die Urlaubspanne
An diesem Nachmittag, an dem ich Jochen kennenlernte, war ich als Schwimmlehrerin-Aushilfe eingesprungen. Ich sollte Gloria, einer Animateurin meiner Reisegruppe, beim Beaufsichtigen der Kinder in der vom Hotel eingerichteten Spielgruppe helfen. Da mein Urlaub bis jetzt aus Dösen am Swimmingpool bestanden hatte, der fortwährend von den lärmenden Kleinen im Nichtschwimmer-Becken gestört worden war, drehte ich den Spieß einfach um, wurde aktiv und brachte etwas Ordnung in die nervtötende Bande.
Die, die schon das Seepferdchen-Abzeichen besaßen, durften ihre Bahnen allein mit ein paar Schwimmhilfen zurücklegen, mit den Kleinsten und absoluten Nichtschwimmern plantschte ich im knietiefen Wasser und versuchte, mir Augen im Rücken wachsen zu lassen, um alles zu überblicken, was sie sich einfallen ließen.
Gerade als ich mal wieder am Beckenrand hing und Taschentücher aus der Dose herauszufischen versuchte, die
spritzwassergeschützt auf Armlänge bereit stand, um den Rotz und das Chlorwasser aus der Nase eines gerade den Windeln entwachsenen Quälgeistes zu entfernen, fiel mein Blick auf ihn.
Nachdem ich acht Tage lang erfolglos Ausschau gehalten hatte nach einem solchen Prachtexemplar, das nicht mit Frauchen oder gar Großfamilie hier abgestiegen war, hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben. Doch da war er. Allein, sich interessiert umsehend, schlank, noch blass im Vergleich zu den länger anwesenden Sonnenanbetern, und im Ganzen jemand, der sich für seinen Anblick in Badehose nicht schämen musste.
Ich presste den Jungen in meinem Arm schnell ein paar Ringe auf die Arme und schubste ihn in die Bauchlage, sorgte dafür, dass er den Kopf oben hielt und machte Gloria Zeichen, dass ich mal kurz Pause machen wollte.
Der Adonis hatte sich gemächlich schlendernd einen der Liegestühle ausgesucht und breitete sein Handtuch darauf aus. Vornüber gebeugt sah er äußerst appetitanregend aus, nicht zu viele Haare, stramme Muskeln, genau was mein Doktor mir verschrieben hatte. Nun, er hatte gesagt, ich solle mich erholen und mal wieder ein bisschen Spaß haben, weil ich zu viel arbeiten würde. Wenn ich mir den zu erwartenden Spaß mit diesem Mann auszumalen versuchte, deutete ich die Worte meines Arztes gerne so, dass ich ihn kennenlernen musste!
Doch jetzt musste ich aus dem Wasser raus, und er war nur wenige Meter von mir entfernt! Zum Glück hatte ich erst gestern das ganze Wellness-Brimborium im Hotel einmal ausprobieren wollen und mir die Bikinizone gestalten lassen, mein Badeanzug war diesmal sportlich und nicht nur minimalistisch gewählt, da ich mich auf grapschende Händchen viel kleineren Formats eingestellt hatte, und verdeckte adäquat eventuell sichtbare Problemzönchen.
Ich glättete mir die Haare mit den Händen und setzte mich aufrecht – also Brust raus, Bauch rein – hin, zupfte mir sichtlich verträumt den doch knappen Stoff auf der sonnengebräunten Haut zu Recht, dabei auf eventuelle Rotzspuren oder Ekligeres achtend, und stand langsam auf.
Ohne offensichtlich in seine Richtung zu sehen, nahm ich mein Handtuch und wickelte mich locker hinein, sah jedoch aus den Augenwinkeln eine Gruppe von älteren Frauen – also mindestens fünf Jahre mehr als ich – von der Art Kegelschwestern – sich ihm kichernd nähern. Sie trugen jede eine Flasche Hochprozentigem bei sich und schwankten am Poolrand gefährlich auf ihrem Weg zu den besten Liegen. Sie würden doch nicht.. Wenn sie ihn ansprächen, würde er fliehen. Und ich wusste nicht mal, ob er in meinem, oder einem der benachbarten Hotels logierte, die die Poolanlage gemeinschaftlich nutzen.
Zum Glück kicherten und schwankten sie sich ihren Weg weiter, an ihm vorbei, Richtung Bambushütte, wo sie sich mehr zu Trinken holen würden. Er beachtete sie kaum. Gut. Jetzt kam mein Auftritt. Ich würde mich in seine Nähe legen und dann ganz ungeschickt mit meiner Sonnenölflasche herumhantieren, dabei leise fluchen und mich winden, bis er auf mich aufmerksam würde, ihn anlächeln und bitten, ob er mir beim Einölen behilflich sein könnte. Ein unfehlbarer Plan.
Es kam jedoch anders. Mit dem Handtuch pareogleich um meine Hüften geschwungen bewegte ich mich grazil und völlig unschuldig auf ihn zu. Ja, er sah hin, ich sah zu den Kindern zurück, winkte freundlich und rief ihnen zu, ich würde später gerne wiederkommen – so wusste er, dass ich Deutsche war, und wäre gleich geklärt, wie er mich anzusprechen hätte. Doch dann geschah es. Als ich mich elegant umdrehte und auf eine Liege, der dritten neben seiner zusteuerte, rutschte ich aus in einer Schleimspur aus Alkohol, den die Kegeldamen wohl verschüttet hatten. Der penetrante Geruch von Chlor mit Eierlikör stieg mir in die angeschlagene Nase, als ich der Länge nach hin fiel und alle viere von mir gestreckt liegen blieb. So ein Pech aber auch.
Jochen, wie der Adonis sich vorstellte, als er mich liebevoll auf dem Weg zur Erst-Hilfe-Station stützte, kam gleich zu mir gerannt. Und wenn es nicht so verdammt weh getan hätte – blaue Flecken und ein aufgeschlagenes Knie plus eine hässliche Schramme auf der Nase waren die Folgen – würde ich die Masche glatt in mein übliches Repertoire aufnehmen. Wir sind nämlich den Rest des Urlaubs unzertrennlich geblieben. Er wurde zwar nicht braun, da wir meist auf dem Zimmer blieben, aber wir erholten uns und hatten Spaß, so sehr, dass ich noch Monate davon zehrte, nachdem wir gemeinsam zurückgeflogen waren. Dem Alltag hielt die Beziehung dann doch nicht stand, aber das ist eine andere Geschichte. Es lebe der Nightinghale-Reflex von echten Gentlemen.