Balkonfreuden (II)
Empört knallte Anita den Hörer auf die Gabel. Als wenn sie nicht wüsste, dass Ev zu Hause auf dem Balkon saß und nur wieder nicht ranging. Wahrscheinlich lachte sie sich gerade halbtot statt anzuerkennen, dass ihre Umwelt es gut mit ihr meinte. Anita bebte und goss sich einen Martini ein. Sie trank einen Schluck, warf den Kopf in den Nacken und stolzierte durchs Wohnzimmer."Ich habe auch einen Balkon. Du kannst mich mal", fauchte sie leise vor sich hin. Sie stolperte über die Türschwelle und fluchte wenig damenhaft, "Narr, Närrin, Anita!"
Wenigstens hatte sie den Drink nicht verschüttet. Sie setzte sich in ihren Plastikstuhl und ruckelte auf der Schaumstoffunterlage herum. "Es müsste herrlich sein, einen Stuhl mit hoher Lehne zu haben, so eine mit integriertem Nackenstützkissen", sinnierte sie leise. Aber 29,80 Euro? Der wurde bestimmt im Sommerschlussverkauf noch heruntergesetzt.
Unten breitete sich ein ohrenbetäubendes Tatütata aus. Erschrocken fuhr sie hoch. Wahrscheinlich war Ev, tollkühn wie sie war, auf der Balkonbrüstung herumgeklettert, um die Hängeranien von welken Blüten zu befreien, statt sich die trittsichere Klappleiter zu holen!
Anita stürzte den inzwischen körperwarmen Martini auf Ex, knallte das Glas auf den Balkontisch und raste zurück ins Wohnzimmer. Ihre Hand zuckte zum Telefon. Was für eine absurde Idee. Wenn Ev abgestürzt war, würde sie kaum telefonieren können! Anita verschloss die Balkontür und lief in den Flur. Hektisch ergriff sie die beige Handtasche und ihre Schlüssel. In der Eile achtete sie weder darauf, dass sich die Handtasche farblich mit der weißen Hemdbluse biss, noch dass sie ihre rosa Plüschpantoletten trug.
Sie rannte vor's Haus und eilte um die Kurve. Es war wohl besser, das Auto zu nehmen. Letztens hatte Ev ihr gesagt, "meine Hormone sind wieder aktiv. Ich fühle so eine unbeschreibliche Leichtigkeit!" Wer weiß, was daraus wurde!
Halb blind vor Sorge lief sie gegen einen stämmigen Feuerwehrmann. "Halt, halt, junge Frau!", sagte er. "Hier können sie nicht durch. Wir starten heute die Kanalrattenbekämpfung, allerdings etwas außerplanmäßig früher als in der Zeitung stand, weil da unten im Loch ein Rauhaardackel verzweifelt um sein Leben kämpft. Gehen sie bitte nach Hause und schließen sie Türen und Fenster!"
In Anitas Kopf wirbelten psychedelische Feuerräder. Sie atmete schwer, und wandte sich gehorsam ab. Plötzlich fiel ihr Blick auf ihre Pantoletten und sogleich nahm ihr Kopf die Farbe derselben an. Der Blick auf die unpassende Handtasche verursachte einen Farbverlauf hin zum purpurlilaschwarz. Die Scham trieb ihr die Tränen ins Gesicht. Das war eindeutig noch erniedrigender als der Spruch von dem Typen damals in der Dorf-Disco in Haarzopf, weil sie lila Spangen im Haar zu einer roten Bluse trug. "Wohl aus der Villa Kunterbunt geflohen", hatte der gesagt. Das war das erste und einzige Mal gewesen, dass sie in so einer Disco gewesen war.
Sie wankte ins Haus, schloss mit letzter Kraft die Wohnungstür auf, schleppte sich hinein und schob sie wieder zu. An all dem war nur Ev schuld! Und sie selbst war eine blöde Gans, dass sie sich das immer so zu Herzen nahm!
Aber jetzt war schon alles egal! Sollten doch die Nachbarn denken, was sie wollten! Anita griff zur Flasche und gönnte sich einen kräftigen Hieb! Sie war auch locker! Sie konnte Martini ohne Glas trinken!
Nachdem sie ihren Hustenanfall überwunden hatte, griff sie mechanisch zum Hörer.
Ev starrte auf das Display. Anita natürlich. Aber sie konnte sie ja nicht ewig auflaufen lassen. So herzlos war sie nun auch wieder nicht. Sie nahm den Hörer ab und seufzte laut auf.
"Ev? Evvvvvvvvvvvvvvv??????????? Ist alles in Ordnung bei dir? Himmel, soll ich den Notarzt rufen? Erst das Tatütata, dann der rattengeplagte Dackel und jetzt seufzt du? Ev?????????????????"
"Anita. Es ist alles in Ordnung. Ich übe nur für eine neue Rolle. Ich spiele demnächst im erotischen Theater in einem Stück mit. Es heißt "Das Meerschweinchen, die Lüsternheit alter Männer und der Krieg gegen das Gockelsperma...."
Tuuuuuuuuuuuuuut.
(c) Sylvie2day, 30.07.2013
@*******erz: Konnte ich Deine Fragen beantworten?