Die Heiratskandidaten
In Anbetracht meines nächsten Geburtstages auf dem Weg zum Erwachsen-Werden kommen mir so meine Gedanken. Nicht etwa in üblicher Weise .. wieder ein Jahr älter, wen lade ich ein, wer kommt nicht mit wem, wie viel Nachfeiern für die Geschiedenen und Verstrittenen, was serviere ich, wie wird das Wetter .. all das wäre zu einfach, darüber verfüge ich über jahrelange Übung.Über meine erste Single-Daseins-Geburtstagsfeier im Kreise meiner Familie, bestehend aus meinem erwachsenem Sohn, meiner Mutter und ihrem Mann, kann ich im Nachhinein schmunzeln. Damals nicht, restalkoholisiert vom Vorabend über das Leid des ersten und bis heuer einzigsten Single-Liebeskummers.
Meine Mutter war damals noch besorgt um mich und meinte tief seufzend: „Ach, ich würde mich freuen, wenn du einen netten älteren Mann finden würdest, der sich um dich kümmern kann. Du sollst doch im Alter nicht allein sein.“ Mein wohlerzogener Sohn, mit Respekt seine Oma gegenüber und meinen strengen Blick registrierend, hatte alle Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. Von diesen Worten fast sprachlos, meinte ich beruhigend zu ihr. „Also, Mami, ich brauche doch niemanden, der sich um mich kümmert. Das kann ich sehr gut selbst. Ich wünsche mir einen richtigen Mann, für .. hm, ein Miteinander.“
Einige Tage später war ich mit meinem Sohn unterwegs. Plötzlich zerrt er an mir und zeigt mit wild rumfuchtelnden Armen irgendwohin in die Menschenmenge und schreit dazu ganz aufgeregt: „Da, schau mal, das ist ein netter älterer Herr, der sich um dich kümmern kann!!!“ Angestrengt versuche ich einen solchen Herrn zu erspähen, entsprechend nach meinen Kriterien: mein Alter, schlank, sportlich, hübsch, schwarzes Haar, geschmackvoll gekleidet .. nix da, wo denn nur? Fast überrannt den guten Mann, meint mein Sohn: „Na hier, vor dir!“ In der Tat, da war er, dieser nette ältere Herr .. ca. 95jährig, klein und gebückt, mit weißem schütterem Haar, Hörgerät in den Ohren, mit zittrigen knöchrigen Händen verkrampft am Gehwägelchen festhaltend, langsamen schlürfenden Schrittes sich fortbewegend.
Mein Sohn erklärte mir logischerweise die Vorteile: du brauchst nicht mehr die Einkaufstüten schleppen, er hat das Gehwägelchen immer dabei und die Parkplatzsuche entfällt auch, er wird dich garantiert nicht betrügen, noch nicht mal nach jüngeren Frauen schauen, die finanzielle Seite sei auch nicht zu verachten, in absehbarer Zeit wirst du Dank Witwenrente nur noch in Teilzeit arbeiten müssen, du kannst deine Freizeit mit deinen Hobbys verbringen anstatt mit Nebenjobs. Ganz besonders Oma wird sich freuen über solch einen netten und soliden Schwiegersohn, der sich fürsorglich um ihre Tochter kümmert und sie im Alter nicht allein ist.
Seit damals sind 5 Jahre vergangen. In einem stillen Moment zum Samstagabend ziehe ich Bilanz über das Vergangene.
Einen besagten Herrn hat mir das Schicksal noch nicht gesandt. Momentan kann ich drei ernstgemeinte Heiratsanträge mein Eigen nennen. Diese netten, schlanken, sportlichen, hübschen, schwarzhaarigen, gut gekleideten, wenn auch nicht älteren Herren, sind mir seit 4 Jahren bekannt. Ungeachtet der Tatsache, dass diese nicht zum Um-Mich-Kümmern in der Lage sind, entsprechen sie religionsmäßig trotz der Unterschiedlichkeit nicht meinen Kriterien.
Mein Sohn ist sich absolut sicher, dass ich das Problemchen zu deren Befreiung unkompliziert gelöst bekomme und somit kein Heiratshinderungsgrund vorliegt.
Ich gebe ihm da selbstverständlich Recht, ein wirkliches Problem stellt dies nicht dar.
Aber ob sich wenigstens einer der netten Herren sich aus Liebe zu mir beschneiden lässt, mit meiner Begründung ein Be-schneiden sei kein Ab-schneiden, wage ich doch arg zu bezweifeln.
© Violetti 06.10.2012