Die Genese eines Handschuh-Fetischisten
Auf der Suche nach einer verlorenen Wärme
Meine ersten Erinnerungen gehen auf meine Vorschulzeit zurück. Durch die verschiedenen Arbeitszeiten meiner Eltern gab es eine Stunde zur Siesta, die ich alleine und möglichst schlafend im elterlichen Schlafzimmer verbringen musste. Die Haushälterin bügelte unten in der Küche. Sie sah selten nach mir. Ich kann nicht sagen, dass ich mich dabei einsam fühlte, vielleicht habe ich dieses Gefühl auch nur rasch mit adrenalingesteuerter „Feldforschung“ überdeckt, das heißt in meinem Umfeld nach Spuren mütterlicher Wärme und Geborgenheit zu suchen. Ich sehe mich, die tiefste breite Schublade des weißen Einbauschrankes im Schlafzimmers öffnen und staunend ihren Inhalt einatmen: neben einem Vorrat an echten hautfarbenen Nylonstrümpfen, Korseletten und BH’s lag das paar weißer, ellenbogenlanger Lederhandschuhe, das so oft schon meinen Blick auf das gerahmte Hochzeitsfoto meiner Eltern gelenkt hatte. darauf grüßte meine Mutter, bei sommerlichen südfranzösischen Temperaturen, die Hochzeits-Gesellschaft, die Unterarme ganz in weißes Leder gehüllt. Man schrieb das Jahr 1958.
Physisch gesehen hätte man meine Mutter für eine Schwester von Jackie Kennedy halten können, die ich des Öfteren schon in einem französischen Bildband mit schwarz-weiß-Aufnahmen aus unserer Bibliothek bewundert hatte. Noch heute spüre ich diese frühkindliche Verliebtheit, wenn ich Bilder dieser bemerkenswerten frau sehe. Und schon damals fragte ich mich, warum weibliche Wesen ihre Finger, Hände und Arme dergleichen verhüllten, ohne das Schutz oder kälte einen hinreichenden Grund liefern konnten? Bald kam auch die Frage auf, warum es nur den Frauen vorbehalten war, sich so zu schmücken. Und bald darauf die größere Frage: tun sie es bewusst oder unbewusst, um mich (respektive die Männer) in ihren Bann zu ziehen?
Immer mehr fixierte ich mich auf dieses eine Detail, lange weiße oder dunkle lederhüllen, in die die zarten Frauenhände und -arme verschwanden. Es begann damals eine bis heute anhaltende Liebe zu modebewussten Frauen und Couturiers, zu weiblichen Accessoires, vor allem aber ein per se unstillbares verlangen nach weichen und langen Lederhandschuhen.
Mit 5 hatte ich mein erstes Handschuhpaar entdeckt, bald darauf auch ihre immense Anziehungskraft und das Wesen der ritualisierten Anprobe: zu Beginn der Siesta streifte ich die geschmeidig-zarten Nylons über meine juvenile haut, zog die langen Handschuhe bis zur Schulter hoch und kroch nackt ins Bett. Ein Gefühl von Glück strömte aus diesen Kleidungsstücken und das Gefühl der Leere löste sich auf. Alles schien auf wundersame Weise erfüllt. Ich war alleine und glücklich.
Mit der Zeit zog ich weitere Kreise im elterlichen Haus und brach den Hausfrieden meiner Tante, die über uns wohnte. Sie war Single und hatte von ihrer Mutter deren gesamte Garderobe geerbt. Diese bewahrte sie in einem kleinen Raum auf, dem Käffterchen, das nach Leder, Pelz und Staub roch und fortan zunehmend zu meinem Jagdrevier wurde. Was ich dort bald entdeckte, raubte mir die Sinne: auf dem Boden des Spiegelschranks fand ich drei lange Schachteln und in diesen drei langen Schachteln lagen friedlich und sauber gefaltet über 2 dutzend langer Handschuhe, einige aus Stoff oder feinem Filz, die meisten aber aus feinstem Ziegenleder. Die Länge reichte von unterarmlang bis zu den Schultern einer erwachsenen Dame – mir reichten sie darüber hinaus - ein Umstand, der mir die Wichtigkeit des gelungenen Faltenwurfs bewusst werden ließ. Die meisten langen Lederhandschuhe hatten den obligatorischen Schlitz am Handgelenk, und wenn dort die perlmutternen Rundknöpfe fehlten, nähe ich sie hingebungsvoll wieder an. Ich verliebte mich sogleich in ein schulterlanges elfenbeinfarbenes paar, im Hintergrund aber warteten mehrere schwarze paare, aber auch blutrote und tannengrüne darauf, von mir wachgeküsst zu werden.
Über diesem Schatz hingen verschiedene pelze und lange Kleider. Hinter mir reihten sich die Stiefel und Sandaletten meiner Tante auf, Schmuck fand ich in einer Holzschatulle, Schleier und damenhafte Hüte lagen auf dem obersten regal des Spiegelschranks. Es herrschte dort eine Stille, so pietätvoll wie ein Schrein. Selten habe ich Weiblichkeit so feierlich genossen wie hier oben, im Käffterchen.
Nach und nach fasste ich mir den Mut, einige dieser begehrten Objekte auf mein Zimmer mitzunehmen, sie unter die Matratze zu verstecken und nachts nach dem Gutenachtkuss meiner Eltern anzuziehen. Der Holzboden und das Bett durften dabei möglichst nicht knarren. Das alte Haus war hellhörig. Ich entwickelte eine katzenhafte Fähigkeit, lautlos zu schleichen. Überhaupt still zu bleiben und in meine Welt einzutauchen.
Und dann fühlte ich nur noch, und genoss die Wärme, den Duft, die Geschmeidigkeit, auch das irreale dieser langen Lederhandschuhe. was tat ich da? Ich weiß noch, wie mit dem Genuss sich allmählich auch die Angst einmischte, so erwischt zu werden: nackt, in Nylons, einem seidenem Nachthemd und langen Lederhandschuhen über meine dünnen und kurzen Kinder Ärmchen. Aber diese Angst erhöhte zunehmend den Reiz, mit dem Feuer zu spielen: ich las auch schon mal vor dem Gutenachtkuss, mit behandschuhten Händen das Buch haltend, oder knipste mitten in der Nacht das Licht an, um selbstverliebt die lederumhüllten Arme, Hände und Finger zu betrachten.
Je älter ich wurde, umso mehr nahm diese Obsession an raum an. Ich hortete meinen Schatz hinter den großen Büchern, an denen es in diesem Haushalt wahrlich nicht mangelte. Mit der Zeit gesellten sich zu den geerbten Handschuhen auch welche, die ich nach und nach meinen weiblichen verwandten und den Freundinnen meiner Eltern entwendete. Jedes Mal entfachte sich ein Waldbrand in meinem Herzen, wenn ich auf eine neue Goldmine stieß, mit klopfendem Herzen die prekäre Lage einschätzte und überlegte, wie ich am besten und unauffällig die Trophäen mit nach Hause nehmen konnte. Neben den Handschuhen aus edleren Haushalten, waren es vor allem Nylons, Strumpfhosen, Dessous und sogar Trikots aus der Mädchen-Umkleide. Denn dort fand ich auch zertanzte ballett-schläppchen, die lange getragen, geschwärzte zehenabdrücke aufwiesen.
Die schwere Last des Tabus fühlte ich von Anfang an. Mit niemandem konnte ich darüber reden. Meine Passion machte mich oft selbstunsicher und ich fing an, meine Gesellschaft der der anderen vorzuziehen. Ich ging auf Jagd, blätterte Modezeitschriften und Bildbände durch, schnitt rücksichtslos Abbildungen von behandschuhten Damen aus, ein verräterisches Loch in den wertvollen Büchern hinterlassend. Ich las etliche Romane und Mode Bücher quer, in der Hoffnung auf Reizworte wie: Lederhandschuhe, gants longs, gloves, ... zu stoßen, schrieb nächtelang Passagen ab, wenn sie die Beschreibungen meiner erotischen Welt nahekamen. Ich schrieb Geschichten, imaginäre Liebesbriefe eines jungen an ein Mädchen. Und beide Rollen konnte ich in mir spüren, sowohl die des schmachtenden, heißverliebten Jungens, als auch die der teils auf naiv machenden, teils mit der Kleidung sehr bewusst umgehenden Frau. Ich ging mit den Handschuhen zur Schule, versteckte sie manchmal in meinem Slip, zog sie für den Rückweg an, übte schon mal in Handschuhen meine Fingerübungen am Piano oder lernte Schönschrift.
Nach einer kindlichen, elfenbeinfarbenen Phase fing ich an, dämonisches schwarz zu lieben: damals verliebte ich mich in ein schwarzes, ungefüttertes paar französischer Provenienz, dass mir, mit Faltenwurf über die Ellbogen ging. sie rochen tierisch nach Leder und pelz und nach Sünde. Es klingt verrückt, aber sie waren meine besten Freunde. Ihnen vertraute ich mich an, ihnen gab ich mich ganz hin. Ich küsste sie, strich sie glatt, beehrte sie mit meiner ganzen Aufmerksamkeit, wärmte sie an meinem Körper. Ich fühlte mich so reich beschenkt: sie schenkten mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein und verliehen mir die Möglichkeit, in eine magische Parallelwelt einzutauchen, die stressfrei, zeitlich unbegrenzt, mir reine Lust versprach.
Oft schlief ich langbehandschuht ein, um am nächsten Morgen voller glück meine lederne Hand neben meinem Kopf ruhen zu sehen. Meine Hände fühlten sich warm an, das Leder umfasste jeden Finger und folgte ergeben jede kleinste Bewegung. Ich fing an, auf Details zu achten, auf den Faltenwurf, den Glanz des Mondlichts, auf die zarten nähte im inneren, auf die verschiedenen Arten, sie zu tragen, von aalglatt bis gefaltet. Und wenn ich sie morgens seufzend ausziehen musste, genoss ich den Anblick der daumennaht, die die Handschuhe um das Daumengelenk hinterlassen fühlte die Lichtempfindlichkeit der zarten Finger mit, die wie geblendet dem Tageslicht preisgegeben wurden.
Neben den Handschuhen hatten es mir auch Strumpfhosen und Nylons angetan. Zunächst begehrte ich jede, die ich in kommoden oder an der Wäscheleine fand, mit der Zeit aber erkannte ich enorme qualitäts-unterschiede. Ich fing an, sie täglich unter meiner Kleidung anzuziehen, mit Ausnahme der Tage, an denen ich Sport hatte. Kaum war der Unterricht aber zu Ende, zog ich mich so langsam es ging wieder an, warf einen Blick in den leeren Umkleideraum der Mädchen, fischte aus dem Fund Korb vergessene Strickstrumpfhosen, Schläppchen und auch mal eine leicht lauf-maschige Strumpfhose. Was mich antörnte war zusätzlich dieser unbeschreibliche Geruch von Mädchen und Umkleideraum, den ich so mit nach Hause nehmen konnte.
Aus einem Theaterfundus der Oberstufe stahl ich die komplette Garderobe einer femme fatale für Enzensbergers ‚Menschenfeind’, und dies noch vor der Generalprobe. Meine Dreistigkeit kannte nunmehr keine Grenze mehr. Es waren turmhohe schwarze Sandaletten, ein kurzer Lederrock, ein enges glitzerndes top, eine echte kurze Pelzjacke mit ledersäumen, ein Push-up und schwarze Strumpfhosen aus Spitze. Die langen Handschuhe aus Satin ließen mich dagegen kalt. Die Vorstellung aber, dass die Hauptdarstellerin darin geschlüpft, verschiedene Ob- oder Subjekte damit berührt und vielleicht in ihnen vor Aufregung geschwitzt hatte, ließ mein Herz höherschlagen. Ich nahm sie mit, da war ich 13. Ich hielt es nicht mehr aus, eilte nach Hause und verbarg meinen Fund bis die Nacht übers Land kam. Nach dem Gutenachtkuss zog ich mit eile und Vorsicht die schwarze Spitzenstrumpfhose – wie schön meine zarte Haut durchschimmerte ! – den kühlen Rock, die Sandaletten, die eigenen langen schwarzen Lederhandschuhe und die Pelzjacke darüber. Ich roch an den Satinhandschuhen und fing instinktiv an, mit mir selber zu spielen. Ich war meine eigene angebetete, streichelte meine Trophäen, ging fünf vorsichtige Schritte auf den hohen hacken – meine kleinen Füßchen rutschten aus dem Riemchen, der Boden knarrte. Atemlos verharrte ich in der Position. Das Herz schlug mir bis zum Halse. Die Tür des elterlichen Schlafzimmers öffnete sich – in vorauseilender Beschämung blieb ich wie erstarrt inmitten meines Zimmers stehen. Es fehlte nur noch dies: Tür auf, licht an und die Schamdusche angesichts entsetzter Eltern... doch mein Vater ging nur zur Toilette. Ich kannte seine Gewohnheit. Nachdem die Stille wieder einkehrte, legte ich mich aufs Bett, befingerte mit Handschuhfingern meine Beine, mein Geschlecht, meine Brustwarzen, mein Gesicht. Und dann verstand ich die Welt nicht mehr: ein brandheisser Schmerz in den leisten, und bald darauf Schoß eine weiße Masse aus meinem Schwanze. Mein junger Körper zuckte. Unaufgeklärt wie ich war, besah ich mir das feuchte Betttuch, die Strumpfhose, aus der die weiße Sahne herausquoll – ich hatte unendliche Angst, dass ich krank wäre. Nie im Leben hatte ich davon gehört, geschweige denn gesehen. Soviel ich konnte fing ich die Sahne in mein Schwarz behandschuhte Handschale auf. Der Anblick setzte dem Ganzen die Krone auf: frischer samen auf schwarzem Leder. Ich werde diesen Anblick nie vergessen. Ich führte die Hand zum Mund und kostete dieses neue Produkt meines Körpers: es schmeckte nach Austernwasser und hatte eine nussige Note. Und ich hatte meinen allerersten Orgasmus erlebt.
Die Angst wich diesem triumphalen erleben einer unglaublichen Zusammenkunft von erstem Orgasmus mit schwarzen Lederhandschuhen und schwarzen Spitzenstrumpfhosen. Bevor ich ermattet in mein Kissen fiel, verstaute ich meine intimsten Zeugen und Helfer unter die Matratze. Am nächsten Morgen hatten die Klamotten restfeuchte gespeichert und der Nachgeruch brannte sich auf immer ein. Auf eine Art war es meine erste Hochzeitsnacht, die mystische Hochzeit von Frau und Mann in einer Person. Und die langen zarten Ziegenlederhandschuhe waren meine Trauzeugen und fortan Lebensmittelpunkt.