Miezekatze
Als ich sie vor drei Jahren zum ersten Mal sah, war ich schon tief berührt. Nicht sofort, erst nach vier Tagen, denn solange brauchte ich sie zu verstehen.Ihr gleichmäßig getigertes Fell machte sie zu einer kleinen Schönheit in meinen Augen und ihr allgemeiner körperlicher Zustand ließ mich meinen sie habe ein feines Zuhause.
Daß sie mich von Anfang an schnurrend umkreiste machte mich allerdings schon ein wenig stutzig. Zugegeben: Tiere nähern sich mir öfter mal mit großem Vertrauen, doch eine rundum versorgte Katze legt gewöhnlich auch ein bisschen gesundes Misstrauen an den Tag. Lag hier eine Art „übernatürliche Fügung“ in der Luft. Zumindest versuchte ich das zu glauben.
Ich traf diese Freundlichkeit in Person und auf vier Beinen in den Allgäuer Alpen, in der Nähe eines Ferienhauses, einer sogenannten „Hütte“. Diese Hütte ist allerdings riesengroß. Sie hat ein Billardzimmer, einen Getränkekeller, ein Fernsehzimmer, sechs Bäder und ebenso viele Appartements – und sie hat strenge Bestimmungen. Eine davon lautet: die Katze darf zwar gefüttert werden, aber sie darf unter gar keinen Umständen ins Haus!
Damals, als dieses Geschöpf zum ersten Mal vor mir stand und mir vertraulich zublinzelte um gleich darauf mit hoch erhobenem Schwanz auf mich zuzukommen, dachte ich mir noch nichts dabei, sondern streichelte sie einfach. Ich redete mit ihr und sie redete mit mir. Allerdings glaube ich, daß sie mich von Anfang an viel besser verstand als ich sie…
Ich setzte mich auf die Bank vor dem Haus, respektierte die Bestimmung sie nicht einzulassen und sah ihr zu wie sie sich auf meinem Schoß räkelte, hörte mir an wie laut sie schnurrte und amüsierte mich darüber wie sie offensichtlich die Streicheleinheiten genoss die ich ihr zuteilwerden ließ. Zwischendurch stand sie öfter mal auf, schaute mir aus einigen Zentimetern Entfernung, denn sie hatte sich auf die Hinterbeine gestellt um mit mir zu sprechen, direkt in die Augen und maunzte. Unsere Nasen berührten sich dabei.
Meine Freude darüber jemanden getroffen zu haben, der vorurteilslos mit mir flirtete war so groß, daß ich das Tier an mich drückte und ihm zu verstehen gab, es könne sich jetzt vertrauensvoll einrollen. Ich würde es schon festhalten. Die Miezekatze kam dem gerne nach und blieb schließlich solange liegen wie ich unbeweglich sitzen konnte.
Wir trafen uns oft, wiederholten das zärtliche Ritual einige Tage lang. Weitere hinzugekommene Gäste belächelten uns bereits. Der Anblick den wir boten musste einfach zu kitschig gewesen sein. Dabei wurde ich dauernd ermahnt meine Freundin ja nicht ins Haus zu lassen. So sei es bestimmt und das solle ich auch einhalten. „Aber, wenn sie unbedingt wollen…im Keller ist ein bisschen Katzenfutter für sie“:
Am vierten Tag, als ich nach dem Frühstück in den Garten mit der herrlichen Aussicht ging (denn man kann von ihm aus ein phänomenales Alpenpanorama bewundern) wurde ich auf ein monotones, immer wiederkehrendes Signal aufmerksam. Es hörte sich ein wenig unheimlich an, aber ich erinnerte mich es schon einmal gehört zu haben. Es war der Ruf einer Katzenmutter, die ihre Jungen zur Fütterung ruft. Ich sah mich um und erblickte meine Freundin, etwa 20 Meter von mir entfernt im Gras sitzend. Sie hatte ein Präsent für mich. Vor mir lag eine erlegte Maus und sie rief mich zum Mahl.
Ich ging zu ihr, diesem fürsorglichen, verschmusten Raubtier und gebot mir sie zu loben für ihre Tat, als mir schlagartig klar wurde was diese Geste zu bedeuten hatte. Sofort schämte ich mich! Tagelang hatte ich mich von ihr, in der Sonne oder unter dem grandiosen Sternenhimmel sitzend beschnurren und „besprechen“ lassen ohne wirklich an sie gedacht zu haben. Dabei war im Keller vorrätig was sie, die Heimatlose, wirklich nicht jederzeit haben konnte: Katzenfutter. Mit feuchten Augen nannte ich das Zauberwort „Fressi“ und sie horchte auf, kam auf mich zu, strich mir um die Beine und schnurrte aus Leibeskräften.
Im Gehen rief ich ihr zu „bitte warte noch einen Moment, ich komme gleich wieder“. Dann gab es Augenblicke später die ersehnte Bescherung. Anderntags reiste ich ab – mit denkbar schlechtem Gewissen.
Drei ganze Jahre blieb ich außerstande dem Tier zu helfen, ihm wenigstens solange ich bei ihm war, eine regelmäßige Verköstigung zu besorgen. Und die Winter mussten dort oben sehr hart sein.
Endlich sah ich sie wieder. Ein glücklicher Umstand führte mich in ihre Gegend. Die „Hütte“ stand für ein paar Tage leer, war günstig zu mieten und mir war es möglich sie erreichen zu können. Diesmal stand die kalte Jahreszeit vor der Tür und ich hatte mir schon ernstlich Sorgen um meine Freundin gemacht. Lebte sie überhaupt noch?
Bereits am Ankunftstag sah ich sei heran trotten. Sie trug schon ihr Winterfell. Wieder kam sie auf mich zu um mich anzusprechen. Aber diesmal war ich auf diese Begegnung vorbereitet. Ich sagte einfach nur „Fressi“. Sie starrte mich an. Ich lief und kam mit Trockenfutter zurück und sie fraß gierig von der besonderen Pracht aus ihrem vor der Haustüre stehenden, meist leeren Napf. Stunden später verfügte ich über stärkere (Überlebens-) Argumente: Ich machte eine Dose mit saftigem Fleisch auf – und kam kaum dazu es in den Napf zu füllen. Am liebsten hätte sie es mir aus der Hand gerissen. Doch mitten im Schlemmen unterbrach die gute Seele ihre Nahrungsaufnahme um sich ausgiebig bei mir zu bedanken. Immer wieder kam sie schnurrend auf mich zu und schmuste mich ab.
Als es Nacht wurde war sie immer noch da. Nebel zogen durch das Tal, Regen kam auf und das Vordach der Hütte ließ nur einen ca. 75 cm breiten trockenen Streifen frei, wo man sich aufhalten konnte. Ich nahm auf der schon etwas feuchten Holzbank Platz und sofort kam Miezekatze auf meinen Schoß gesprungen. Sie drückte ihr nasses Fell an meinen Bauch und gab mir zu verstehen, daß sie sich jetzt hier niederzulassen gedenke. Ich willigte ein, sie rollte sich zusammen, blinzelte mir noch einmal zu und fing an zu dösen.
In diesem Augenblick gehörte ihr mein ganzes Herz! Ich blieb in der feuchten Kühle sitzen und ich wusste, wenn ich jetzt sterben würde, dann hätte ich die Chance das im Beisein eines Wesens zu tun das mich hingebungsvoll liebt, vorbehaltlos und verständig, das weiser ist als ich es je sein könnte und das meine Gegenwart genießt wie ein Engel, dem meine Fehler völlig egal sind. Dann schlief ich ein.
Als ich nach zwei Stunden geweckt wurde und bemerkte, daß ich bereits erbärmlich fror, ging ich melancholisch ins Haus. Miezekatze blieb draußen. Als Ersatz für mich schob ich ihr noch ein Kissen unter den nunmehr warm gewordenen Leib…
Sie blieb nur 10 Minuten darauf liegen! Ein Zeichen dafür, daß es ihr nicht vorrangig um ein warmes Plätzchen ging, sondern hauptsächlich um Zuwendung.
Ich werde sie niemals vergessen…
Nachtrag:
Natürlich habe ich mit dem Gedanken gespielt meine kleine haarige Freundin einfach zu entführen. Doch dann überkamen mich ernste Zweifel. Dort oben hatte sie ein enormes Revier. Dort war sie die Königin. Das war sie gewöhnt. Und ihre ausgesprochen kluge Diplomatie würde ihr immer wieder zu Leckerbissen, sowie Streicheleinheiten verhelfen. Was war schon mein winziger Garten, umgeben von gefährlichen Verkehrsstraßen dagegen?
(c) Sur_real