautstark und er musste lachen. Sie erzählte von ihrer roten Nase, zu deren Farbton kein Lippenstift passen würde und er lachte noch mehr. Er wollte sie sehen, und wenn es nicht anders ging, ihr ein Taschentuch reichen, ihr Tee servieren, ihr den Nacken massieren. Er würde sie gesundpflegen, ihr Gutes tun, es ihr leichter machen. Er mochte es gar nicht, dass sie sich schlecht fühlte und würde ein schlechtes Gewissen haben, sie allein zu lassen.
Seine Fürsorglichkeit überraschte ihn fast noch mehr als seine plötzliche Lust beim bloßen Klang ihrer Stimme. Ein Wechselbad der Gefühle, das nur sie in ihm auslösen konnte. Die Gelegenheit, diese Frau möglichst bald in Fleisch und Blut vor sich zu sehen, konnte er sich nicht entgehen lassen, ein bisschen Nasenschleim nahm er dafür gerne in Kauf. Den Tisch im Restaurant bestellte er ab, er würde zu ihr gehen, sie würden es sich gemütlich machen, wo es am bequemsten für sie war. Einen Unbekannten in ihr Haus zu bitten schien ihr nicht gefährlich, wer würde schon über sie herfallen, wenn sie nur ein Häufchen Elend war, scherzten sie miteinander.
Als sie die Tür öffnete, stand er direkt vor ihr und grinste, sagte „Hallo“ und hob eine Tüte hoch, die gefüllt war mit Obst, Delikatessen und einer Flasche Wein, die er gerade im Supermarkt besorgt hatte.
Sie stammelte ebenfalls „Hallo. Oh Danke. Komm doch rein.“ Und trat zur Seite. Er war größer, als sie gedacht hatte und imposant so ganz in Schwarz. Er war überhaupt beeindruckend – gleichzeitig dem Mann auf dem Foto ähnlich, und doch völlig fremd. Er grinste unablässig, als er seinen Mantel auszog und ihr zusah, wie sie ihn an die Garderobe hing, als er ihrer Handbewegung folgend ins Wohnzimmer trat, wo er vieldeutig nickend vor ihrer Wand voller Bücherschränke stehen blieb. Auch als sie die Weingläser geholt hatte und ihn bat, sich doch zu ihr aufs Sofa zu setzen, grinste er nur und sagte nichts, und sie wunderte sich. Würde sie die Unterhaltung allein bestreiten müssen?
Gary war sich nicht sicher, wie er reagieren sollte. Die Hand reichen war zu spießig und Wangenküsschen wegen der Erkältung auch nicht angesagt. Er hatte sie also noch nicht berührt. Und das störte ihn. Er wollte es. Schließlich waren sie so etwas wie Freunde. Und sie sah umwerfend aus, trotz der roten Nase. Ihre Augen waren dunkler und glänzender als auf dem Foto, ihr Gesicht etwas älter, reifer, und so ausdrucksstark. Er hatte sich immer gefragt, was ausdrucksstark eigentlich bedeuten sollte. Aber hier sah er es vor sich.
Sie bewegte ihre Brauen mit jedem Blick zu ihm oder zu dem Wein, den sie in die Gläser goss, ihre Mundwinkel zuckten, als ob sie Mühe hätte, nicht rauszuplatzen mit den Gedanken, die sich in ihr zu überschlagen schienen. Kleine Grübchen erschienen auf ihren Wangen, wenn sie lächelte und ihre Augen strahlten und veränderten sich mit jeder kleinen Geste. Er starrte, und er wusste, er müsste langsam mal etwas sagen, aber viel mehr als „Geht es dir besser?“ und „Ich hoffe du magst, was ich uns mitgebracht habe.“, war ihm nicht möglich. Er musste sich zurückhalten, nicht hinauszuposaunen „Du siehst noch viel besser aus, als auf deinem Foto, küss mich!“
Christie war ein wenig enttäuscht von seiner Schweigsamkeit. Er nickte und grinste und schaute sie intensiv an, als ob er sich jeden ihrer Züge einprägen wollte. Es hatte einen positiven Effekt auf ihre Nervosität. Es war gut, dass er sie nicht gleich von den Füßen riss mit den witzigen, interessanten Sprüchen, die sie von den Mails gewohnt war. Es schmeichelte ihr, dass auch er verlegen war und sie so bewundernd ansah.
Sie entschuldigte sich immer wieder, wenn sie sich die Nase schneuzen musste, die weiter Flüssigkeit produzierte als ob ein Tank in ihren Kopf geplatzt wäre. Das Husten hatte nachgelassen durch die Honigbonbons, aber ihre Stimme war heiser und dunkler als sonst. Gary saß mit ihr auf dem Sofa, aber es hätte auch noch eine dritte Person zwischen ihnen gepasst. Angst vor Viren, also doch. Er hatte die Beine übereinander geschlagen und nippte an seinem Wein, während er langsam aufzutauen schien und etwas beredter wurde. Doch immer noch starrte er sie an, als ob er darüber nachgrübelte, in welchem Film er sie hatte spielen sehen, oder als ob er herausbekommen wollte, welche Epidemie sie auslösen könnte.
Immer, wenn Christie sich die Nase putzte, drehte sie sich ein wenig zur Seite, weg von Gary, so dass er in Ruhe jede Seite, jeden Aspekt, jeden Körperteil betrachten konnte, ohne aufzufallen. Die langen Beine in schwarzen Strümpfen, die hübschen Schuhe mit gefährlich spitzen Absätzen schienen so gar nicht zu passen zu der höflich zurückhaltenden Art, wie sie mit ihm redete.
Doch langsam fielen sie in den gleichen Ausdruckston, den er von den Mails kannte. Sie taute auf. Er fühlte sich wohl in ihrer Wohnung, er mochte die Musik, die im Hintergrund spielte und auch er wurde ruhiger. Er betrachete sie amüsiert und mitfühlend, wie sie mit der Situation umzugehen versuchte, wie sie gut auszusehen versuchte, während sie litt – er durchschaute und verstand es und mochte sie umso mehr.
Sie faltete die Papiertüchlein säuberlich, und ging sparsam damit um, bis sie sie in einen Papierkorb warf, der nebem dem Couchtisch bereit stand. Nicht einmal ging eins daneben. Wenn sie hustete, spürte er eine Resonanz in seiner Brust, als ob die Musik mit zu vielen Bässen eingestellt wär.
Er versuchte, normal nach außen zu wirken, aber innerlich fragte er sich, was um Himmels Willen mit ihm los war. Wenn sie nieste, war es am schlimmsten.
Sie zog Luft ein, hechelte schnell und kurz, hielt schützend ein Papier in den Händen vor sich und verzog das Gesicht auf eine Art und Weise, die ihn mit offenem Mund staunen ließen.
Es war für ihn immer schon äußerst spannend gewesen, einer Frau zuzusehen, die körperliche Empfindungen genoss und dies auch zeigte. Er wusste natürlich, dass es hier ganz einfach um einen Schnupfen ging, um eine eher unangenehme Empfindung für sie, aber er konnte nicht übersehen, dass er hier einen Einblick darin bekam, wie sie ausehen und reagieren würde, wenn es eher angenehme Gefühle wären, die sie so das Gesicht verziehen lassen würden.
Sie machte den Eindruck, sich zusammenreissen zu wollen und ihren Zustand als sehr lästig zu empfinden, entschuldigte sich immer wieder und verfluchte die Krankheitssymptome. Doch was er sah, war, wie sie ihm mit offenem Mund – weil die Nase verstopft war – zuhörte. Wie sie immer wieder mit der Zungenspitze ihre Lippen befeuchtete. Wie ihre Augen zu kleinen Schlitzen wurden, wenn sie fühlte, wie sich ein Niesen anbahnte.
Wie sie den Kopf leicht zurücklegte und ein leises Stöhnen von sich gab, die Augen dann schloss und wie ihr ganzer Körper erzitterte, wenn sie mit einem durch das Taschentuch unterdrücktem Laut nieste. Wie sie danach etwas atemlos „Pardon“ murmelte und ihn mit fiebrig glänzenden Augen und immer noch geöffnetem Mund ansah.
War er jetzt völlig durchgedreht?, fragte Gary sich. War er so lange nicht mehr mit einer Frau im Bett gewesen, dass ihn das anmachen konnte? Er versuchte, weg zu sehen, er versuchte, an etwas anderes zu denken, und den voller werdenden Papierkorb neben ihnen mit gebührendem Ekel zu betrachten, während sie in jetzt lockerem Ton erzählten, von ihrer Arbeit, seinem letzten Urlaub, ihren Lieblingsstädten und anderem.
Doch immer wieder musste er seine Reaktion zügeln und „Gesundheit“ sagen, auch wenn er „Gott, ist das sexy“ dachte. Ein erneutes, heftiges Niesen kündigte sich an, sie seufzte laut, schüttelte den Kopf und hielt verkrampft das Taschentuch fest, dann durchfuhr sie, dass es ihren Körper erbeben ließ, er sah, wie ihr Rock verrutschte, ihre Muskeln sich anspannten, ihre Brust sich hob und wie sie dann wieder in die Kissen zurücksank, erschöpft, aber befreit. Es passierte immer wieder, mit wechselnder Intensität und er liebte ihre Art, sich danach zu räkeln und diese süßen, stöhnende Laute von sich zu geben, tapfer zu lächeln und sich wieder aufzusetzen, um das Gespräch fortzusetzen.
Das musste Liebe sein. Oder sie war die sinnlichste Frau der Welt. Christie verfluchte ihren Schnupfen, aber sie war sehr froh, dass Gary bei ihr war. Er war so verständnisvoll. Irgendwann legte er eine Hand auf ihr Bein und sie ließ ihn. Irgendwie war er näher gerückt und es gefiel ihr. Irgendwann legte er einen Arm auf die Lehne hinter ihr, beugte sich zu ihr, als sie zusammen lachten und hielt er ihre Hand, als sie sich wegdrehte, weil sie ein neues Taschentuch brauchte. Er fühlte sich nicht abgestoßen von ihrem erbärmlichen Zustand. Er mochte sie. Und sie erkannte an seinen Worten den vertrauten Freund und sah in seinen Augen, dass sie mehr sein konnten.
Sie traute sich, nach seiner Scheidung zu fragen. Er erzählte von Michelle, wie sehr es ihn mitgenommen hatte, dass sie ihn betrog, und wie er sie aus Rache ebenfalls hintergangen hatte.
„Das klingt, als ob du noch an ihr hängst.“, sagte Christie leise.
Gary sah sie an und überlegte nur kurz. „Gestern noch hätte ich vielleicht gesagt, ich würde sie ewig lieben. Jetzt bin ich sicher, dass das nicht wahr ist. Ich bin darüber hinweg. Eindeutig.“
Er grinste und Christie bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass sie ihn richtig verstand und es gut war.
Es war weit nach Mitternacht, als er sich verabschiedete und er gab ihr trotz ihres leisen Protests aus Angst, ihn anzustecken, einen Abschiedskuss. Es war der erste Kuss und er wusste, an dem Abend würde nicht mehr passieren können, so sehr er es auch wollte. Daher nahm er sich Zeit, drückte sie an sich und presste seine Lippen so zart wie möglich auf ihre, nur um sie zu fühlen, nicht um sie zu erregen. Nur ihre Lippen berührten sich mit geschlossenen Mündern, bis sie nach Luft schnappen musste, und sie sahen sich in die Augen und freuten sich auf das nächste Treffen.
Am nächsten Tag gingen sie zusammen spazieren und küssten sich wieder. Erst eine Woche später sahen sie sich dann zum ersten Mal beide gesund und munter und konnten sie sich küssen und mehr, ohne störende Laufnasen und Husten. Und Gary stellte fest, dass es nicht das Niesen war, das ihn so fasziniert hatte. Er wusste jetzt, dass er keine perversen Lustgefühle für eine geschwächte, kranke Frau gehabt hatte.
Denn die Faszination war immer da und wurde stärker, nachdem er erfahren hatte, dass ihr Gesicht auch bei anderen Gefühlsregungen so ausdrucksstark widerspiegelte, was sie empfand. Er wurde süchtig danach, sie genießen zu lassen und ihr zuzusehen, wie stark sie es empfand, wie sehr sie sich angenehmen Gefühlen hingeben konnte. Christie dagegen wusste, dass sie niemals wieder Angst davor zu haben brauchte, Gary nur wegen einer roten Nase oder schlecht frisierten Haaren nicht gefallen zu können.
Und sie geht bis heute nicht zur Grippeimpfung – es war doch so viel schöner, sich von Gary gesund pflegen zu lassen….