Gesichter
Kurz vorweg: Da der Fokus meiner Kurzgeschichte nicht Erotik ist, sie aber solche enthält, bin ich unsicher, wo ich sie posten soll. Ist auch mein erster Beitrag hier. Ich hoffe, dass ist in Ordnung und ich bin gespannt auf eure Meinung und Kommentare.-------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Prolog
Ich möchte mich verkriechen, verstecken, tief in meinem Schneckenhaus.
Bücher lesen, in andere Welten versinken. Dort lachen, weinen, leiden, freuen, leben.
Nur nicht mehr hier.
Kein Telefon, kein Internet, keine Fragen, keine Forderungen.
Nur Obst, das langsam neben meinem Bett verschimmelt.
Nicht duschen, nicht raus gehen, nackt sein, eingehüllt in meine warme Decke, meinem Nest, während draußen die Zeit vergeht.
Doch es geht nicht. Die Anderen machen sich Sorgen.
„Was ist los mit ihr? Warum meldet sie sich nicht? Wir müssen uns um sie kümmern. Da raus holen, ihr zeigen wie schön das Leben ist!“
Und sie reißen mir die Decke weg und die Kälte trifft mich wie ein Schock.
Ich versuche mitzukommen. Hinterher zu laufen, zu lachen, wenn jemand einen Witz macht, Pläne zu schmieden, Hoffnung zu haben. Ich mache es für sie, denn sie können nicht verstehen, dass ich glücklich war in meinem Bett, dessen Bettwäsche dringend wieder gewechselt werden müsste, umgeben von dreckigem Geschirr von hastig zu bereitetem Essen und so vielen Geschichten, die mir Amazon ins Haus liefert. Mein kleines sicheres Reich, in dem ich mich nicht fürchten muss.
Aber ich sage es mir immer wieder. Ich muss dagegen kämpfen, gegen die einlullende Wärme, die mich langsam lähmt, wie ein sanftes Nervengift.
Ich hatte doch Träume und Pläne, will ich sie jetzt wirklich alle aufgeben?
Nein.
Ja.
Ich weiß es nicht.
Ich weiß gar nichts mehr seit diesem Jahr. Es hat alles verändert. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.
Verdrängung
„Noch eine Runde!“, rief Elena und schenkte ihren Mitbewohnern ein weiteres Glas mit giftgrünem Waldmeisterschnaps ein.
„Heute Abend wird gefeiert!“
„Und was?“
„Seit wann brauchen wir einen Grund? Es ist Mittwoch, das ist der Grund.“
„Schon gut.“
Elena griff nach ihrem Handy und bestellte ein Taxi für 23 Uhr, um zum Kiez zu fahren.
„Hoffentlich ist was los auf der Großen Freiheit. Manchmal frage ich mich wirklich, ob in Hamburg tatsächlich 1,8 Millionen Menschen wohnen“, sagte Tina.
Elena war froh, endlich wieder mal feiern gehen zu können. Ihre Arbeit ermöglichte ihr das nur selten. Sie kam gerade wieder aus einer 10-Tage-Schicht, war noch im Nachtschicht-Rhythmus und deswegen hellwach, auch ohne Energiedrinks.
Doch heute Abend wollte sie nicht mehr über ihre Arbeit und die Überforderung nachdenken, die sie die letzten Wochen belastet hatte.
Ihre Zunge fühlte sich leicht in ihrem Mund an. Ihr Selbstbewusstsein wuchs mit jedem Schluck Bier. Ihr war es egal, dass sich die Nachbarn wohl bald wieder über ihre WG bei der Hausverwaltung beschweren würden und drehte die Musik voll auf. Die Bässe vibrierten durch die Möbel, durch ihre Körper und strömten wippend wieder aus ihnen heraus.
Erneut goss Elena den grünen Schnaps ein, glucksend, erstaunt, dass die Flasche leer und klar in ihrer Hand lag.
„Proooooooost!“, grölte sie in die Runde und verschüttete die Hälfte ihres Glases auf dem Teppich.
„Egal, tritt sich fest.“
Es klingelte an der Tür.
„Taxiiiiiiiii!“
Elena stolperte in Richtung ihres Zimmers, um nach ihren grünen Pumps zu suchen. Die passten perfekt zu ihrem knielangen, dunkelblauen Kleid, das in der Taille geschnürt war. Um auch nur ansatzweise mit Tina äußerlich mithalten zu können, hatte sie ihren Busen hoch gepusht, sodass er beinahe aus dem Kleid fiel. Vielleicht würde es von ihren Speckröllchen ablenken, so hoffte sie.
Sie kramte schnell ihren Perso und achtzig Euro aus ihrem Portemonnaie und stopfte alles in die kleine Handtasche, die mehr Accessoire war, als Nutzen hatte.
John, der Hahn im Korb und auch Küken der WG, mit seinen neunzehn Jahren, trug wie immer seine schwarze Wollmütze, die von seinen blonden Dreadlocks ausgebeult wurde. Dazu hatten es heute ein T-Shirt von „Trainspotting“ und eine zerrissene Jeans an seinen Körper geschafft. Seine Augen waren nur halb geöffnet, dank eines letzten Köpfchens aus der Bong. Er schlurfte entspannt zur Tür und nahm seine alte Lederjacke von der Garderobe.
„Oh Gott, oh Gott“, quietschte Tina, „ich bin noch gar nicht fertig“, widersprach sie ihrem perfekt gestylten Äußeren. Sie hatte ihren zierlichen Körper im kurzen Schwarzen verpackt und ihre blonden Haare saßen in einer klassischen Hochsteckfrisur. Wenn sie jetzt noch eine Brille aufsetzen würde, wäre sie die perfekte Chefsekretärin, vor der sich jede Ehefrau fürchtete, dachte Elena.
Die alte Holztür fiel hinter dem Trio ins Schloss und sie eilten das Treppenhaus mit seinem verschnörkelten Geländer hinunter.
Drei Autos warteten schon, wild hupend, hinter dem Taxi in der schmalen Einbahnstraße in Eppendorf. Als sie einstiegen, fuhr der Taxifahrer schon los, ohne ein Ziel zu wissen.
„Schlechte Straße. Immer voll“, sagte der Fahrer unfreundlich.
„Tschuldigung, bevor ich das nächste Mal ein Taxi bestelle, baue ich die Straße noch schnell fünfspurig aus. Zum Kiez!“, giftete Elena zurück und spürte schon einen Ellbogen von John in der Seite.
„Chill dich mal. Ist doch alles entspannt hier“, startete er einen Beruhigungsversuch, doch damit wurde er zum Opfer für Elenas Launen.
„Sorry John, aber da wir nicht alle dank halluzinogener Substanzen in unserer Mitte ruhen, kann ich so ein bescheuertes Gelaber nicht ausstehen. Schließlich ist es sein verfickter Job, in verdammten Einbahnstraßen anzuhalten. Ich hör mir auch den ganzen Tag, die Scheiße unserer Gäste an. „Sehr gerne, Herr Müller! Ich krieche Ihnen sofort in den Arsch, Herr Müller!“ Da erwarte ich auch einen scheißfreundlichen Taxifahrer.“
John zuckte unbeholfen mit den Schultern.
„Und können Sie vielleicht dieses fürchterliche Gejammer ausstellen, da kriegt man ja Kopfschmerzen von“, zeterte Elena weiter gegen die arabische Musik des Fahrers.
Der rollte mit den Augen und stellte das Radio an, auf dem der neuste Hit von den Kings of Leon lief.
Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend, da Elena anscheinend keine weiteren Gemeinheiten einfielen und der Rest sie nicht provozieren wollte. Nach einer kleinen Ewigkeit, wie es schien, bog der Fahrer endlich in die Große Freiheit ein und Tina bezahlte hastig den Fahrer.
„Hast du dem etwa auch noch Trinkgeld gegeben?“, bohrte Elena, sobald auch Tina ausgestiegen war, doch die lief schnell los.
„Also, wo wollen wir rein?“, fragte John, während sie an einem Promoter nach dem anderen vorbeiliefen, die mit Gratisgetränken und freiem Eintritt versuchten, Gäste in ihre Clubs zu locken.
„Lass doch erst ein paar Kurze in der 99-Cent-Bar kippen und dann schauen wir weiter.“
Das klang nach einem Plan und so begaben sie sich in die kleine Kneipe, die nur aus einem Tresen und einer Jukebox, vor der zwei mal zwei Meter Tanzfläche waren, bestand.
Elena eilte sofort zum Tresen und winkte aufgeregt nach dem Barkeeper.
Als sie mit dem Tablett voller Schnapsgläser zu ihren Mitbewohnern zurückkehrte, verzog Tina das Gesicht.
„Was ist das denn?“
„Meine Spezialkombi: Mexikaner als scharfe Vorhut, einen schnellen Tequila und zum krönenden Abschluss die Wärme eines Sambucca...“
„Willst du dass ich gleich kotze oder noch warte, bis ich das unten hab? Mir wird ja schon vom Zuhören schlecht.“
„Jetzt stell dich mal nicht so an. Ich hab dich schon ganz andere Sachen schlucken sehen!“
„Na schön. Den Mexikaner und den Tequila trink ich mit, aber den Sambucca nur über meine Leiche.“
„Auch okay, dann bleibt mehr für mich übrig.“
Sie prosteten sich zu und stürzten den Mexikaner runter. Elena trieb zur Eile und keine zehn Sekunden später prosteten sie sich schon mit Tequila zu, leckten, schluckten, bissen.
Tina war froh, die letzte Runde aussetzen zu können, ihr Magen rumorte schon und auch John sah schon leicht angegriffen aus. Nur Elena schien keine Miene zu verziehen und reichte John auch schon den Sambucca. John stöhnte, nachdem er auch den letzten Schnaps unten hatte.
„Jetzt brauche ich erst mal ein Bier, um diese widerliche Geschmackskombi runterzuspülen.“
Elena widmete sich ihrem letzten Sambucca. Sie setzte an, schluckte, verzog dann ihr Gesicht, blähte ihre Backen auf und schaute entsetzt in Tinas Gesicht. Sie deutete hektisch auf ihre Backen und schaute sich um. Tina verstand erst nicht was los war, bis Elena davon stürzte, während schon Kotze aus ihrem Mund spritzte.
Tina und John lachten immer noch, als Elena von der Toilette zurückkehrte und so tat, als ob nichts geschehen wäre.
„Du hättest dein Gesicht sehen sollen!“, sagte Tina.
„Der letzte war wohl schlecht!“.
„Allesss gutt. Miar gähts beschdens...“, lallte Elena. „Isch will taaaanzen“, grölte sie und stürmte davon zur Tanzfläche, nicht ohne mindestens drei Leute anzurempeln.
Sie ging an die Jukebox. Die Titel der Lieder verschwammen vor ihren Augen. Sie kniff die Augen zusammen.
Nach einer halben Stunde kam sie mit einem roten Gesicht wieder. Das Kleid klebte an ihrem Körper und betonte, dadurch noch stärker, ihre Rundungen. Mit verkniffenem Gesicht, drückte sich Elena eine Hand in die Seite und holte tief Luft.
„Scheiß Kondition“, keuchte sie Tina entgegen, die gerade in ein Gespräch vertieft war.
„Na, ausgepowert? Das ist...“, begann Tina, doch kam sie nicht zum aussprechen.
„Ey, dich kenne ich! Ich hab dir schon mal einen geblasen.“
Schockiert starrten Tina und der junge Mann sie an, doch Elena strahlte glücklich übers ganze Gesicht.
„Ja, weißt du nicht mehr? Du hast mich im Golden Pudel Club angequatscht und wir sind später runter an den Hafen. Ich hab dir unten an den Landungsbrücken einen geblasen. Wie lang ist das her? Zwei Jahre? Drei Jahre? Wie heißt du nochmal?“
„Ähm...Tobias.“
Auch wenn er vor Tina noch so tat, als wäre alles ein schlechter Witz, sah Elena das Wiedererkennen in seinen Augen.
„Sag mal, spinnst du?“, regte sich Tina auf, die das mal wieder für einen von Elenas schlechten Witzen hielt.
„Was denn? Darf ich mich nicht freuen, alte Bekannte wiederzutreffen. Kann ich ja nichts für, dass er sich nie wieder gemeldet hat und somit ein One-Night-Stand blieb.“
Tobias schaute im Raum nach einer Fluchtmöglichkeit und stürzte sein Bier runter. Tina starrte Elena immer noch fassungslos an, so dass sie nicht bemerkte, wie Tobias sich langsam wegdrehte und sich durch die Menge davon schob.
„Du hast ihm wirklich einen geblasen?“, fragte Tina unsicher und drehte sich zu Tobias um, der aber schon längst aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
„Na toll. Danke Elena! Ich hab mich echt gut mit dem verstanden, der war total heiß.“
Elena zuckte nur mit den Schultern.
“Das dachte ich auch, aber da haste nichts verpasst. Der hatte einen echt kleinen Schwanz. Lass mal weiterziehen, vielleicht treffe ich noch mehr Jugendsünden!“
Wut
Sie sitzt in mir. Ganz tief unten. Ein kleiner harter Ball, der pocht.
Ich will sie nicht haben. Aber sie hat sich verkrochen, krallt sich fest mit ihren Fängen und lässt mich nicht frei.
Außer mir kann sie keiner sehen. Wie es in mir brodelt, der Ball fährt seine Stacheln aus und quält mich. Er sticht, sticht, sticht, sticht.
Ich schreie! Aber du hörst es nicht...
Siehst nur, wie ich mich langsam abwende und gehe.
Ich halte sie nicht aus. Manchmal kommt sie nach oben, kriecht unter meiner Haut umher, wie kleine Maden, die sich durch mein Fleisch fressen. Schüttel dich, schneid sie raus, werd sie los, irgendwie, egal wie...
Sie wächst und wächst mit jedem stummen Schrei, mit jedem abwertenden Blick, mit jedem Gelächter.
Explosion. Nur wann?
Draußen beleuchteten die grellen Neonreklamen die Große Freiheit und tauchten die vorbeiziehenden Gesichter in künstliches Licht. Ihre verzerrten Silhouetten spiegelten sich in den Pfützen am Boden. Elena trat in die Pfützen, um die Gesichter in bunte Flecken zu verwandeln. Das Sommergewitter hatte die Stadt nur kurz abgekühlt, jetzt kämpfte die Wärme mit den Wassertropfen und fabrizierte eine wattige Luft, gegen die man sich stemmen musste, um voranzukommen. Heute waren es nur wenige Nachtschwärmer, die es auf die Straßen getrieben hatte. Eine Gruppe Senioren schlenderte noch mit aufgeregten Blicken vorbei. Eine ältere Dame umklammerte krampfhaft ihre Handtasche in der Erwartung, dass jeden Moment sie ihr jemand aus der Hand schlagen würde. Sie zogen weiter über die Reeperbahn, auf der Suche nach einer Menschenmenge, einer Party, Stimmung. Die Nutten standen gelangweilt über dem Hans-Albers-Platz verteilt, unverkennbar mit ihren Bauchtaschen, dem gleichen starren Gesichtsausdruck, mit der immer gleichen Schminke, die Elena wie eine schützende Maske vorkam. Vereinzelt klangen Beats aus den unterschiedlichen Kneipen, hier und da torkelte jemand über die Straße.
Als sie über den Hans-Albers-Platz liefen, richtete Elena ihren Blick auf einen Punkt in der Ferne. Die Welt schwankte. Immer wenn sie einen Schritt machte, wich der Boden vor ihr aus, als wolle er sie ärgern. John und Tina liefen davon, schneller, Elenas Versuche gegen die Distanz anzukämpfen, kollidierten mit dem Schaukeln der Welt. Plötzlich knallte jemand hart gegen Elenas Schulter. Boden und Schulter lachten sie aus. Elena kam zum Stehen, während sich die Nacht weiter bewegte und der Boden auf sie zuraste.
„Ah, verdammt! Kannst du nicht aufpassen, du blöde Schlampe?“
„Was hast du gesagt?“
„Blöde Schlampe! Bist doch eine? Oder stehste zum Spaß hier rum?“
„Halt die Fresse, du kleines Flittchen. Und jetzt verpiss dich, du vertreibst meine Kundschaft!“
„Ach dich will doch eh keiner ficken. Erst recht nicht, wenn man dafür zahlen muss.“
Ein Brennen zog über Elenas Wange.
„Hast du jetzt genug oder soll ich dir noch eine verpassen? Fuck off!“
Elena schwankte vor und zurück, die Fäuste geballt, der Körper spannte sich und die Füße suchten verzweifelt Halt. Ein Arm riss von hinten an ihrer Schulter, in die gleich wieder der Schmerz strömte.
„Elena, hör auf mit der Scheiße. Komm jetzt endlich oder willst du lieber auf die Davidswache? Scheiße, Mann, wieso musst du immer so 'ne Scheiße abziehen.“
Elena starrte in Johns Gesicht. Seine Stirn zeichnete Wut. Seine Augen wirkten riesengroß und sein Blick brannte mehr als die Ohrfeige. John zog sie hinter sich her, weg von der Nutte.
An der Ecke gingen sie in den Irish Pub, John verschwand schnell an der Bar, ohne Elena einen weiteren Blick zu zuwerfen. Der kleine Pub war gut gefüllt, eng drängten sich die Menschen aneinander, Gesprächsfetzen stoben durch den Raum und von der Bühne schallten die Versuche der Karaokesänger.
Die Gesichter der Menschen verzerrten sich zu Grimassen. Der blonde Mann neben ihr lachte laut auf, riss seinen Mund auf, wackelte und Elena sah tief in seinen Rachen. Alle schienen ihre Zähne zu fletschen, in Gesprächen, ihre Augen weit aufgerissen, starrten sie Elena an. Schnell kam der Drang zu betäuben, zu vergessen, zu vermeiden und Elena stürmte an die Bar und bestellte sich zwei Gin Tonic, wovon sie den Ersten exte. Die Kohlensäure kitzelte in ihrer Nase, wanderte in den Bauch und gleich wieder zurück als lauter Rülpser. Ungeniert wischte sie sich mit dem Arm übers Gesicht und grinste stolz. Ihre aufgestaute Energie musste raus, sie wollte tanzen, im Gedränge war kein Platz, die Masse gab nicht nach, wenn ihre Hüften sich bewegten. Ihr Blick fiel auf die Bühne, auf den freien Platz und gleich meldete sie sich für den nächsten Karaokesong.
„Born this way - Lady Gaga“, schrie sie dem DJ ins Ohr, der nur starr nickte und ihr ein Mikrofon in die Hand drückte.
Sie sprang auf die Bühne, etwas unbeholfen, aber der Alkohol gab ihr Mut, Übermut. Der Song begann, sie verpasste den Einsatz, fing sich wieder, fing an zu singen. Doch eigentlich wollte sie tanzen, sie schwang lasziv ihre Hüften, griff sich an die Brüste, strich langsam runter, verschmolz mit dem Lied, sie vergaß die Menge, tanzte, sang für sich. Direkt vor ihr stand ein Typ, der sie fasziniert beobachtete. Sie krallte sich sein Bier, trank einen großen Schluck, kippte den Rest über ihr Dekolleté. Pfiffe, ja, laute Pfiffe, doch auch Buhen.
„Das will doch keiner sehen, du fette Schlampe!“
Sie suchte den Raum ab, doch das Licht blendete, Scham stieg in ihr hoch, ihr Gesicht wurde knallrot, sie hörte auf zu tanzen, brach das Lied ab. Die Flasche in ihrer Hand. Sie umklammerte sie, hielt sich an ihr fest, das einzige was sie noch aufrecht hielt.
„Hau von der Bühne ab, Fettkloß!“
Da, da sah sie ihn, wie er seinen Kumpels in die Seite stieß, auf sie zeigte, die Finger zum Mund, pfiff, Grimassen schnitt. Sie ertrug es nicht.
Die Flasche flog geradewegs auf ihn zu, verfehlte nur knapp seinen Kopf und zerschellte an der Wand, Zucken, Schreie, Gedränge.
„Na, wie gefällt dir das, du Wichser! Du kleiner Hurensohn, ich bring dich um!“
Schon zerrten die Security sie von der Bühne, keine Chance, einer packte ihre Beine, der andere unter ihre Schultern, sie wand sich wie ein nasser Sack, wieder starrten die weit aufgerissenen Augen sie an.
Vor der Tür stand sie zitternd, schlang ihre Arme um sich, drehte sich schnell weg, von den Blicken, dem Geschrei der Security, der Menge. Sie rannte, rannte davon, wollte immer schneller werden, bis sie den Boden kaum noch berührte. Schnell, Dunkelheit, Einsamkeit. Sie fand eine Gasse, kauerte sich auf den Boden, den Kopf zwischen ihre Beine, wild atmend, das Blut pochte in ihren Ohren. Minuten vergingen und langsam beruhigte sich ihr Herz.
Elena blickte auf und betrachtete die Menschen, die an der nahen Straße vorbei liefen, geschützt aus dem Dunkel. Immer wieder verschwammen die Gesichter zu grauen Massen, dann stachen sie wieder hervor, grell geschminkte Fratzen, um sich wieder zu entfremden, sie sah nur noch Hässlichkeit, alles Menschliche war verloren. Ihr Herz begann wieder zu rasen. Nein, es sollte doch schweigen. Hastig kramte sie in ihrer kleinen Handtasche, zerrte am Reißverschluss im Innenfutter, fingerte das kleine Tütchen hervor und schmiss sich schnell die kleine Pille ein.
Sehnsucht
Eigentlich will ich mich doch nur verlieben.
Ist es gut das zu wollen?
Man sollte sich doch selbst genügen. Aber ich bin nicht der Dalai Lama. Ich will geliebt werden.
Ich will nicht mehr alleine einschlafen.
Ich will nicht mehr nur in Büchern davon lesen.
Ich will nicht nur davon träumen.
Ich will nicht mehr darüber hinweg täuschen, dass es mich stört, dass ich Single bin.
Ich will keine lustigen Geschichten über meine Sexeskapaden erzählen.
Ich will, dass alle anderen Singles mich neidisch anschauen, wenn ich Hand in Hand mit meinem Freund durch die Straßen laufe.
Ich will nicht nur davon träumen.
Tanz in den Sommer.
Sie schritt durch die Tür des Clubs, den Kopf hoch erhoben, sie strahlte. Sie fühlte sich gut. Sie war wunderschön, sie war unwiderstehlich. Wieder zog die Tanzfläche sie an, doch hier war Platz, die Größe gab ihr Kraft, in der Menge verschmolz sie mit der anonymen Masse. Sie tanzte selbstvergessen, die Augen geschlossen. Freiheit hämmerten die Beats in ihren Körper. Die Füße trieben sie an, trugen sie immer höher, ihre Arme wollten den Himmel berühren.
„Hey, stehst du auf Schokolade?“
Sie öffnete ihre Augen, direkt vor ihr, große dunkle Augen, in einem Gesicht, wie aus Milchkaffee gegossen, große sinnliche Lippen, über die blitzschnell eine rosa Zunge leckte. Er war groß, mindestens einen Kopf größer als sie. Sie bewunderte seine breiten Schultern, hob ihre Hand und strich über seine muskulösen Arme.
„Ja.“
Er beugte sich zu ihr runter.
„Dann koste.“
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Wie ein Blitz durchfuhr sie Leidenschaft. Sein Kuss war... war ein zartes Beben. Ein wirbelnder Sog. Eine Explosion. Sie wollte mehr, wollte dieses Gefühl immer spüren. Er nahm ihre Hand, zog sie hinter sich her, blieb immer wieder stehen, drehte sich um und küsste sie wieder. Wieder tausend kleine Explosionen. Sie gelangten aufs Klo, schoben sich in die kleine Kabine, egal, sie wollte ihn spüren, ihn schmecken. Die Klamotten waren im Weg, standen zwischen ihr und diesem wunderbaren Gefühl. Er küsste ihre Brüste, prickelnd auf ihrer Haut, sein Kinn kratzte zart an ihren Nippeln, sie stöhnte.
„Hast du ein Kondom?“
„Nee, hast du eins?“
„Nein, auch nicht.“
„Egal, das geht auch ohne, ich zieh ihn vorher raus. Oh mein Gott, du bist so sexy.“
Er umschlang sie wieder, presste sie an sich, küsste sie, sein hartes Glied drückte gegen ihren Bauch.
„Nein, nein, nicht ohne Kondom. Nicht...“
„Ach, komm schon Baby. Ich pass auch auf.“
„Nein, Mann!“
Die dunklen Augen starrten sie an.
„Du hast mich so geil gemacht, dann blas mir einen.“
Ein ungutes Gefühl schlich sich ein. Aber was sollte sie tun, sie war mitgekommen. Sie hatte es gewollt. Sie wollte ihn nicht enttäuschen. Sie sank auf die Knie.
Sein Schwanz war riesig, sie leckte mit ihrer Zunge über die Eichel, wollte spielen. Seine Hand drückte gegen ihren Kopf, sie öffnete ihren Mund, er diktierte ihren Rhythmus. Er stieß tief, ihr Kiefer begann zu schmerzen. Klopfen an der Tür, Rufe. Er wimmelte sie ab und fickte weiter ihren Mund.
„Ja, genau so Baby, nicht aufhören!“
Sie musste würgen, Tränen stiegen ihr in die Augen, ihre Knie schmerzten. Wann war er endlich fertig? Sie sträubte sich. Nein. Sie stieß seinen Arm weg, sprang auf, drehte sich um und schloss hastig die Tür auf. Sie rannte raus, die Typen starten auf ihre nackten Brüste. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht.
„Scheiße, wo willst du hin, du blöde Schlampe!“, hörte sie ihn noch brüllen.
Verrat
Er hat mich benutzt. Mein Vertrauen, meine Offenheit, meine Naivität missbraucht. Er hat immer die richtigen Worte gefunden. Gesagt, was ich hören wollte, was ich so sehr gebraucht habe. Hat in seitenlangen Briefen seine Gefühle, seine Vergangenheit, seine Seele offenbart und ich habe mich verfangen in seinen Worten, die er wie ein Spinnennetz, um mich gewoben, hat.
„Vertrau mir“, hat er gesagt.
„Ich könnte dich nie verletzten“, hat er gesagt.
„Ich liebe dich“, hat er gesagt.
Und ich habe mich ganz eng an ihn geschmiegt, wollte in ihn kriechen, mich in ihm auflösen. Endlich nicht mehr allein sein. Geliebt werden.
Ich habe mich ihm hingegeben. Ich durfte schwach sein. Ich durfte klein sein. Ich konnte endlich aufhören zu kämpfen.
Er war stark. Er konnte mich beschützen. Dachte ich. Doch es waren alles Lügen. Sein Name, sein Leben, seine Liebe.
Ich spüre immer noch seine Berührung. Sehe sein Gesicht im Dunkeln neben mir auf dem Kopfkissen. Ich will ihn verbannen, aus meinem Gedächtnis, auslöschen. Die Erinnerung an ihn, macht mich krank. Ich fühle mich dreckig. Ich möchte seine Berührungen von mir waschen. Sie sind überall. Seine Hände, seine Lippen. Ich ekle mich vor mir selbst.
Wie konnte ich ihn so nah an mich lassen?
Wie konnte ich es genießen?
Wie konnte ich mich so benutzen lassen?
Die Übelkeit sitzt wie ein Stein in meinem Magen. Ich möchte meine Haut abziehen, mein Inneres nach Außen kehren. Nur nicht mehr dieses Gefühl. Ich ertrage seine Nähe nicht. Auch wenn er schon längst verschwunden ist.
Sie saß auf der Treppe im Hinterhof, neben den großen Müllcontainern und weinte. Kein leises Weinen, sondern lautes Schluchzen, aufgeregt, verschluckend, zitternd. In ihrem Kopf blitzten die Gedanken, rangen miteinander, Vergangene und Neue, verbanden sich oder brachen gegen einander, unvereinbar.
Sie hörte Schritte, konnte sich aber nicht beruhigen. Konnte es nicht verbergen, wie sie es immer tat und blieb entblößt.
„Elena, bist du das?“
Sie blinzelte durch ihren Tränenschleier und erkannte Chris. Chris, den sie schon seit Monaten mochte, der sie aber nie zu beachten schien. Der auf Partys immer da war, aber nie mit ihr sprach. Dessen Blick sie immer suchte, aber nie fand.
„Geh weg“, schluchzte sie.
„Hey, was ist denn los?“, fragte er, ignorierte ihre Aussage und setzte sich neben sie. Er legte seinen Arm um sie.
„Was ist denn los, Kleines?“
„Ich will nicht darüber reden.“
„Okay, musst du nicht. Ich bleib einfach ein bisschen hier bei dir sitzen.“
Langsam versiegten ihre Tränen, sie kuschelte sich an ihn, sog sein Parfüm ein und wischte sich hastig übers Gesicht.
„Ich will nach Hause.“
Sie zögerte.
„Kannst du mitkommen? Ich will heute nicht allein sein.“
Er schwieg.
„Nur als Freund“, fügte sie hinzu.
Er nickte.
Sie liefen zur Hauptstraße und schon nach wenigen Minuten hielt ein Taxi und sie stiegen ein. Sie nannte ihre Adresse und blickte aus dem Fenster. Chris ließ ihre Hand die ganze Fahrt über nicht los.
In Eppendorf angekommen, schloss sie die Tür auf und sie stiegen schweigend die Treppen rauf. Die Wohnung war dunkel und leer. John und Tina waren immer noch unterwegs.
„Ist es okay, wenn wir einfach schlafen gehen?“
Wieder nickte Chris nur stumm.
Sie legten sich ins Bett, John in Boxershorts und T-Shirt, Elena in ihrem XXL Nachthemd. Sie löffelten und Elena schmiegte sich eng an Chris. Seine Wärme, seine Ruhe, seine Nähe, sein Geruch waren wie eine einschläfernde Decke, die sich über sie legte. Er strich ihr über die Hüften, auf und ab, und sie schloss die Augen.
Doch seine Hand blieb nicht an ihrer Hüfte, sie wanderte langsam nach vorne, strich über ihren Bauch, wanderte zu ihren Brüsten, zogen sich wieder zurück, bevor sie an ihrem Busen waren. Elena hielt die Luft an. Hör auf. Mach es nicht kaputt.
Die Hand wanderte wieder nach oben, mutiger, streichelte vorsichtig den Ansatz ihres Busens.
Sie war wie gelähmt, konnte sich nicht bewegen, nicht fliehen, mit den Tränen war auch all ihre Kraft aus ihr geflossen.
„Chris... nicht...“, hauchte sie, kaum hörbar und doch wie ein Trommelwirbel in der Stille.
„Schschsch Elena, alles ist gut“, flüsterte er in ihr Ohr.
Seine Hand wanderte weiter, strich über ihre Nippel und umkreiste sie. Elena ergab sich. Ließ zu, wie er sie streichelte, wie er langsam ihren Schlüpfer runter zog, mit den Fingern durch ihr Schamhaar fuhr, mit einem Finger versuchte einzudringen. Sie war zu trocken. Chris führte seine Hand wieder über ihren Körper hoch zu seinem Mund und spuckte hinein. Er rieb seine Spucke zwischen ihre Schamlippen, zart und vorsichtig, rutschte langsam ein Stück an ihrem Rücken runter, beugte sie nach vorn und drang in sie ein. Mit langsamen Stößen schob er sich immer tiefer in sie, hielt sich an ihrer Hüfte fest und flüsterte Liebkosungen. Sein Rhythmus wurde immer schneller, Elena krallte sich an ihrer Decke fest, drückte sie gegen ihr Gesicht, um ihre stummen Schreie zu ersticken. Er kam in ihr, und als er seinen Schwanz raus zog, lief ein Teil des Spermas über ihren Schenkel. Er küsste sie nochmal auf den Nacken, drehte sich um und schlief ein.
Elena lauschte, bis sein Atem regelmäßig wurde.
Epilog
Es soll zu Ende sein.
Keine Gefühle.
Keine Schmerzen.
Keine Gedanken.
Sie sind doch auch gegangen. Haben mich verlassen und nur der Schmerz blieb.
Ich will wieder frei sein. Ich will wieder lachen, wieder lieben.
Der Tod steht vor mir, strahlend, versprechend.
Sie rannte, rannte aus dem Zimmer, rannte aus der Wohnung, rannte die Treppen hinunter, aus dem Haus. Sie rannte zur Straße, rannte auf sie, wollte nur noch weg. Sie hörte ein lautes Tönen, drehte sich um und sah nur noch die Scheinwerfer, bevor sie erfasst wurde.