Schwein!
Ich habe Bastie geküsst. Ein hoch aufgeschossener, geradezu athletischer Mann mit einem wundervollen Mund. Sanfte Lippen mit leicht spöttischem Schwung bedeckten seine strahlend weißen Zähne. Blitzblanke, blaue Augen konnten so sehr leuchten, dass Du Dich für die schönste Frau dieser Erde hieltest. Er schaute mich an – und ich strahlte. Er sagte etwas und ich lachte zu laut. Er schaute nach Etwas und ich sprang auf, um es ihm zu holen. Und als er mir am dritten Abend sagte, dass er schon so lange auf eine Frau wie mich gewartet hätte und nun keine einzige Sekunde länger warten könne, da schmolz ich in seinem heißen Blick wie ein Schneeball im lodernden Kaminfeuer. Ich habe Hepatitis C.
Das klingt vielleicht im ersten Moment wie ein Vitamingetränk – in Wirklichkeit ist es aber das, woran ich in den nächsten Tagen oder Wochen sterben werde. Eine tödliche Virusinfektion und es reicht schon, einen Infizierten zu küssen, um sich selber anzustecken.
Schon während wir in seinem Bett lagen, fühlte ich mich nicht mehr wohl mit ihm. Er war lieblos und starrte an mir vorbei, während er in mich eindrang. Aber unfähig, mich wichtig zu nehmen, ließ ich ihn gewähren. Ich bemühte mich sogar, es schön für ihn zu machen und atmete ein bisschen schneller. Ich glaube, dass ich gerade sogar damit anfangen wollte, mir die ganze Situation schön zu reden. Doch da war er bereits fertig. „Dusch bitte zu Hause. Ich will noch weg.“ sagte er. Noch immer unfähig zu begreifen, was wirklich geschah, beeilte ich mich, ihm ein „ach so. Ja sicher. Kein Problem!“ zu geben und kramte meine Sachen zusammen. Ein letzter Anflug Menschlichkeit ließ ihn sagen, dass er mich anrufen würde. Ein letzter Anflug Naivität ließ mich das glauben.
Wir haben nur dieses eine Mal miteinander geschlafen und uns nur zu dieser einen Gelegenheit geküsst. Die Wahrscheinlichkeit, davon AIDS oder Hepatitis C zu bekommen, war ähnlich gering zu der eines hohen Lottogewinns.
Nachdem meine Ärztin mir so mitfühlend wie möglich meine Zukunft begrenzte, war mir eigentlich sofort klar, dass das Virus nur von „ihm“ sein konnte. Ich rief ihn an und solange er noch nicht begriffen hatte, dass ich es bin, war er charmant und schenkte mir ein paar kleine Freundlichkeiten. Fast wollte ich so tun, als sei ich eine Fremde, die sich nur verwählt hätte. Ich wollte einfach noch einmal ein wenig die letztmögliche Zuwendung eines Mannes gierig in mir aufsaugen. Ich weiß nicht, ob Jemand das nachvollziehen kann? Ich durfte ab dem Moment der Diagnosestellung niemanden mehr küssen. Niemals wieder. Bis an mein nahes Lebensende. Für mich war küssen immer das Wichtigste überhaupt. Küssen ist intimer als Sex.
Aber ich wollte dann doch nicht noch einmal in seine Falle tappen und so sagte ich mit möglichst fester Stimme: „Ich bin´s. Sandra.“ Es folgte eine kurze Pause. „Welche Sandra?“ fragte er und schien noch immer interessiert. Es dauerte dann noch eine ganze Weile, bis er sich endlich an mich erinnerte und sein Interesse von einem Moment zum nächsten verschwand. Also kam ich schnell zum Punkt und sagte ihm, dass er mich wohl bei ihm mit dem Hepatitis-C-Virus angesteckt habe. „Na wenigstens biste nicht schwanger!“ sagte er und legte auf.
Das ist jetzt knapp 2 Jahre her und ich weiß seit 18 Monaten, dass ich diese Lebererkrankung habe. Ich war bei einem Anwalt und es wurde gerichtlich verfügt, dass Bastie sich einem Bluttest unterziehen musste. Auch er ist positiv, also infiziert und so verklagte ich ihn wegen fahrlässiger Tötung – und das, obwohl ich ja noch lebe! Aber mein Anwalt sagte, dass das in so einem Fall üblich sei.
Vor Gericht sollte Bastie dann aufgrund der Ergebnisses alle seine Sexualkontakte der letzten Jahre nennen, doch er hat nur gelacht und gesagt: „Ehrlich, selbst wenn ich dafür in den Bau muss, aber ich kann das unmöglich beantworten. Ich wusste doch nicht mal mehr den Namen von ihr da!“ Mit diesen Worten zeigte er auf mich und mir wurde kalt.
Im Leben traf sie einen Mann
vor dem sie Dich nur warnen kann
er gibt Dir alles, was Du willst
bis Du ihm sein Verlangen stillst,
dann ist er ganz schnell weg, ich wette
er rennt bereits zum nächsten Bette.
Natürlich macht er´s ohne Schutz
er sieht ja nicht den Vorhautschmutz
so fickt er sich von Loch zu Loch
und eines Tages krankt er doch.
er schwört und betet und gibt an
dass er sich wirklich ändern kann
doch kaum ist er dann halb gesund
senkt er sein Ding in neuen Grund,
Er wird so sein, so lang es geht
bis er dann wirklich nicht mehr steht
dann ist er welk und krank und alt
die jämmerliche Schwanzgestalt.
Und eines Tages stirbt er dann
er kommt am Himmelstore an
sagt sich – egal, ich hab gelebt
hab mitgenommen, was nur geht.
Und die Moral von der Geschicht
so richtig glücklich war er nicht
denn diesen dummen kleinen Schmerz
verstand er nie – es war sein Herz.
Ganz gleich, wie es vor Gericht noch weiter geht, ob er mir Schmerzensgeld zahlen muss oder nicht, das alles spielt überhaupt keine Rolle mehr für mich. Und es tröstet mich auch nicht, dass es in Deutschland noch rund 500 000 andere an Hepatitis C erkrankte Menschen gibt. Mir ist alles total egal geworden, nichts hat mehr eine Bedeutung für mich, denn meine Leber frisst sich selber auf, bis sie komplett weg ist. Verstehen Sie?
Ohne Leber – kein Leben. So ist das nun mal.
c by Tasoan