Auch eine Taktik
Gestern habe ich zu viel getrunken. So viel, dass es mir egal wurde, was Leute von mir denken. Ich fragte also einen Bekannten, den Freund meiner Bekannten, mit der ich mich in dieser stinkigen, übervollen Kneipe getroffen hatte, ob er nicht mal meinen Busen anfassen wolle.
Und er sagte Nein.
Wieso?
Gefiel ich ihm nicht? Stank ich so nach Bier aus dem Mund, dass ich ihn abstieß?
Hatte er Angst, seine Freundin könnte es bemerken?
Sie war gerade auf der Tanzfläche, wenn man die paar Qudratmeter neben der Jukebox so nennen konnte, aus der 80-ziger Jahre Hits dröhnten und hätte es garantiert nicht mitbekommen.
Oder wusste er insgeheim, dass dies nur der Anfang wäre?
Dass er, wenn er meine Brüste einmal berührt hätte, es kein Zurück gäbe? War ihm bewusst, dass ich so geil war, dass ich ihn auch mehr hätte machen lassen? Sagte ihm seine Erfahrung, dass auch er Lust auf mehr bekommen würde und wir es nach diesem ersten Schritt ohne Probleme auch gleich richtig auf der Theke hätte treiben können?
Nicht, dass ich ihn besonders attraktiv fände. Ich sah ihn zum ersten Mal gestern und dachte mir, als Steffi mir ihn vorstellte sofort, dass die beiden gut zueinander passen würden. Langweilig, prätentiös hip gekleidet, übertrieben sportlich, ein paar Knöpfe seines Designerhemds zu viel geöffnet und den Blick auf eine rasierte, künstlich gebräunte Brust freigebend.
Aber Trinken macht mich nun mal richtig geil. Oder ist es doch das Ungevögeltsein? Die Einsamkeit? Die Lust auf einen Körper an meinem, irgendeinem? Auf Hände an mir, die nicht meine eigenen sind? Lässt der Alkohol nur meine wahren Bedürfnisse sichtbar werden? Unterdrücke ich meine Lust nur und lässt der Alkoholpegel im Blut meine echte Persönlichkeit zum Vorschein kommen?
Wenn er meine Brüste angefasst hätte, würde ich ihn danach wohl geküsst haben. Ich glaube, mir ging auch durch den Kopf, dass ich ihm im Gegenzug ja zwischen die Beine hätte fassen können. Und dass wir auf die Toiletten hätten verschwinden können, wenn mir gefiel, was ich da in die Finger bekam.
Ich bin froh, dass er es nicht getan hat. Ehrlich. Wie peinlich wäre es gewesen, wenn er sie zu fest gedrückt hätte, mir seine Zunge in den Hals gesteckt hätte, um meinen Aufschrei zu unterdrücken. Wie feucht wäre ich vielleicht geworden, wenn er auch in die zweite gekniffen hätte, um sich an meinem sich windenden Körper aufzugeilen. Wenn er sich hart und unbeugsam an mir gerieben und meinen Rock hoch geschoben hätte.
Genug, in diese Richtung wollte ich gar nicht darüber nachdenken. Nein, es wäre Steffi gegenüber doch wohl sehr gemein gewesen. Ich meine, sie geht mir auf die Nerven, aber es war nett von ihr, mich einzuladen. Damit ich mal wieder unter Leute käme. Ob ich das eigentlich will, interessiert sie nicht, sie meint zu wissen, was gut für mich ist. Ich weiß genau, was gut für mich wäre. Unter einen Mann will ich kommen, nicht unter Leute. Unter ihn, auf ihn, über ihn, mit ihm, völlig egal. Und bald.
Mist, ich hoffe, er erzählt es Steffi nicht, das wäre eine ziemliche Blamage. Ich werde es ihr ansehen, wenn ich sie Montag auf der Arbeit treffe. An ihrem Gesicht werde ich ablesen können, ob ihr Freund ihr verraten hat, dass die arme, einsame Kollegin, die so dringend ein bisschen Gesellschaft braucht, ihn angebaggert hat, hinter ihrem Rücken. Mir doch egal.
Er hat ihr dann auch gesagt, er hätte abgelehnt und welche Frau würde das schon glauben. Ich werde, falls sie wirklich so naiv ist, einfach behaupten, er würde sich über sie lustig machen und etwas erfinden, um als Hengst da zu stehen. Oder ihr vorheulen, es täte mir ja so wahnsinnig leid, dass ich diejenige sein müsste, die es ihr sagt, aber die Wahrheit sei, dass er jedem Rock hinterher hechle, sobald sie sich umgedreht hätte und dass er mir andauernd an die Wäsche wollte. Schade, wenn ich auf diese Weise eine Beziehung zerstören müsste, aber man muss ja schließlich seinen guten Ruf wahren.
Von wegen, guter Ruf. Mein Leumund hat nach der Eskapade mit Frank letzte Woche sowieso den Lack ab. Natürlich leidet er keineswegs darunter, dass wir in aller Öffentlichkeit beim vermeintlichen Poppen ertappt wurden. Ihm wird dafür eher auf die Schulter geklopft, mich flach gelegt zu haben. Wenn`s nur so wäre! Dass es letztendlich gar nicht zum eigentlichen Akt kam, ist ja das Schlimmste daran. Ich bin als die Bürohure verrufen, obwohl ich immer noch genauso ungevögelt bin wie vorher, nur weil der Idiot darauf bestand, wir sollten weitestgehend ohne Bekleidung den Konferenzzimmertisch `einweihen`.
Was soll ich nur machen? Ist der Ruf erst mal dahin, macht es doch nichts mehr aus, aber dass mir die gesamte männliche Belegschaft seit der Sache mit Frank abwechselnd den Kaffee ins Büro bringt und mir eindeutige Andeutungen macht, ist eher eklig. Mit keinem von diesen Hampelmännern würde ich mich nüchtern abgeben. Da bräuchte ich so einige Promille, um mir die schön zu trinken.
Ich glaube am besten ist, wenn ich morgen wieder aus gehe. Und ordentlich einen über den Durst trinke. Dann könnte es klappen!