Ich dachte an einen anderen…
Ich war also in dieser Kneipe, und traf mich mit meiner Freundin Nadine, wie ich dir erzählt hatte. Du hattest mir viel Spaß gewünscht und ich wusste, du gönnst mir einen netten Abend aus, mal was anderes. Und du wolltest sowieso dein Buch in Ruhe zu Ende lesen.Wir aßen etwas zusammen an einem zentral gelegenen Tisch, von dem aus wir die Leute an der Bar beobachten konnten – Nadine liebt es, sich über andere zu unterhalten, zu erraten, was sie wohl tun, beruflich, und ob sie verheiratet sind. Sie sucht sich manchmal auch einen zum Flirten aus. Darf sie ruhig, sie ist Single. Ich nicht. Daher hatte ich ihr heute Abend klar gemacht, dass sie sich mit mir unterhalten sollte und ich nur dann auf unsere viel zu seltenen Gespräche verzichten würde, wenn sie einen ganz besonderen Typen kennenlernen könnte.
Nach ein paar Stunden ging Nadine gerade mal wieder zur Toilette, wie ich wusste auch, um sich zu vergewissern, ob es im hinteren Teil des Ladens irgendwas Interessantes zu sehen gab. Ich langweilte mich ein wenig, als sie länger wegblieb als erwartet und auch, weil unsere Gespräche sich mehr um sie und ihre Männersuche als um meine kleinen, alltäglichen Problemchen drehte, die ich gern einfach mal losgeworden wäre.
Dann sah ich ihn. In meiner Erinnerung lief es wie in einem Kinofilm, wie etwas, dass normalen Leuten nie passiert. Die Menge vor der Bar teilte sich für einen Moment und gab mir die Sicht auf ihn frei. Unsere Blicke trafen sich. Er saß an der Bar, ein Freund neben ihm redete auf ihn ein, aber er hörte nur halbherzig zu, weil er abgelenkt war. Von mir. Er sah mich unumwunden an, lächelte nicht, betrachtete mich ernst und interessiert, als wenn er auf einen Bildschirm starrte. Und ich konnte meine Augen nicht abwenden, als ob er mich hypnotisierte.
Nadine kam zurück, wir sprachen weiter, und ich sah ab und zu zu ihm herüber, um zu sehen, ob er immer noch herschaute. Er tat es, die ganze Zeit. Auf einmal stand er auf und kam zu unserem Tisch herüber. Ich fragte mich, was sein Freund wohl davon hielt, der aber anscheinend verschwunden war.
„Guten Abend, Ladies. Darf ich mich vielleicht kurz zu euch setzen? Ich beobachte euch schon eine ganze Weile und würde euch gerne zu etwas zu Trinken einladen.“
Nadine nickte begeistert. Ich lächelte etwas verkniffen, denn ich wusste, er war nicht an ihr interessiert. Sondern an mir. Und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
Er setzte sich neben mich, Nadine gegenüber, die ihn mit Fragen bestürmte. Ich beteiligte mich an der Unterhaltung und fand ihn witzig. Als er über eine meiner Bemerkungen lachte, berührte er meine Hand auf dem Tisch. Eine Haarsträhne fiel ihm immer wieder in die Augen und er strich sie mit einer geübten, aber genervt wirkenden Geste jedes Mal hinter sein Ohr. Sein Haar lockte sich im Nacken und glänzte im gelben Licht der gedämpften Kneipenlampen golden.
Mir schoß durch den Kopf, dass ich ihn mir nicht perfekter hätte vorstellen können, er war die ideale Mischung aus gutaussehend, aber nicht alltäglich, sprach tief und angenehm über interessante Dinge und er war aufregend und ein lebendig gewordener Traum. Und er saß da, genau neben mir.
Als er zur Toilette ging, sagte Nadine zu mir: „Er flirtet mit dir. Er sieht mich gar nicht an. Ich hab´ aber auch immer so ein Pech. Er steht auf dich.“
„Echt? War mir gar nicht aufgefallen.“, meinte ich locker, aber das Herz schlug mir im Hals, der sich sehr trocken anfühlte.
Später, nach einigen Drinks, einigen federleichten Berührungen seiner Hand an meinem Arm, und einmal an meiner Schulter, verabschiedeten wir uns.
„Das hat mir gut gefallen. Wir sollten uns wiedersehen und etwas zusammen unternehmen, findest du nicht?“
Und ich nickte stumm, als wir unsere Telefonnummern austauschten. Ich wollte ihn. Ich wollte mich in seine Arme werfen, ihn an mich pressen und ihm gehören… Doch ich ging nach Hause.
Als ich ins Wohnzimmer kam, saßt du in deinem Lesesessel unter der Leselampe, mit deiner kleinen Goldrandlesebrille, ganz vertieft in dein Buch. Überrascht sahst du auf, als ich hereinkam.
„Oh, Hi, da bist du ja. Wie spät ist es denn? Ich habe dich gar nicht reinkommen hören.“
Ich warf meine Tasche in die Ecke und meinen Mantel hinterher, ging zu dir und nahm das Buch aus deinen Händen. Ich sagte nicht Hi, ich küsste dich und das Buch landete auf dem Boden. Mit einer Hand an der Sessellehne, der anderen an deinem Kopf, den ich zu mir hochzog, lehnte ich mich über dich, so dass du in meinen unüblich tiefen Ausschnitt sehen konntest. Ich küsste dich mit Zunge, Zähnen und saugenden Lippen und rutschte auf deinen Schoß.
„Wow, was hat dich denn so heiß gemacht?“
„Was? Es regt mich auf, wenn ich dich mit dieser Brille sehe, das weißt du doch.“
Und du sagtest Okaaay, als ob du mir nicht glauben würdest. Und dann machte ich deine Hose auf und wir fi*ten, wild und leidenschaftlich und ich dachte an ihn und es war gut.
Es fühlt sich immer gut an, natürlich. Das ist einer der Gründe, warum wir so glücklich miteinander sind. Der Sex ist großartig. Wir haben Spaß miteinander, du gehst auf mich ein und mir gefällt es, dich wahnsinnig zu machen. Ich bin glücklich mit dir und möchte mit dir zusammen sein, mit dir und nur dir. Ich liebe dich. Und ich werde ihn nie wiedersehen. Das hatte keine Bedeutung. Aber dennoch warst du in dieser Nacht für mich das Mittel zum Zweck, meine Fantasien auszuleben. Ich dachte an einen anderen Mann und schlief mit dir.
Ich fühle mich schuldig dafür, ein bisschen jedenfalls. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch dir passiert. Auch du denkst bestimmt manchmal, wenn du mich im Dunklen oder von hinten nimmst, an die schöne Frau, die dir im Aufzug zugelächelt hat. Oder an den großen Busen deiner Kollegin, wenn du die Augen schließt. Dies ist nicht eine dieser Spießer-Geschichten von der untreuen Frau, die an ihren Liebhaber denkt, während sie ihrem reichen Ehemann verheimlicht, dass sie ihn verlassen will, wenn sie erst herausbekommen hat, wie sie die Annehmlichkeiten ihres Lebens behalten kann. Doch es passierte, und es passiert jeder Frau irgendwann. Ich bin sicher, es passiert auf der ganzen Welt, hundertfach, während ich dies schreibe
Ich schlief mit dir und ich dachte nicht nur dabei an ihn, ich stellte mir sogar vor, du wärst er. Ich tat, als ob deine Hände auf meinen Hüften seine wären, als ob deine Lippen ihr gehörten. Ich stöhnte für ihn und kam für ihn durch dich.
Würde es dich erregen, wenn du davon wüsstest? Würdest du alles hören wollen, was ich fühlte, was ich dachte? Würdest du wollen, dass ich ihn dir beschreibe, dir erzähle, was ich an diesem Abend wollte, dass er mit mir tun sollte? Würdest du das mögen?
Oder würdest du verletzt sein, dich betrogen fühlen, verraten? Würde es dich unsicher machen? Würdest du glauben, unser Sex sei mir nicht genug, sei nicht gut, sei nicht, was ich wirklich wollte? Würdest du dich von mir abgestoßen und benutzt fühlen?
Wahrscheinlicher ist das zweite. Darum erzähle ich dir nichts davon.
Vielleicht ist schuldig nicht das richtige Wort. Am meisten schäme ich mich nämlich dafür, dass ich nur ein bisschen Schuld verspüre. Ein ganz klein wenig. Denn vor allem war es gut. Der Sex war außerordentlich, elektrisierend. Es tut mir leid, dass es mir nicht leid tut. Wirklich. Trotzdem stellte ich ihn mir an deiner Stelle vor und es war eine gute Nacht. Nicht unbedingt besser als ein paar sehr schöne, die wir bereits hatten, ohne dass ich durch die Fantasien von einem anderen erregt war. Aber gut, sehr gut.