F 220 Kapitel 7b „Scham“
Das Blut in meinen Adern kocht vor Wut und Hass. Wie kann es dieser elende Sünder nur wagen, mich zu zwingen, meine Kleidung abzulegen? Mich…Judith – die Reine vor dem Herrn, die sich unter schrecklichen Qualen von allen ihren Sünden mit Hilfe des Predigers geläutert hat, die ihrem früheren Leben und dem schwachen Fleisch abgeschworen und ihren unbedingten Willen über den grausamen Schmerz gestellt hat.
Wie wird sich dieser Satan gebärden, wenn ich nackt und schutzlos vor ihm stehe? Sich mit mir gegen meinen Willen gotteslästerlich vergnügen, mich für seine Lust benutzen und dann, wenn sein Trieb gestillt ist, meinen geschändeten Körper dieser Madame-Raubkatze zum Fraß vorwerfen?
Ich wage nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Alles wäre umsonst gewesen – das Training, der Drill, die Schmerzen und meine Hoffnung auf einen Neustart in einer besseren, von aller Schuld gereinigten Welt, zu leben – alles umsonst.
Ich höre wieder die Stimme des Predigers in meinem Kopf hallen, dass alle Sünder ihrer gerechten Strafe durch einen geweihten Vollstrecker zugeführt werden müssen, dass es vorher keine Chance auf Erlösung gibt.
Der Warnschuss schlägt knapp über meinem Kopf in der Decke ein und ich sehe in seinem Gesicht wilde Entschlossenheit. Die nette aufgesetzte Maske der vorgetäuschten Menschlichkeit von vorhin ist verflogen. Die sündige Kreatur zeigt ihr wahres Gesicht.
In seinem irren Blick funkeln nun seinerseits unbändiger Zorn und Ekel. Sein Körper ist angespannt und er wartet nur darauf, dass ich mich falsch bewege. Er ist nur einen Wimpernschlag davon entfernt, mich mit unerfüllter Mission vor meinen Schöpfer zu schicken, sollte ich nicht augenblicklich gehorchen.
Wie in Zeitlupe registriere ich, wie sich sein Finger gen Abzug krümmt.
So kann ich nicht vor den Allmächtigen treten, gescheitert und in Schande. Meine unsterbliche Seele ist in höchster Gefahr, ich habe schreckliche Angst vor den unüberschaubaren Konsequenzen meiner Sturheit, doch nicht vor dem Sünder selbst sondern vor dem Gottes Gericht.
Ich habe Angst vor dem Höllenfeuer, das mich erwartet, wenn ich scheitere.
Ich spanne meinen Körper in Erwartung der Exekution an. Lieber bin ich tot als nackt vor diesem Monster zu stehen und die Schändung meines Leibs durch ihn zu ertragen!
Doch in allerletzter Sekunde gewinnt die indoktrinierte Pflichterfüllung meinen inneren Kampf. So lange ich noch atme, kann die Mission noch erfüllt werden!
Mit hasserfülltem Blick werfe ich ihm meine Lederjacke vor die Füße. Nach einer kurzen Pause und einem tiefen Seufzer ziehe ich das dreckstarrende T-Shirt über den Kopf und lasse es achtlos zu Boden fallen. Überrascht blickt mich das Tier an.
Jawohl – ich trage keinen BH! Wozu auch?
Meine Brüste sind klein und fest, sie stehen von allein und benötigen keinen künstlichen Halt. Mein Dekolleté hat sich seit meinem Titelgewinn zur „Miss Mieder“ bei irgendeinem dämlich dekadenten Oktoberfest im früheren Leben nicht groß verändert, doch dies war Claudia nicht Judith.
Claudia ist schwach, Judith dagegen ist stark!
Meine Stiefel und Socken streife ich langsam ab. Tränen der Scham rinnen aus meinen Augenwinkeln als ich den Reißverschluss meiner Hose öffne. Himmel bitte – ich ertrage es nicht, dass dieses Tier mich die ganze Zeit über anstarrt!
Ich weiche seinem bohrenden Blick aus.
Womöglich regt es sich bereits erwartungsvoll in seiner Körpermitte!
Mir ist so übel bei diesem Gedanken, dass ich zu würgen beginne, doch es ist nichts weiter mehr in meinem Magen, was ich ausspeien könnte, nicht einmal mehr bittere Galle.
Um wenigstens etwas Privatsphäre zu haben, drehe ich ihm den Rücken zu, als ich meine Beinkleider abstreife, schließlich fällt noch das letzte Stück meiner Schutzhülle, mein Slip. Ich denke sehnsüchtig an das Karambit im Rucksack.
Wie gerne hätte ich es nun in meiner Hand, um dieser lüsternen Schlange hinter ihr, die Kehle durchzuschneiden. Wo ist der Rucksack nur?
Während ich mich zu erinnern versuche, wo ich ihn das letzte Mal gesehen hat, fließen meine Tränen nun in einem steten Strom über meine Wangen und tropfen auf den kalten Granitboden.
Jetzt bin ich nackt. Mit dem letzten Rest Stolz drücke ich meinen Rücken durch und ätze ihm entgegen:
„Siehst du Sünder, ich habe die Wahrheit gesagt – keine weiteren Waffen.“
Ich wundere mich, dass von dem Satan in Menschengestalt gar nichts kommt, weder eine verächtliche noch eine zotige Bemerkung. Stattdessen höre ich seinen Atem geräuschvoll entweichen. Meine Oberarme verbergen meine Brüste und meine übereinanderliegenden Hände schützen mein Allerheiligstes. So stehe ich angespannt da, mit dem Gesicht zur kahlen Wand, und warte.
„Wer war das? Wer hat dich derart grausam misshandelt? Etwa dieser elende Schweinepriester? Hat er dir diese schlimmen Striemen zugefügt?“ höre ich die entsetzte Stimme meines Peinigers.
„ Der gütige und gestrenge Prediger hat mich geläutert, er hat seit dem Frühling mein schwaches Fleisch und meinen Geist gestärkt, damit ich sein gerechtes Werkzeug sein kann, Sünder!
Gerettet hat er mich, mit jedem einzelnen seiner brennenden Peitschenhiebe, aber ich erwarte nicht, dass eine so niedrige Lebensform wie du, den höheren Zweck des Ganzen versteht!“ entgegne ich ätzend.
Gänsehaut überzieht meinen Körper, ich friere so schrecklich, alles tut mir furchtbar weh und die Erinnerung an die entsetzlichen Schmerzen der Läuterung stehen frisch - wie gerade erst geschehen – vor meinem inneren Auge.
Schweig Claudia! zischt Judith unhörbar.
„Dieses miese Schwein! Sag mal, weißt du eigentlich, was für ein dummes Zeug du daher redest Mädel?
Hast du noch sowas wie ein Gehirn oder ist das bei deiner zu heißen Gehirnwäsche auf Erbsengröße eingelaufen? Ich geh mal eben in die Ersatzteilbeschaffung und hol dir ein Neues! So ein verdammter Unsinn!
Eins sag ich dir: Wenn euer Himmel aus Peitschenhieben und Schmerz besteht, dann will ich lieber mit Freuden in der Hölle feiern!
Also nix gegen ein bisschen Haue ab und an, das kann ja ziemlich anregend sein – aber doch nicht so extrem wie bei den Sklaven im alten Rom!
So und jetzt Abmarsch unter die Dusche, aber hurtig! Ausgezogen stinkst du noch schlimmer als in den Klamotten!“
Der Dämon in Menschengestalt redet sich in Rage. Das unterdrückte Wesen Claudia nickt innerlich und stimmt ihm zu.
Sein echauffierter Ton fordert die Judith in mir geradezu zu einer entsprechenden Reaktion heraus, doch mit einem vehementen:
„ Klappe Nacktfrosch! Im Moment stehst du nicht auf meiner Rednerliste!“
verbietet er mir kurzerhand den Mund und treibt mich mit dem Lauf seiner Waffe zwischen meinen Schulterblättern auf den Gang hinaus. Zähneknirschend füge ich mich.
Krampfhaft suche ich nach einer Gelegenheit zur Flucht, im Notfall auch nackt. Ich stelle mir vor, wie er auf meinen Po starrt und möchte am liebsten im Boden versinken. Ich war noch nie sehr freizügig, was das körperliche angeht. Selbst vor meinem Ehemann hatte ich Scham, mich hüllenlos zu zeigen, und nun sieht mich nicht nur ein Fremder so, sondern auch noch ein verdammter Sünder!
Meine Reinheit wird sich in Wohlgefallen auflösen und dass, wo mir doch der Prediger versprochen hat, mich mit einem Getreuen unwiderruflich zu verbinden, wenn alle Sünder erledigt sind.
Damit es wie im Paradies einen neuen Anfang für die Menschheit gibt, aber diesmal einen ohne Sündenfall - dank künstlicher Befruchtung.
Als Eltern, die den moralisch reinen Nachwuchs im Sinne des Predigers erziehen, werden wir uns wertschätzen und achten, mehr nicht.
Sex ist allen Übels Anfang und deshalb tabu, das mussten alle in der Bruderschaft bei ihrem Leben versprechen.
Je länger der Weg zum Waschraum dauert, desto mehr komme ich zu der Erkenntnis, dass das Tier hinter mir, mich sicher nicht vor meiner Körperreinigung zu nehmen gedenkt. Etwas Zeit verbleibt mir also, einen Plan zu entwickeln.
Doch jetzt muss ich dringend aufs Klo, wirklich sehr dringend! Hoffentlich darf ich das wenigstens allein. Dann stehen wir vor einer Tür.
„Öffnen, aber gaaanz langsam!“ bellt es hinter mir.
Er schubst mich in den steril gekachelten Raum hinein.
Ich warte darauf, dass er die Tür hinter mir schließt und draußen wartet, doch mitnichten.
„Ab mit dir aufs Klo und dann unter die Dusche! Frische Kleidung liegt hier…“, er deutet auf einen Stahlrohrhocker.
Hm, den könnte ich als Waffe benutzen…
„Denk nicht mal im Traum daran, Killerkätzchen!“ poltert er.
Sch…, kann dieser Kerl etwa meine Gedanken lesen?
„Na los, mach schon und bedanken darfst du dich auch gerne!“ befiehlt er ungehalten.
„Für was soll ich „Danke“ sagen?“ erwidere ich bockig. „Dafür, dass du mich hier demütigst und beleidigst? Vielleicht für die Schmerzen und Wunden, die du mir zufügst? Aber sicher! Danke sehr für deine widerwärtige Anwesenheit und den Pesthauch der Sünde, mit der du mich beschmutzt!“
„ Eine ziemlich dicke Lippe, die du hier riskierst, Süße! Du darfst dich für meine Menschlichkeit dir gegenüber bedanken. Echt jetzt - für eine „Gerechte“ und „Auserwählte“ hast du ziemlich miese Manieren, ich glaube, ich muss dich bei Gelegenheit mal ordentlich übers Knie legen und dir deine Frechheiten austreiben!“ meint er kühl und fügt nach einer kleinen Pause hinzu „mir erscheint, da stehst du drauf!“
Kräftig schlucke ich und schon wieder laufen meine Tränen. Verdammte Schwäche, was ist denn los mit mir? Wann habe ich mir das letzte Mal erlaubt, so viel zu weinen? Meine widerborstige Fassade bröckelt eben kräftig. Die Claudia in mir beginnt, sich Stück für Stück ihrer mentalen Fesseln zu entledigen und überrennt die dominierende Judith mit einem massiven Gefühlsansturm. Sie gewinnt verlorenes Terrain zurück.
Ich fühle mich so allein und verletzlich. Er steht da wie ein Fels und betrachtet mich aus eiskalten blauen Augen, die zu schmalen Schlitzen verzogen sind. Mit Hass und Widerborstigkeit erreiche ich bei ihm gar nichts. Vielleicht, wenn ich an seine Instinkte appelliere?
„Ich kann nicht, wenn einer zuschaut, bitte, ich möchte allein sein“, flehe ich und versuche ein schüchternes Lächeln.
„Antrag abgelehnt! Auf deinen Honigkuchenblick falle ich nicht rein, Schätzchen. Du wirst schön alles vor meinen Augen erledigen, ob es dir passt oder nicht. Du kannst ja dabei die Augen schließen.“ Kalte Süffisanz durchdringt seine Worte.
Verdammt! Ich muss mich überwinden, denn das Bedürfnis ist zu dringend, um es weiter zu ignorieren, doch ich hasse ihn unermesslich dafür, dass er mich derart erniedrigt. Dafür wird er bezahlen!
Sobald ich eine Chance sehe – Judith ist wieder am Zug!
Würde sich doch nur ein Abgrund unter mir öffnen und mich verschlingen, doch dieser Gefallen wird mir leider nicht erwiesen.
Ich verrichte mit zusammengebissenen Zähnen mein Bedürfnis und betrete zögerlich die Dusche, drehe vorsichtig das Wasser auf. Eiskalt wie die Ostsee im Winter schießt es aus der Brause! Ich schreie vor Pein auf und dieser Mistkerl lacht sich schier über mein Leid kaputt. Ich kann es nicht erklären, denn obwohl ich mehr als sauer auf ihn sein müsste, falle ich in sein Lachen mit ein.
Es ist so befreiend und ich spüre, wie sich meine Lebensgeister rühren. Endlich – es wird wärmer und schließlich hat es die richtige Temperatur. Wie lange hatte ich das nicht mehr? Eine heiße Dusche und Seife! Frische Kleidung! Die Aussicht, meine Zähne zu putzen…
Sündige Gedanken und DAS in meinem Kopf! Verflixte Claudia, sie wird immer stärker!
Ich stelle das Wohl meines Körpers über das meiner Erziehung durch den Prediger! Ich gehöre auf der Stelle bestraft! Ob sich hier wohl ein passendes Instrument finden lässt? denke ich mir voller Abscheu über mich selbst und genieße trotzdem seufzend und mit geschlossenen Augen diese Wohltat. Noch immer schäme ich mich meiner Nacktheit, aber mittlerweile bin ich fast vollständig in heißen Dampf eingehüllt und damit fast unsichtbar für meinen Bewacher.
Noch immer steht er in sicherem Abstand an der Tür und bohrt seine Blicke in meinen Rücken.
Ein lautes Geräusch lässt mich vor Schreck zusammen fahren. Wie Trommelfeuer! Auch er zuckt alarmiert zusammen.
„Ende des Wellnessprogramms Claudia! Abtrocknen und Anziehen, aber zügig!“ nervös fuchtelt er mit seiner Waffe und greift nach Handschellen, die auf dem Tisch liegen. Das Wesen Claudia in mir ist erfreut, dass er mich mit meinem Namen angesprochen hat. Warm wird es kurz in ihrem Fragment meines Herzens. Ist das Angst in seinen Augen?
„Ich heiße Judith!“ begehre ich trotzig auf, aber gehorche dennoch erstmal. Die Kleidung – Camouflage- passt wie angegossen – gutes Augenmaß muss ich anerkennend zugeben - und frage mich: Wer schießt da? Ist das eine Befreiungsaktion für mich? Die kurze, fast diebische Freude, vergeht ganz schnell. Woher weiß der Prediger, dass ich in Gefangenschaft bin? Schusswaffen benutzt unsere Bruderschaft doch gar nicht! Wer auch immer sich in diesem Sündenpfuhl eingeschlichen hat, ist keinem von uns beiden freundlich gesonnen!
„Wie auch immer Psycho-Tussi! Umdrehen und Handgelenke auf den Rücken!“ bellt er genervt und ich höre die Sorge in seiner Stimme.
„Bitte überlass mich nicht gefesselt hier drinnen meinem Schicksal“, flehe ich ihn an und schaue ihm entschlossen in die Augen.
„ Ich bin eine gute Kämpferin. Wer auch immer da draußen ist, hat Böses im Sinn. Du musst die Kastanien nicht alleine aus dem Feuer holen, Thomas.
Du wirst meine Hilfe brauchen!“
„Lass mal Seepferdchen, ich trau dir nicht, auch wenn du vorhin ausnahmsweise mal nicht gelogen hast, doch deine plötzliche Kehrtwende von Mordmaschine auf nette süße Kriegerin von nebenan nehme ich dir nicht ab.
So schnell kann man nicht umsteigen!
Bestimmt sind das deine Leute da draußen und du wartest doch nur auf eine Gelegenheit, mich abzumurksen. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?“ kommt es entschlossen zurück.
„Dann bring es hier und jetzt zu Ende! Erschieß mich – sofort!“
Ich gehe entschlossenen Schrittes und furchtlos auf ihn zu. „Ich will hier nicht gefesselt elendiglich verhungern und verdursten, wenn sie dich erwischen!“ schreie ich ihn inbrünstig an.
Ich bin nur noch zwei Schritte von ihm entfernt - er nimmt seine Waffe hoch und visiert mich an …