Lebenslauf
Ehrlich gesagt, ich kann Bullen nicht ausstehen. Sie sind irgendwie alle gleich. Machen auf dicke Hose, geben den Stahlfresser mit Überblick und verheddern sich im falschen Augenblick in alberne Hahnenkämpfe über Zuständigkeiten und Rangordnungen. Ich weiß, wovon ich rede. Mein Vater war einer, und sein Vater auch. Drei meiner Onkel übrigens ebenfalls.
Nur Onkel Paul war aus der Art geschlagen und Postbeamter geworden. Großmutter sagte immer, sie wusste es bereits an ihrem vierzigsten Geburtstag. Paul war sieben Jahre alt und brachte ihr Tulpen. „Ich möchte gar nicht wissen, wo er die her hatte“, sagte sie an diesem Punkt ihres Lamentos immer. „Wir hatte doch kaum Geld. Ein Polizistengehalt und acht Kinder. Er reichte nur für's Nötigste!“
Die anderen vier Kinder waren übrigens Mädchen und nicht aus der Art geschlagen. Sie heirateten alle Polizisten. Meine drei Tanten waren, wie könnte es anders sein, die Töchter von Polizisten. Nur Onkel Paul war auch diesbezüglich aus der Art geschlagen. Er hat nie geheiratet. Zum großen Kummer meiner Großmutter natürlich. „Aber wenigstens ist er ein anständiger und sparsamer Junge“, sagte sie. „Teilt sich die kleine Wohnung mit einem Kollegen, der auch unverheiratet ist. Ist ja sicher nicht schön, so zu Zweit in einem Bett. Aber er kannte es als Kind ja auch nicht anders. Acht Kinder, vier Betten. Da war es schon gut, dass sie gleichmäßig verteilt waren. Obwohl Mädchen in einem gewissen Alter ja immer recht übermütig sind.“
So, nun kann man hochrechnen, dass diese Tanten Brüder hatten, die natürlich Polizisten waren. Und so weiter und so fort. Meine Einschulung war eine Betriebsversammlung des achten und den zwölften Reviers. Vom neunten waren auch ein Haufen Leute da, die Nachbarn aus der Siedlung. Sie trugen alle ihre Uniformen. Ich bezweifle, dass sie zivile Kleidung besaßen. Zumindest tragen sie in meiner Erinnerung immer Uniform.
Andere Kinder hatten außer Äpfeln und Orangen Schokoladentafeln in ihrer Schultüte. Ich fand nur Äpfel und „blaue Bohnen“, geröstete Erdnüsse, die in blau eingefärbtem Karamell ertränkt waren.
„Damit Du weißt, was aus Dir werden wird!“, sagte Onkel Phil, der Kleine. „Nicht, dass Du aus der Art schlägst wie Onkel Paul““, ergänzte Onkel Phil, der Lange.
Gab es eigentlich jemals eine Familienfeier, bei der nicht wenigstens einer mit verbundenen Körperteilen herumlief? Die anderen schlugen ihm dann anerkennend auf die Schulter. „Versink aber nicht in den Federn“, hieß es dann. „Sieh zu, dass Du bald wieder Innendienst machen kannst. Und geh Schwimmen, dann kommt die Beweglichkeit bald wieder!“
Die Kugeln, die sie sich im Laufe ihres Lebens herausoperieren ließen, wurden in Großmutters Orangenschale gesammelt. Die hieß so, weil Tante Jane als kleines Mädchen die Schüssel wegen der aufgemalten orangenen Kringel so getauft hatte.
So bald ich konnte, habe ich mich davon gemacht. Alles, aber kein Bulle werden. Und kein schwuler Postbeamter. Ich habe abgeschlossen mit dieser Familie und jeden Kontakt abgebrochen. Ich gehe meinen eigenen Weg. Ich habe sogar meine eigenen Visitenkarten. Gestatten: James MacMahon III., Privatdetektiv.
© Sylvie2day, 05.04.2013