Ferdi der Pfingstochse
Es ist Pfingstmontag. Wir sitzen an der Theke und rühren müde die Sahne in unseren Kaffee.Noch etwa eine halbe Stunde, bevor die Tür zu Gaststube geöffnet wird. Die Strahlen der Morgensonne stechen durch die Fenster auf die Holzvertäfelung der Wand, an der Gams- und Hirschgeweihe prangern. Das apricotfarbene Korsett meines Dirndlkleides drückt unangenehm in die Magengegend.
„Puh ist mir schlecht.“, jammere ich.
„Ich habe es dir gesagt! Lass uns nach Hause gehen, aber du musstest ja wieder die Flasche bis zum letzten Tropfen ausgeizen.“
„Ja mei.“ Mit ein paar Schlucken spüle ich eine Kopfschmerztablette runter.
„Besteck muss noch poliert werden.“, erinnert mich Stella und gähnt herzhaft. Desillusioniert glotze ich auf die Flaschen Prosecco, die Erna gerade in die Kühlung räumt.
Ich sollte weniger trinken.
Durch die Durchreiche zur Küche beobachten wir wie Aynur unsere Küchenchefin mit unserem Lehrling um die Wette knödeln. Der Bottich voller Teig aus dem etwa 80 Knödel geformt werden müssen, wird einfach nicht leer.
Der junge, hübsche Mann scheint locker mit der Geschwindigkeit seiner Ausbilderin mitzukommen. Gewissenhaft kontrolliert sie seine Teigkugeln, die in perfekter Form und Konsistenz in Reih und Glied auf der Silberplatte liegen. „Des isch Anfängerglück.“, raunt sie ihm zu. Stundenlang könnte ich ihn von hinten beobachten. Sein durchtrainierter Körper zeichnet sich selbst durch sein schlabberiges Arbeitsgewand ab.
Ein Tag, wie jeder andere.
Obwohl das Restaurant geschlossen hat, öffnet sich mit einem Schwung die große Eingangstür. Wer kann das wohl sein? Der Schirmständer fällt scheppernd auf den Steinboden. Ein lautes Hufe klappern ertönt. Wir drehen uns alle gleichzeitig um und trauen unseren Augen nicht.
Der Gregor vom Gschwendnerhof führt wie selbstverständlich seinen riesigen Pfingstochsen „Ferdi“ in unsere Gaststube. Das Vieh hat eine Rist Höhe von mindestens ein Meter und fünfzig und wiegt so um die eintausend Kilo.
Das gesamte Küchenpersonal drängt sich mit ihren Köpfen im Fenster der Durchreiche.
Stella, die gerade ihr Wechselgeld gezählt hat, lässt eine Handvoll Münzen auf dem dunkelgrünen Fliesenboden prasseln.
Bevor sie was sagen kann, kreischt Gregor recht affektiert in die Runde: „Leut, da schauts her!!!“, mit breitem Grinsen stellt er uns sein „Baby“ vor. Beppi erscheint nun auch und bleibt mit einem Eimer in der Hand hinter dem Ochsen stehen. Die beiden gutaussehenden Männer um die vierzig sehen immer wie Brüder aus in ihren krachledernen Hosen.
„Der Ferdi hat sich hübsch gemacht!“, mit einer ausschweifenden Handbewegung fährt der Gregor über den exorbitant großen Kopfschmuck des Ochsen. In Pink und in Regenbogenfarben reihen sich Blumen und bunte Bänder auf dem Kopf und über die Augen des Tieres, das kaum durch den Lederlappen schauen kann, welcher auf seiner Stirn angebracht ist.
„I hau an Eim´nr mitbracht. Dass ja koa Pfladen in eier Stuben kummt.“, brummelt der freundliche Beppi unter seinem gezwirbelten Bart und hebt uns den Behälter entgegen. Damit geben die Beiden uns zu verstehen, dass der Pfingstochse durchaus jede Daseinsberechtigung im Inneren unserer Gaststuben hat. Man könnte es auch für eine reine Provokation halten, aber die Beiden meinen es wirklich nur gut. Nur manchmal planen Sie nicht immer vorausschauend. Dass wissen alle hier im Dorf.
Ich schaue mich um. Die Tische vierundzwanzig bis fünfunddreißig müssten allesamt zusammengeschoben werden, damit die glorreichen Drei hier Platz hätten.
Mit einem Augenaufschlag wende ich mich charmant dem Gregor zu. „Du, wie ihr zwoa den Ferdi hergrichtet habt, des isch ja d´r Hamm´r. Sowas scheen´s han i no nia g´seha. Aber woascht was, mir han´t no zua. Könnt’s euch bittschön draußen hinsetzen? Für den Ferdi gibt dussa a schee’s Gras.“
„Freilich!“, nickt uns der Gregor zu.
Kein Pfingstochse in der Gaststube. Das ist nun mal die Regel.
„Bringscht uns an Schnitt, Spotzal?“ Gregor haut mir mit der flachen Hand auf meine rechte Schulter. Dann schnappt er sich den Lederriemen, der seitlich am Tier baumelt und zieht ihn links Richtung Tisch siebzehn.
Beppi, immer dicht mit dem blauen Eimer am Hinterteil des Ochsens, dirigiert das Tier, sodass es sich vorsichtig drehen kann. „Der Ferdi ko itta rückwärts loffa.“
„Scho kloar“, antworte ich.
Dass man dieses Tier wieder irgendwie ausparken muss, daran haben die zwei Männer wohl nicht gedacht. Umständlich drehen sie den armen Ochsen in alle Richtungen. Ferdi wird inzwischen nervös, brüllt und schüttelt sich. Die Glocke um seinen Hals schellt erbarmungslos, als Stella und ich den Herren zur Hand gehen und den Ochsen schieben und ziehen.
„Do geh her!“, und „Geh´ zuuuu!“ und „gaaaanz ruhig!“, rufen wir von allen Seiten.
Nach einer gefühlten halben Stunde wackelt der diesjährige Pfingstochse aus der Tür. Stella eilt mit zwei Willigläser halb Bier, halb Schaum hinterher.
Der Kochlehrling hat das ganze Spektakel auf dem Handy gefilmt und Aynur lacht sich halb tot als sie immer und immer wieder die Szene am Display zurückspult. Eigentlich müsste man ein Buch über unser Dorf schreiben.