Grünlichtviertel
Die Bierreklame-Schaukästen der Kneipen und Stunden-Hotels warfen ein grünlich-blaues Schimmern auf holpriges Pflaster, über das unsicher blickende Männer und eine dornige Hoffnungslosigkeit stolperten. Es müsste eigentlich Grünlichviertel heißen, dachte Sam. Das einzige rote Licht kam von den Autorücklichtern der Freier, die sich mit den Frauen durch heruntergekurbelte Fenster über Leistungen und Preise einigten. Er näherte sich einer Rothaarigen, die ihn blassgeschminkt fragte, ob er Zeit und Lust hätte? Die Lust habe er noch in der Tasche, und die Zeit liefe ja, witzelte er. Sie zögerte mit dem Lachen - und Sam mit Zusagen.
Der Abend war lau. Bodygestylte Türken flanierten die Meile hinauf, steuerten auf eines der vielen Döner-Restaurants zu. Sam musterte ein Grüppchen von grell aufgemachten Blondinen, die gerade lautstark Infos austauschten. Er musste zwei Drogenabhängigen ausweichen, die an ihm vorbei hetzten und unvermittelt in die entgegengesetzte Richtung irrten. Die Vehemenz, die sie dabei an den Tag legten, ließ auf einen Deal, eine Beleidigung, oder einen neuen Schuss schließen. Ihre zombieartigen Bewegungen berührten ihn unangenehm, und er ertappte sich beim Wegsehen. Das kann man noch jenseits des Blues ansiedeln, dachte er, als er einen stechenden Uringeruch witterte. Er sah den viereckigen Blechverhau, und als er das mit schwarzer Farbe gemalte Pissoir las, schien der Geruch noch beißender zu werden. Sam wechselte rasch die Straßenseite.
Ein Pärchen mit Einkaufstüten kam ihm entgegen. Sie wohnten wohl hier, hatten nur schnell noch was eingekauft, und würden was Leckeres kochen, ein, zwei Glas Rotwein trinken und dann ihre Leiblichkeit genießen. Beneidenswert, dache Sam und dabei kam ihm ein Gefühl hoch wie gärende Butter unter Sauerkohl. Dann sah er im Schatten eines Toreingangs eine dunkelhaarige Exotin, die sich genüsslich aus einer Tüte Gummibärchen in den Mund steckte Ein athletischer Typ, dessen Brust- und Rückenmuskulatur aus seinem T-Shirt herauswuchs, federte an ihr vorbei. Er hatte nicht nur die Kopfform eines Bull-Terriers, sondern auch dessen Haarschnitt.
Im Vorbeigehen hörte Sam einen Freier sagen: „Na, welche Farbe hat denn dein Höschen?“ „Kannst ja mitgehen, dann findest du es raus!“ Sie war südländisch gekleidet, mit glatten schwarzen Haaren und dunklen Augen . Noch blieb sie höflich, doch der Freier sprudelte im selben Tonfall weiter. Sam verstand nicht, was er sagte, und beobachtete, wie sie ihm zwei, drei scharfe Sätze entgegenwarf , sich dabei geräuschvoll in ihrem Kleid drehte und den Freier schnippisch abblitzen ließ. Sie hatte das gewisse Funkeln in den Augen, das er bei keiner anderen entdeckt hatte.
Sie kramte nach Zigaretten. Er mochte die Art, wie sie kurz den Späherblick umher warf, und sich dann wieder um ihren neuen Gast kümmern. Noch war keine Frage gestellt und Sam hielt sich in der Komfortzone eines Touristen auf. Aber er spürte, dass es ihm bei ihr schwer fallen würde, das Angebot zum Mitgehen mit der billigen Ausrede abzuschlagen, dass er erst noch eine Runde drehen wolle. „Wie heißt du ?“, fragte sie. „Ist doch egal“, grinste Sam. Sie stutzte „Hast recht, ist doch egal. Neulich ging ein 50 Euro-Kunde mit, und wir verabredeten, nicht zu sagen, woher wir kämen. Erst hielt er sich dran, dann fing er an: Sag mal, aus welchem Land kommst du eigentlich, bist du Deutsche. Gut, ich hätte sagen können, ich bin halb spanisch, türkisch“, „Oder italienisch“, fügte er ein, nur um nicht wortkarg zu wirken, und weil er fand, dass sie etwas Italienisches hatte. „Der hätte mir Alles geglaubt! Ich hab ihm gar nichts gesagt. „Wo ist dein Hotel?“, schränkte er nun die Komfortzone erheblich ein, stellte sich stattdessen eine andere Art Komfort vor. „Du gefällst mir“, sagte er. Sie nickte mit dem Kopf in die Straße rein und sie gingen nebeneinander wie Kumpel, oder wie Cousin und Cousine, die sich lange nicht gesehen hatten, und darüber erwachsen geworden, sich plötzlich attraktiv fanden. Zwei Polizisten kamen ihnen entgegen . Er schaute sie nervös an. „Ja, ich weiß, im Sperrgebiet darf man keine Kunden ansprechen“, sagte sie, „weder aus dem Auto“, sie deutete auf die Häuser, „noch in den Eingängen.. Aber bleib ganz cool“ lachte sie verächtlich.
„Ich bin 24, Touristin und wohne außerdem in Bremen.“
„Ich finde dich sympathisch, weißt du, das ist wichtig. Es ist nicht nur das Geld, ich muss jemand nett finden“ Sie hielt die Handfläche nach oben, die Zigarette zwischen den roten Fingernägeln, dann gab sie rasch eine kurze Preis-Leistungsübersicht. Die pistaziengrünen Hotelstiegen führten steil hinauf, und Sam fühlte sich nach Paris versetzt. „Magst du französisch“, fragte sie. „Neh, nicht so gerne“, grinste er. „Ach, da bist du aber eine Ausnahme.“ „Das kann sein“, warf er hin, „aber das kitzelt immer so!“
Der Schreibtisch im Empfang des Hotels wirkte verloren in dem mit Plüschsesseln ausstaffierten Raum. An der Kasse auf dem Tisch prangte noch der Preis vom Vorgänger: 10 Euro. Sam bezahlte wortlos und dachte: Das ist wie ein drittklassiger Stehimbiss! Da muss man auch vor der Mahlzeit bezahlen.
Sie schlenderte zu dem viertklassig ausgestatteten Zimmer. Es tat ihm leid, dass sie von den 50 nur 40 bekam, also rundete er die Summe wieder auf und legte das Geld auf den kleinen Nachttisch im dem muffig riechenden Zimmer. Sie schaute kaum hin und öffnete eine schmale Tür, um die Schwüle des Sommerabends in den dunklen Hinterhof zu entlassen.
Sie kickte ihre Schuhe unters Bett und hatte die Geschichte des Hotelbesitzers angefangen zu erzählen. Dabei hatte sie etwas Hastiges im Erzählen, so dass er ihr mit dem Ohr hinterherhinkte, während seine Augen abschweiften.. Ach so, sie wollte schon mal den ganzen Laden kaufen! Aber jetzt...... Sie nestelte am Reißverschluß des Kleides, als draußen der Besitzer nach ihr rief.. Sie zog den Reißverschluß wieder hoch und ging hinaus.
Er hörte sie draußen lachen und bekam einige Wortfetzen mit. „Neh, das war ich gar nicht.....aber wir haben uns doch immer gut verstanden.....“ Er überlegte, ob er, wenn sie wieder reinkäme, lieber liegen oder sitzen wollte. Dann bemerkte er, dass er nackt war und von daher war es eigentlich egal. Sie kam mit einem Redeschwall ins Zimmer, warf rasch die Kleider ab, und wusch sich ausgiebig mit gleitenden Bewegungen ungeniert vor ihm, und während sie erzählte, dass sie erfahren habe, dass der Besitzer, der ihr manchmal zuvorkommend, und ein anderes Mal widerborstig und zickig erschien, nicht ein und derselbe seien, war Sam fasziniert von ihrer körperlichen Schönheit. Die langen Haare fielen über ihre Brüste. Was machte sie denn da mit dem Waschlappen die ganze Zeit? „Der Hotelier hat nämlich einen Zwillingsbruder – und der war so link drauf!“ Tja, das habe sie eben erfahren, und das, nachdem sie den guten Mann nun schon 5 Jahre kenne! Sie rieb sich seit zwei Minuten ruhig ihr Geschlecht mit dem immer wieder ins Wasser gehaltenen Waschlappen.
Sie legte ein Tütchen über das Hütchen und stülpte es mit dem Mund über. Er war verblüfft, und lehnte sich zurück. Ein Schleier von Traurigkeit schien sich über ihr Gesicht zu legen. Ihr Gesicht war nah genug zum Wegstreifen der Haare und Streicheln der Wangen. Noch konnte er sich einen Akt gar nicht vorstellen. Er hatte noch kein Begehren einzudringen. Sie wollte ja nicht drängeln. Ließ die Möglichkeit durchblicken, und er rutsche auf ihren warmen Bauch . Doch je näher er ihr kam, um so weiter schien sie wegzurücken. Er schob sich eindringlich weiter, doch sie drehte nun den Kopf weg und stöhnte erst, wenn er kräftig zustieß. Jedoch, dass was ihr scheinbar gefiel konnte Sam unmöglich lange durchhalten.
Je mehr er seine Lippen ihrem Hals näherte, desto mehr schien sie sich zu entfernen. Blitzartig gingen ihm die Erfahrungen von Wissenschaftlern durch den Kopf, die eine ähnliche Erfahrung machten, wenn sie dem Atom zu Leibe rückten, und je näher sie dem Kern der Sache kamen, immer kleinere Teile fanden, und schließlich erlebten, wie sich Teilchen in Wellen verwandelten, und die ganze Sache immer ungreifbarer wurde. Sam hörte plötzlich in all dem kopflastigen Vorgang das Hängelinchen rufen: Hähä, das wird nix!
Er glitt von ihr herunter und mit milder Gleichmut nahm sie ihm das Tütchen wieder ab. Er spürte ihre Hand wärmer und stärkender. Er betrachtete ihren schönen Körper. Bereitwillig ließ sie ihn die Form ihres Liebesgartens sehen. Sam dachte sofort an ein Gemälde, als er dieses artischockfarbene Oval sah, das so weich war und doch so hart machen konnte. Die Form erinnerte stark an Oliven. Auch farblich ging es in diese Richtung, allerdings mit einem Ton ins Aubergine.
Der Eingang ihrer Liebeshöhle war noch von seinem Eindringen geöffnet Sam konnte sich nicht entscheiden zwischen erneutem Betreten der Höhle und optischem Delektieren. Das konnte jetzt aber auch gut kommen, dachte er, und als er kam, sah er einen verständnisvoll
zustimmenden Blick . „Na, alles o.k. mit dir?“
„Deine Privat Nummer gibst du nicht heraus, was?“ Sie schüttelte lachend ihre Haarpracht und entsorgte die gebrauchten Tücher.
Er rechnete still nach: Vielleicht ein mal die Woche....das käme im Monat.....
Eine vergleichsweise geringe Summe, dachte er, das ist zumindest billiger als eine Ehefrau!
Er wusste schon, als der Gedanke den dafür vorgesehenen Apparat verließ, dass dieser Satz zu den Verbotenen gehörte. Höchst anrüchig. „Ich bin immer Montags da“, sagte sie lächelnd und während sie ihm die Tür aufhielt, schwang noch einmal ihr Haar über die Schulter.
Eine geschlagene Stunde war herum, als er das Zimmer verließ. Sie verabschiedete ihn cousinenhaft und Sam stolperte die Hotelstiegen hinunter in die warme Luft des Sommerabends. Gelöst ging er zu seinem Auto und atmete mit den Augen noch mal das vom Asphalt aufsteigende grünliche Flimmern. Er fühlte kein Bedauern.