Morning has broken - oder: Mein Morgen_grauen
Sechs Uhr: Die angelehnte Tür zu meinem Schlafzimmer öffnet sich langsam, Krallen klickern auf dem Parkett, meine Matratze senkt sich am Fußende leicht unter ihrem Federgewicht. Die Beherrscherin meines Lebens hat ihren Auftritt, ihre Majestät - die Katze - will mich freundlich aber bestimmt daran erinnern, dass ihre Fütterungszeit naht.
Woher ich - ohne Blick auf die Uhr - weiß, dass es sechs Uhr ist? Ich kenne die Gewohnheiten meiner Katze und verfluche jetzt im tiefsten Winter die Sommermonate, in denen ich - aufgeweckt vom ersten Lichtstrahl durch mein Dachfenster - sie mit frühmorgendlichen Gaben aus dem Hause Whiskas entsprechend programmierte.
Unten fällt die Wohnungstür ins Schloss, mein nunmehr der Arbeitswelt angehörender Sohn verlässt das Haus - wie immer kurzvorknapp - keine Zeit, die Katze zu füttern.
Auch ein gewisser Druck auf meiner Blase signalisiert mir, aufzustehen. Seufzend rolle ich mich aus dem Bett. Die Katze, die schon sehnsüchtigst darauf gewartet hat, schlüpft vor mir zur Schlafzimmertür hinaus und biegt zielgerichtet nach rechts zur Treppe ab, die ins untere Geschoss meiner Wohnung führt, ich biege nach links ab und tappse ins Bad. Erleichtert befreie ich mich vom Inhalt meiner Blase und wanke ins Schlafzimmer zurück, wickele die warme Decke um meinen erkalteten Körper und betätige die innere Schlummertaste.
Sechs Uhr dreissig:
Die Katze - enttäuscht, dass ich ihr nicht in die Küche gefolgt bin - inszeniert ihren zweiten Auftritt mit verschärftem Weckprogramm. Wäre es jetzt Sommer und meine Füße nicht in wollene Bettsocken gehüllt, würde sie mir nun inbrünstig am dicken Zeh nuckeln. Dieser Weckmethode beraubt, stolziert sie einmal quer über mein Kopfkissen, ihr weiches Fell streift meine Wange, ihr Haar kitzelt in meiner Nase. Unwillig murmelnd wende ich mich ab und drehe mich um. Madame lässt sich davon nicht abschrecken und wechselt die Seite. Nun gut, da sie es nicht anders zu wollen scheint, greife ich nach ihr, bugsiere sie in Löffelchenstellung vor meinem Bauch und reagiere mein unbefriedigtes Zärtlichkeitsbedürfnis an ihr ab. Eine Weile lässt sie sich das Streicheln ihres wolligen Bäuchleins hoheitsvoll duldend gefallen, dann entflieht sie meinen bedürftigen Armen. Wieder drehe ich mich um und versuche, die verlorenen Traumfetzen einzufangen.
Sieben Uhr:
Mein Bewußtsein kämpft sich mühsam wieder an die Oberfläche und versucht mir mitzuteilen, dass ich aufstehen, duschen, mich anziehen, ins Büro fahren - ach ja, und die Katze füttern sollte, die sich inzwischen einer Hauptfeldwebeloberkommissarin gleich auf ihren bevorzugten Posten auf einem zwei-Meter-hohen Schrank begeben hat, um jede meiner Bewegungen unter Kontrolle zu behalten. Ich wälze mich aus dem Bett und begebe mich erneut nach links in Richtung Badezimmer. Hinter mir höre ich ein dumpfes "Plopp", als die Katze vom Schrank springt, um wieder nach rechts in Richtung Treppe abzubiegen.
In der Badewanne sitzend lasse ich aus dem Duschkopf heißes Wasser über meinen matten Körper prasseln - Pfarrer Kneipp würde jetzt kalte Güsse empfehlen - Pfarrer Kneipp kann mich mal am ... Morgen besuchen - dann erzähle ich ihm, was ich von kalten Güssen auf meinem Luxuskörper halte. Schemenhaft nehme ich im morgendlichen Zwielicht des Badezimmers auf den weißen Fliesen die Katze wahr, ein Bild mahnender Erinnerung. Von meiner Haut prallen Duschtropfen ab und treffen die Katze. Unter maunzendem Protest tritt sie den Rückzug an. Ich spüle die Schaumreste von meinem Körper und trockne mich ab. Vor der Badezimmertür sitzt wartend die Katze und schaut mich vorwurfsvoll an.
Sie läuft geradeaus in Richtung Treppe, ich biege nach rechts ab und lege mich wieder ins Bett, um meine immer noch leicht feuchte Haut unter der Bettdecke trocknen zu lassen.
Sieben Uhr dreissig
So langsam zu Bewusstsein kommend, greife ich nach meinem iPad und rufe die Joy-Seite auf. Überfliege einige Nachrichten und bleibe dann bei der Benachrichtigung für eine neue Kurzgeschichte hängen.
"Ah, eine neue Geschichte vom dornroeschen - über Romantik - wie schön. Später im Büro werde ich sie noch einmal lesen und ihr einen begeisterten Kommentar schreiben - später!"
Sieben Uhr fünfundvierzig
In zehn Minuten fährt ein Bus in die Stadt. Obschon mich die Vorsehung der beamtenrechtlichen Vorschriften zur Gleitzeit mit der großzügigen Möglichkeit verwöhnt, meine Arbeit zwischen sieben und zehn Uhr morgens antreten zu dürfen, mag ich auch nicht zu spät beginnen, um abends nicht allzu lange bleiben zu müssen.
Ich stehe also entschlossen auf, greife nach irgendwelchen am Boden verstreuten Kleidungsstücken und ziehe mich an. Sammele Handtasche, Handy, Jacke, Buch für die Busfahrt, Zigaretten, Feuerzeug ... ein und öffne die Schlafzimmertür. Dort wartet schon die Katze. Mein Gehirn sendet sehnsüchtige Impulse nach Kaffee und Nikotin, mein Magen grummelt.
Ich gehe zur Treppe, vor mir läuft die Katze, ich steige die ersten Stufen hinab, die Katze streicht über die Stufe unter mir und dreht sich erwartungsvoll um, ob ich ihr diesmal auch endlich wirklich folge, mein bestrumpfter Fuß bleibt am Katzenkörper hängen, ich gerate auf der Steinstufe ins Rutschen, ich strauchele, ich falle, ich überschlage mich, ich bleibe am Fuß der Treppe liegen ...
Mein letzter Gedanke: "Wer füttert jetzt die Katze"
• dann umfangen mich Dunkelheit, Vergessen, Frieden ...