2 ½ Wochen (vorsicht lang !!!) viel Spaß beim lesen
Inhalt
1. Frieder 4.Stock
2. Brauhaus
3. Eiskaltes Händchen
4. Ali Kaffee
5. Heb mal! (Abschied Martina)
6. Das kann er auch nicht (Creps)
7. Ich kenne dich
8. Laufen lernen
9. Behinderung
10. Bewegungsbad
11. Radolfzell
12. Reden kann er auch nicht (Geschenk)
13. Massage
14. Ich habe Feuer gemacht
15. Das große Heulen
16. Schmerzen
17. Fliege an der Wand
18. Träume
19. Schocki kaufen (Kino)
20. Latte maciatto (Abschied Vater)
21. Abschied
22. Brüderchen und Schwesterchen
23. Freundschaft auf Ewig
Vorwort:
Ich glaube ich muss mal was los werden. Das was mir die letzten 2 ½ Wochen widerfahren ist, ist so etwas von ungewöhnlich, das es einiger Zeilen bedarf. Ich bin mir nicht sicher, ob die heutige Gesellschaft für diese Art von Beziehung und Offenbarung bereit ist, aber jetzt schreibe ich es erst einmal nieder. Zerreißen kann ich das ganze immer noch.
1. Frieder 4.Stock
Endlich habe ich den Weg durch Ludwigshafen gefunden und nach langem zögern den richtigen Abzweig zur Klinik gefunden. Doch dann stehe ich mitten im Wald. Bin ich hier noch richtig? Endlich kommt das Schild „Frieder Klinik“. Das Gebäude wirkt von außen kalt und nicht gerade einladend. Und hier soll ich 3 Wochen Minimum bleiben, keine Chance. Die Dame am Empfang sagte mir ich soll gleich in den 4. Stock. Kaum dort angekommen, meinte die Schwester, dass ich mir das Bad mit einer Mitpatienten teilen müsste. „Keine Chance“ meinte ich zu ihr, „ich muss kathedern und kann es nicht haben, mir ein WC mit einer Mitpatienten zu teilen.“. Die Schwester hatte ein einsehen und telefonierte sogleich mit der Belegabteilung und wies mir ein anderes Zimmer zu. Na das ging dann doch noch mal gut. Denkste, keine ½ h später erfuhr ich von der nächsten Mitpatienten, da ich hier im psychosomatischem Bereich gelandet bin. Als dann der Arzt rein kam, meinte ich gleich zu ihm, dass ich mich hier nicht so leicht abspeisen lassen würde. „Ich habe keinen an der Klatsche. Ich bin hier, weil ich das laufen wieder lernen will, sonst geht es mir gut.“ Der arme verstörte Assistenzarzt (der total zerstreute Professor, halt eben ein Psychodoktor) wollte mich noch 2x bekehren, bis ich ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben habe, entweder ich darf auf eine andere Abteilung oder ich gehe. Der Tag war für mich schon fast gelaufen. Keine Stunde später meinte er, das ich ab übermorgen auf die K2 wechseln dürfte. So lange sollte ich halt im 4. Stock Frieder Klinik bleiben.
Als es dann um 15:00 Uhr Kaffee gab und sich so die diversen Gestalten einfanden wollte ich wieder nur noch weg laufen. Doch dann durfte ich in den 1. Stock und ich war glücklich. Es verging eine Wochen, meine Anwendungen nahem ihren Lauf und ich wartete auf meine Orthesen. Ich lernte eine nette Gruppe von 5 Mädels kennen und wir unternahmen auch das 1. Wochenende etwas zusammen. Wir sind mit der Fähre nach Konstanz gefahren und haben uns einen schönen Nachmittag an der Promenade gemacht.
2. Brauhaus
Es war Dienstag, als wir Mädels eingeladen wurden, am Abend mit ins Brauhaus eine Kneipe in Ludwigshafen zu kommen. Nicht alle hatten Lust, doch sie wussten nicht, was ihnen da entging, denn es wurde ein total lustiger Abend. Schon der hinweg gestaltete sich zu einem totalen Abenteuer, denn nicht alle waren so gut zu Fuß. So das die ersten schon zu lästern anfingen, das es ja eine Ewigkeit dauern würde, bis wir die 200m bis zur Kneipe zurück legen würden und man ja gleich nach dem Eintreffen wieder los gehen müsste um den letzten Bus zu bekommen. Es war schön mal etwas anderes zu hören als nur Krankheit und Anwendungen. Jeder hatte seine eigenen Geschichten, mit denen er den Abend verkürzte. Und was das witzigste daran war, das wir über jedem seine Krankheitsmacken lachen konnten, ohne dass es irgendeiner einem übel genommen hat. Im Gegenteil, man lachte einfach mit. Doch ein Spruch stellten sich immer wieder herraus :“Frieder 4. Stock“ und dabei mit dem Kopf zur Seite zuckend. Es wurde alles in allem ein feucht fröhlicher Abend, der seinen Tribut forderte. Ich musste ein WC aufsuchen, was mich vor ein etwas größeres Problem stellte, denn im Brauhaus ging es zum WC die Treppe runter. Also machte ich mich mit Evelyn auf die Suche in einer andern Kneipe, nach einem WC, in das man mit einem Rolli rein fahren konnte. Nach der 3. Kneipe waren wir fündig geworden. Ich musste mal wieder feststellen, dass es nicht einfach ist mit einer solchen Behinderung um zu gehen.
Als wir uns dann alle geschlossen auf den Weg zum Bus machten (ich glaube es war keiner mehr alleine) ging die Frötzelei gleich weiter. Um unseren Fußkranken Volk ein wenig auf die Sprünge zu helfen, haben wir unseren Olli auf den Rollator von Sahra gesetzt und geschoben. Eine Person die sich den ganzen Abend sehr zurück hielt, viel die meiste Zeit nur damit auf, das Sie viel Schmerzen zu haben schien. Das war Sven.
3. Eiskaltes Händchen
Erst als wir an der Bushaltestelle auf den Bus warteten, taute er auf und brachte einen harten Kommentar nach dem anderen. Wie war den der drauf, dachte ich mir. Im Zuge seiner Witze stelle ich fest, dass irgendetwas mit seiner rechten Hand nicht stimmte. Ständig stopfte er sie in seine Hosentasche oder rückte sie mit der linken zurecht. Als er dann noch seinen Spitznamen verriet „Eiskaltes Händchen“ war vieles klarer, doch zu Fragen wagte ich dort noch nicht. Ich glaube ich hatte am nächsten Tag so viel Muskelkater vom vielen lachen, wie lange schon nicht mehr in meinem Leben!
4. Ali Kaffee
Für den nächsten Tag hatten wir uns verabredet nach den Anwendungen mit dem Bus in die Stadt zu fahren. Außer Ali, Sven und mir war keiner mehr übrig. Ali wollte mich nicht sitzen lassen und Sven ging aus Solidarität mit. Wir gingen ins Kaffee und schlürften unseren Cappuccino und unterhielten uns über Ali's Trennung und noch diverse andere Themen. Ich hatte natürlich mal wieder mein bestes dazu gegeben und den einen oder anderen Tipp parat. So alles in allem hatte ich aber trotzdem das Gefühl, das 5. Rad am Wagen zu sein. Ich fühlte mich nicht so ganz wohl, obwohl es doch ein schöner Nachmittag war. Ich glaube die beiden Jungs waren am Anfang auch nicht ganz begeistert sich den Nachmittag mit mir zu vertreiben. Doch dann kam in den Gesprächen irgendwie eine Wende rein. Ich kann nicht genau sagen wann und warum, aber es war so. Auf einmal hatte ich das Eis bei den beiden gebrochen.
5. Heb mal (Martinas Abschied)
Am Abend war mal wieder Hörnle angesagt. Martina wollte sich von uns allen verabschieden. Sahra, die „Gute Seele“ hat für Martina im Namen alle ein Geschenk besorgt und überreichte es mit lieben Worten. Dann kann das große knutschen. Auch Sven wollte sich gebührend von Martina verabschieden und setzte zur Umarmung an. Doch irgendwie war da was im Weg. Klar, wenn man auch meint über den Tisch knutschen zu müssen. Also meinte er kurzum zu Sahra: „Heb mal“, holte mit seinem rechtem Arm aus und gab in ihr. Verabschiedet man sich so in Selb? Es wurde wieder ein fröhlicher Abend, der wie üblich damit endete, dass die Frieder Klinik erbarmungslos um 22:45 Uhr ihre Pforten schließen wollte. Da die Zeit drängte sind wir dann mit dem Rolli die Straße lang gefahren. Zum Leidwesen von Sven. Er schob den Rolli den Berg mit seinen einem Arm mit einer Leichtigkeit hoch, als sei es nichts. Bei jedem Geräusch oder Auto ist er zusammen gezuckt. Als es dann auch noch ein wenig Berg ab ging war es dann zu viel für ihr. Er beschloss, die Straße wird nicht mehr genommen. Denkste, das werden wir ja noch sehen (im Laufe der Geschichte).
6. Das kann er auch nicht (Creps)
Irgendwie muss man ja am Samstag die Zeit tot schlagen, also sind wir mal wieder in die Stadt auf einen Kaffee gefahren. Ich wollte am nächsten Tag in die Stadt und noch 2 Tops kaufen, weil man mit diesen Temperaturen zu dieser Jahreszeit ja nicht hat rechnen können. Sven war mit von der Partie. Sollte es doch noch Männer geben, die gerne einkaufen gehen? (Sollte wohl ein Wunschdenke bleiben) Nach einem kleinen Bummel hatten wir uns eine Stärkung verdient. Fürs Mittagessen war es sowie so schon zu spät, also gönnten wir uns ein Creps. Das Angebot war nicht aus zu schlagen. Creps nach Wahl mit Sekt für 4,-€. Warum also nicht. Sven bestellte 2 Creps mit Nutella, Bananen und Eierlikör. Woher wusste er nur, was ich gerne auf meinem Creps haben möchte. Sollte er mich dann doch so gut schon kennen? Bin ich so leicht zu durchschauen? Oder haben wir nur den gleichen Geschmack? Die Bedienung schaut Sven fragend an:“Das alles wollen sie auf dem Crep?“ Als wir dann noch sahen, wie viel Sekt das war (0,2cl) grinsten wir. Die Creps waren lecker, doch das mit dem Essen muss Sven noch lernen. „Das kann er also auch nicht!“
7. Ich kenn dich
Kaum zu glauben, aber schon nach wenigen Gesprächen stellte ich fest, das Sven und ich sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Vom Geschmack der Creps mal ab gesehen. Wir haben den gleichen Beruf, haben an dem gleichen Tag Geburtstag, lieben beide Jacki Chan Filme, den gleichen Dickkopf, lieben beide unsere Partner etc. Das macht es leichter die Gespräche zu führen. Oftmals weiß man vorher schon, was der andere sagen will, er denkt oder aber merkt, wenn etwas nicht stimmt. Das war eine schöne Erfahrung. Doch eins war für uns beide von Anfang an klar, nämlich, das es bei der Freundschaft bleiben soll. Keiner von uns will seine Partnerschaft aufs Spiel setzen, dazu sind uns unsere Partner zu viel wert.
8. Laufen lernen
Er war es, der mich gelehrt hat nicht auf zu geben. Er erzählte mir eine Geschichte von seiner Frau, die er über alles liebt. Als sie einmal nach langer Krankheit ein wenig den Mut verloren hat, hat er zu ihr gemeint, Sie solle jetzt aufstehen und das Laufen üben, sonst würde er nicht mehr kommen. Das war auch für mich der Ansporn immer wieder das Laufen zu üben. Und Siehe da es wurde besser. Von nun an gehörte das Laufen üben zu unserem täglichen Programm. Sven gab nicht auf. Am Anfang war das ganze eine total wackelige Angelegenheit, doch schon sehr bald wurde es besser und ich konnte dann immer längere Strecken zurück legen. Er war immer ein starker Arm gewesen. Auch bei den Gleichgewichtsübungen bewies er eine Standfestigkeit mit der er mich festhielt, die glaube ich kein gesunder Mensch auf die Beine gebracht hätte. Sven wurde mein Schatten. Er begleitete mich beim Laufbandtraining, wie auch beim Treppen steigen. Er hielt irgendwie immer seine schützende Hand über mich und fing mich auf, wenn ich fiel. Selbst beim Rollstuhltraining, als wir versuchten die Bordsteine hoch zu fahren, war seine helfende Hand immer an der richtigen Stelle.
9. Behinderung
Im Laufe der vielen Gespräche hatte ich dann auch erfahren, was mit Svens Arm vor fast 20 Jahren passiert ist. Ich finde es bewundernswert, wie er mit seiner Behinderung um geht. Er hat immer einen coolen Spruch auf den Lippen, wie zum Beispiel: „Kann ich ihnen helfen“, „Haben Sie eine Frage?“. Er erzählte mir eine Geschichte, wo er einkaufen war und die Einkäufe aufs Band legte. Der Mann/Frau hinter ihm meinte, wenn er die Hand aus der Hosentasche nehmen würde ging‘s etwas schneller. Darauf Sven: „Wenn sie mir helfen auch! Oder zeigen Sie mir wie!“ und zog seine Hand aus der Tasche. Bei ihm klingt das so einfach. Aber immer wenn die Leute an kommen und statt zu fragen was los ist, mit Mitleid (meist noch nicht mal ernst gemeintes) kommen, dann fühle ich mich schlecht. Das ist etwas, was in der Frieder Klinik fast nicht passiert, denn jeder hat hier so seine eigenen Probleme. Man ist so unter seines gleichen. Fast jeder kennt dieses Problem und es wird offen damit umgegangen. Ich habe mir in diesem Punkt sicher das ein oder andere bei Sven ab geschaut und hoffe es auch anwenden zu können. Wenn ich mir überlege, was Sven alles mit einer spielenden Leichtigkeit bewältigt bekommt, so ist dies total bewundernswert. Wenn ich mir überlege, das er mit nur einem Arm Autos repariert, Motorrad fährt, den Garten macht, seiner Frau zu Hause hilft und dann noch neben her 2-3 Jobs ausführt, dann ziehe ich den Hut vor ihm. Wenn man ihm allein nur beim Auto fahren zu schaut, ist das ein Genuss. Er bedient alle Elemente mit einer Hand und lenkt zu weilen mit den Knien. Dagegen fahre ich total abgehackt mit meinen 2 Händen. Wenn ich dann noch das Radio bedienen will oder den Tempomat, dann fehlt mir zu weile eine 3. Hand (denn Gas geben muss ich ja mit meinen Händen.
10. Bewegungsbad
Das mit dem Bewegen auf dem Land ist so eine Sache, aber im Wasser, da bin ich frei! Wenn wir nichts Besseres vor hatten sind wir zusammen in Bewegungsbad gegangen. Manchmal auch zu den freien Trainingszeiten. Auch hier machten wir wieder die diversen Übungen und Lauftraining, allerdings halt unter Wasser. Doch ich wollte mal nicht immer nur nehmen sondern auch etwas geben. Also bin ich her gegangen und habe Sven gezeigt was für ein tolles Element Wasser sein kann, wenn man sich darauf einlässt. Erst habe ich versucht, das er sich auf Wasser legt ganz ohne Hilfsmittel, doch seine Beine waren der Schwerkraft widerlegen. Somit bediente ich mich einer Nudel, die ich ihm unter die Beine legte. Dann habe ich ihn ganz vorsichtig durchs Wasser gezogen, geschoben und bewegt. Er entspannte sichtlich. Ich glaube es war für ihn eine neue Erfahrung. Mir war in den Gesprächen immer wieder klar geworden, dass auch er seine Punkte hat, mit denen er zu kämpfen hat.
11. Radolfzell
Tja was machen die Frieders, wenn sie keine Therapien haben? Na klar, sie gehen in die Stadt doch immer in die gleiche ist ja auch mit der Zeit langweilig, also dies Mal Radolfzell. Da wir ja mit dem Wetter ein solches Glück hatten, war es eine gelungene Abwechslung.
Erst sind wir 3 Sahra, Sven und ich durch die schöne Altstadt gelaufen und dann am See entlang. Bei einem Eis erzählte Sven uns von seiner bevorstehenden Adoption.
12. Reden kann er auch nicht (Geschenk)
Als wieder einige von unserer Truppe den Heimweg angetreten sind, gab es beim Frühstück großes Geschenke verteilen. Jeder bekam etwas Gabi, Sven, Thorsten, Thomas, etc. Ja sogar ich habe etwas bekommen. Ich war total platt. Ich hatte bis dahin nicht wirklich das Gefühl gehabt dazu zu gehören. Ich hatte mich zwar immer beim Frühstück mit zu ihnen an den Tisch gesetzt, auch wenn eigentlich kein Platz mehr frei war, es wurde immer noch irgendwo ein Eckchen gefunden. Unser Tisch war immer der vollste. Bis zu 9 Personen und mehr haben wir dort unter gebracht. Zu jedem Geschenk wurde eine kleine Ansprache von jemandem gehalten. Zum Leidwesen von Sven musste er ein paar Worte an mich richten. Er geriet sichtlich in Stress, zog den Pulli nach vorne pustete rein und fächelte sich Luft zu. Mir liefen die Tränen. Der Kommentar der anderen ließ nicht lange auf sich warten. Wir alle sagte fast im Chor: „Rede kann er auch nicht!“. Aber mal ganz ehrlich, so etwas war mir noch nie passiert. Ich war ich, musste niemanden etwas beweisen und wurde dafür auch noch geliebt. Einfach eine super Erfahrung!
13. Massage
Nach dem ich im Bewegungsbad mit bekommen hatte wie gut Sven auf Entspannung angesprochen hatte, habe ich ihm angeboten, das ich ihn mal massiere. Eigentlich wollte ich dies ja mal als Beruf machen, meine Eltern hatten jedoch nicht das nötige Kleingeld mich auf die teuren Privatschulen zu schicken, also stecke ich den Berufswunsch und schaute mir einfach bei dem Masseur, bei dem ich Praktikum gemacht hatte einiges ab. Den Rest lernte ich von Büchern und meinem Heilpraktiker. Vor allem über den Muskelaufbau. Als ich angefangen habe ihn vom Rücken her zu massieren, zuckte Sven erst einmal zusammen. Die Berührungen waren ihm deutlich unangenehm. Doch dann ließ er es zu und ich merkte, wie sich die Muskulatur unter meinen Händen langsam zu lösen begann. Ich glaube, er erwartete nur, dass ich ihm den Rücken massierte. Ich jedoch massierte ihm nur die rechte Seite seines Rückens und ging dann zum Arm über. Wieder schien es ihm unangenehm zu sein. Als ich fertig war mit massieren, meinte er nur, das ihn schon lange keiner mehr so den Arm massiert hätte. Das würde schon einige Jahre zurück liegen. Als er dann noch sagte, das er ein kribbeln im Ellenbogen spüren würde, meinte ich zu ihm, er solle doch mal Iris bitte, das 1-2x die Woche bei ihm zu machen. Darauf hin meinte Sven, das Iris ihm das auch schon angeboten hatte, er es aber nicht weiter verfolgt hat. Ich hoffe für ihn, das er es lernt über seinen Schatten zu springen und auch mal zu sagen, war ihm vielleicht gut tun würde, auch wenn er keinem zur Last fallen will.
14. Ich habe Feuer gemacht
Thorsten war zwar schon nicht mehr in der Frieder Klinik, aber wir sahen ihn trotzdem noch fast täglich. Entweder in der Klinik oder im Hörnle. Für diesen Abend hatten Thorsten und Tanja zum Grillen am See eingeladen. Ich hatte an dem Nachmittag Besuch und wollte später dazu kommen. Als mein Besuch weg war, begegnete ich Tanja und wir gingen zusammen runter an den See. Ich glaube sonst hätte ich den Platz gar nicht gefunden.
Auf jeden Fall waren Thorsten und Sven dabei Feuer zu machen und freuten sich wie kleine Kinder, als es dann endlich brannte. Sie meinten dann nur: „Ich habe Feuer gemacht, wie in dem Film 'Castaway'.
15. Das große Heulen
Während der ganzen Reha hat uns das Thema Abschied immer wieder beschäftigt. So auch an diesem Tag. Sven kam aus seiner Therapiegruppe und meinte, heute währe das große Heulen angesagt gewesen. Ein Teil der Leute musste gehen und so wurde das Thema Abschied angesprochen. Was mich an der ganze Sache so beeindruckt ist, das Sven zu den wenigen Männern gehört, die ich kenne die seinen Gefühlen freien Lauf lassen können. Hut ab und weiter so.
16. Schmerzen
Ich habe mir sehr viel von Sven im Puncto Schmerzbewältigung ab geschaut: In vielen Gesprächen kam auch immer wieder das Thema Schmerzen und Schmerzmittel zum tragen. Sven erzählte mir, dass es seit über ein Jahr keine Schmerzmittel mehr nimmt. Als ich ihn fragte, wie es denn so ganz ohne aushält, da erklärte er mir, das er damals die gleichen Medikamente (Lyrika + Mophine) genommen hat und er für sich fest gestellt hat, das es ihn in seiner Persönlichkeit total verändert hat. Er wollte dies nicht mehr mit machen und hat alle Tabletten abgesetzt. Als ich ihn fragte, wie er das den durchhält meinte er nur, das er versucht an etwas schönes zu denken und das es besser wäre die Schmerzen aus zu halten, als sich durch die Tabletten so manipulieren zu lassen. Die Schmerzen selbst würde er wegartmen. Das ganze hat mir so imponiert, das ich mich auch dazu entschlossen habe die Morphine und das Lyrika so schnell wie möglich ab zu setzten. Mir sind die letzten Tage einige Dinge bei mir selbst auf gefallen. Ständig schlafe ich bei allen möglichen Situationen ein, vor allem aber, wenn ich mit wichtigen Menschen zusammen bin, wie z.B. meinem Mann oder meinen Kindern. Schlimm finde ich auch, das ich direkt beim reden, essen oder spielen einschlafe (Sekundenschlaf) und dann nicht mehr weiß, was ich gesagt habe und was ich geträumt habe. Was mich aber am meisten dazu gebracht hat damit auf zu hören, war die Aussage meiner Tochter Ann-Kathrin, als wir mal wieder einen Spieleabend machen wollten: „Aber Mama, nicht, das du wieder beim würfeln einschläfst!“. Das tat ganz schön weh. Ich wollte und musste das ändern. Ich denke ich habe es Sven zu verdanken, dass er mich darauf hin aufmerksam gemacht hat und mir vor allem gezeigt hat, das es auch anders geht.
17. Die Fliege an der Wand
Meistens gingen wir in diversen Gruppen Zusammenstellungen abends ins Hörnle. Da aber ab 22:30 Zapfenstreich war, trafen wir uns des Öfteren bei mir im Zimmer.
So auch an diesem Abend. Sven und ich unterhielten uns angeregt über verschiedene Themen wie Expartner, Partnerschaft, Kindererziehung, REHA's etc. Bei den ganzen Themen stellten wir eine ganze Menge Gemeinsamkeiten fest. Unter anderem auch, das wir beide am gleichen Tag Geburtstag haben, nur das Sven 2 Jahr älter ist als ich. Über die Einzelheiten der Gespräche möchte ich mich nicht auslassen, da ich weder irgendjemanden langweilen will, noch irgendwelche Intimitäten ausplaudern möchte. An diesen Abend passierte etwas, worüber am nächsten Tag die ganze Klinik in Gelächter aus gebrochen ist. Es war bereits nach 23:00 als es plötzlich kurz an der Tür klopfte und gleich darauf eine Schwester und ein Pfleger in der Tür standen. Sven saß auf dem Sofa, ich ihm gegenüber im Rollstuhl. Wir guckten uns ganz verdutzt an. Was war jetzt los? Wir wussten ja eigentlich, dass es uns nicht erlaubt war einen Mitpatienten auf dem Zimmer zu besuchen, doch wollten wir ja eigentlich nur ungestört reden, ohne das die ganze Klinik Bescheid wusste. Die Schwester klärte uns dann recht schnell auf, dass meine Nachbarin bei der Pforte um Hilfe gebeten hatte, weil sie aus dem Nachbarzimmer einen riesen Schlag gehört hätte. Als die Schwester und der Pfleger verschwunden waren überlegten wir uns, was das denn für ein Schlag gewesen war. Dann auf einmal meinte ich zu Sven: „Mensch, du hattest doch gerade die Fliege platt gemacht!“
Am nächsten Morgen war das das Thema beim Frühstück.
18. Träume
Die Zeit wird knapp. Es bleiben uns nur noch wenige Tage, so dass wir jede erdenkliche Zeit miteinander verbringen. Viele hier in der Klinik zerrissen sich schon das Maul um uns, von wegen, die haben was miteinander. Nur wir wussten es besser und es war das erste mal in meinem Leben, das es mir nichts ausmachte, was die anderen denken. Nur wir wussten, dass wir unseren Prinzipien und Partnern treu bleiben.
Ich glaube ich habe in den ganzen Gesprächen zwar viel von Sven profitiert, aber in einem Punkt konnte ich ihm auch noch etwas bei bringen. Ich weiß zwar, dass er nach seinem Unfall sehr viel erreicht hat. Wie z.B. mit der Behinderung zu recht zu kommen, die Umschulung und die Trennung von seiner Ex-Frau nebst Pflegetochter. Aber ich habe auch festgestellt, dass er vor lauter Arbeiten und Probleme lösen, das Leben total vergessen hat. Ich fragte ihn darauf hin, was denn eigentlich seine Ziele wären. Sven schaute mich total verdutzt an. Er überlegte lang, bevor er mir zur Antwort gab, dass er gerne die Adoption durch bringen möchte und dann mit seiner Familie zusammen ein schönes Leben leben möchte. Ich harkte noch einmal nach seinem Traum nach. „Was möchtest du gerne mal tun, egal ob es in naher Zukunft mal machbar ist?“ Da antwortete er mir, dass er gerne mal die Route 66 lang fahren möchte. Am liebsten mit dem Motorrad. Ich erklärte ihm, dass er diesen Traum nie aus den Augen verlieren darf. Die Ausführung könne sich vielleicht etwas ändern, in dem er evtl. nicht nur mit dem Motorrad, sonder vielleicht mit einem Wohnmobil, seiner Frau und seinem Adoptivkind die Route 66 runter fahren würde. Aber er soll in kleinen Schritten auf den Traum hin arbeiten. Manchmal ändern sich die äußeren Umstände, aber das heißt nicht, dass man deshalb das Ziel verlieren muss, sondern dass man flexibel auf die Änderungen reagieren muss. Eigentlich ist er doch auch Programmierer, eigentlich weiß er doch, wie man an ein Ziel ran geht. Nämlich in dem man das Ziel/Aufgabe in viele kleine Ziele zerteilt und dann die einzelnen kleinen Ziele in Angriff nimmt. Sven sollte einfach mal lernen ein wenig mehr an sich zu denken und vor allem das Leben zu leben. Es kann so schnell vorbei sein.
„Zeit für sich selbst und die, die wir lieben, ist Reichtum und sollte kein seltener Luxus sein.“
19. Schocki kaufen
Nach unseren Therapien hatte Sven mich auf eine Probefahrt mit der Corvett eingeladen. Ich hatte noch nie zuvor in einem solchen Sportwagen gesessen. Als wir los wollten, war klar, dass wir zum Tanken in die Schweiz fahren. Als ich sah, dass es ein wenig schwierig werden würde, den Rolli in die Corvett zu bekommen, meinte ich zu Sven, dass wir den Rolli ruhig da lassen könnten. Nach dem ich dann in den schwarzen Flitzer rein gekrochen bin, beschlossen wir nach Schaffhausen zu fahren. Unterwegs viel mir ein, das wenn wir in der Schweiz sind, wir ja auch „Schoki“ kaufen könnten. Jetzt hatten wir nur ein Problem. Wir hatten kein Rolli dabei. Aber ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Also bat ich Sven einen Einkaufswagen zu holen. Im ersten Moment verstand er nicht auf was ich hinaus wollte, bis ich dann den vorderen Teil des Einkaufswagens umklappte und mich dann rein setzte. Darauf hin schob der einarmige Sven die gelähmte in einem Einkaufswagen durch den Migros. Die Leute klotzen nicht schlecht, aber mir hat es gut getan. Erstens zu sehen wie Sven mit dieser Situationen umgeht und zweitens war es fast wie ein Teenagerstreich. Es hat richtig gut getan! Zur guter letzt ist mir dann beim aussteigen aus dem Einkaufswagen die Klappe auf den Kopf gefallen. Auswahl!
Auf dem Rückweg bin ich leider wieder mal dauernd im Sekundenschlaf eingeschlafen, dabei hatte ich mich doch so auf die Probefahrt gefreut.
20. Kino
Ich wollte Sven eine Freude machen. Als ich in den Nachrichten mit bekommen habe, das im Kino ein neuer Film zum Thema „Route 66“ anlief, war das die Möglichkeit Sven die Idee von seinem Traum ein wenig zu verbildlichen. Er wusste nicht in was für einen Film wir gehen. Ich besorgte die Kinokarten, während Sven mir Kopfschmerztabletten besorgte. Die Dame an der Kasse meinte dann, dass sie mal eine Ausnahme mache und uns zwei Behinderte zum Preis von einen Nicht behinderten rein ließe, so kann man auch Geld sparen. Es war gar nicht so einfach an den Sitzplatz zu kommen. Erst musste ich mit dem Aufzug fahren und dann hätte ich im Rolli von der eigentlichen Sitzreihe sitzen sollen. Sven trug mich dann in den Sitz rein. War mir sehr peinlich. Eigentlich wollte ich ja selbst hin krabbeln, aber das ließ er nicht zu. Dann begann der Film und als Sven den Titel „Back to the Route“ erkannte schmunzelte er. Ich glaube ich hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Der Film war sehr lehrreich! Es ging um 4 alte Freunde, die des Alltags müde waren und sich in das Abenteuer „Route 66“ stürzten. Dabei entdeckte jeder von ihnen, was in ihm schlummert und was das Leben lebenswert macht!
19.Latte maciatto Karamell (Abschied Vater)
Der letzte Tag war angebrochen. Die Zeit war wie im Flug vergangen und wir hatten uns doch noch so viel zu sagen. Nach dem wir mit den Anwendungen fertig waren, sind wir auf einen Kaffee Latte maciatto mit Karamell ins Kaffee gelaufen/gefahren. War das erste Mal das ich den Latte mit Karamell getrunken habe. War lecker! Während dessen haben wir uns noch einmal über seinen verstorbenen Vater unterhalten. Er sprach sehr bewundernd über ihn und erzählte, das wenn was nicht klappt, dass er dann einfach daran denkt, mit welcher Geduld sein Vater an die Sache ran gegangen wäre und schon schöpft er neue Geduld und neuen Mut!
21. Abschied II
Am Mittag haben wir uns einfach an den See gelegt. Für den Abend hatte ich mir gewünscht, dass wir noch einmal ein Feuer machen. Diesmal hatte ich Feuer gemacht. Es brannte sehr schnell und gut. Auf gut deutsch: „Das kann Sie!“ Wir hatten noch ein Gässchen Rotwein dabei und genossen die letzten Stunden. Als wir dann aufs Zimmer gegangen waren, wurde der Abschied immer deutlicher. Sven ist so ziemlich der einzige Mann, den ich kenne, der seine Gefühle auch zum Ausdruck bringen kann. Wir saßen uns lange schweigend gegenüber bis dann erst bei ihm und dann bei mir die Tränen ausgebrochen sind. Warum kann ich so gar nicht mehr sagen, aber ich glaube es war, weil die Zeit einfach viel zu kurz und zu intensiv war!
23. Brüderchen und Schwesterchen
Auf einmal hatte ich Angst, das Sven sich nicht an die Abmachung hat halten können. Ich hatte die Befürchtung dass er zu viel Gefühl in diese Freundschaft investiert hatte und empfand das als Vertrauensbruch. Denn am Anfang als wir uns besser kennen lernten, hatten wir abgemacht, Freundschaft und nicht mehr. Außer einer Umarmung oder ein beruhigendes Streicheln sollte nie etwas laufen und lief auch nichts. Ich hatte das für mich ganz gut im Griff, auch wenn ich gemerkt hatte, dass dies eine recht tiefe und innige Freundschaft ist. Aber es waren mehr Gefühle, wie man sie für einen Bruder hat. Also fragte ich Sven, ob er mein großer Bruder sein möchte. Ich glaube so verdutzt hatte ich Sven die letzten 2 ½ Wochen nicht gesehen. Er war gerührt und nahm sein Schwesterchen in den Arm. Es war, als wäre ein Knoten geplatzt, einfach befreiend. Endlich wussten wir beide auf welcher Ebene unsere Gefühle waren. Ich habe einen großen Bruder bekommen, der immer für mich das ist, der sich Sorgen um mich macht und immer ein offenes Ohr für mich hat. Sven dagegen hat ein kleines Schwesterchen bekommen, das er auf der einen Seite beschützen muss, andererseits aber auch bewundern kann. Ach ja ich vergaß ich habe auch noch eine Schwägerin dazu bekommen und er neben dem Schwager gleich noch eine Nichte und einen Neffen. Und da soll noch mal einer sagen, dass man sich seine Familie nicht raus suchen kann.
24. Freundschaft auf Ewig
Als wir uns verabschiedeten, schworen wir uns, dass wir den Kontakt nicht abreißen lassen werden und die Freundschaft auf Ewig eingehen. Ich hoffe, dass es auch dabei beleibt und nicht wieder eine große Enttäuschung hinten daran kommt. Noch eine kaputt gehende Freundschaft kann ich nicht mehr ertragen. Das tut immer so weh!
Nachruf:
Ich habe diese Zeilen für einen wunderbaren Menschen geschrieben, wenn nicht sogar den wunderbarsten Menschen, der mir in meinem Leben über den Weg gelaufen ist. Das ist jetzt nicht falsch zu verstehen, es ist nicht mein Mann. Mein Mann liebe ich von ganzem Herzen und ich kann mir nicht mehr vorstellen ohne ihn zu leben. Ich würde ihn jederzeit wieder heiraten. Das was mich mit Sven verbindet ist eine so innige Freundschaft, wie ich nie geahnt hatte, dass es sie geben würde.
Ich glaube nicht, das es einen anderen Menschen gibt, der mit so viel Ruhe und Geduld an alle Sachen ran geht. Ich habe mir in diesen wenigen Tagen so viel von ihm ab geschaut. Sei es, wie man mit einer Behinderung um geht, die keiner übersehen kann oder aber auch, wie man auch ohne Medikamente mit Schmerzen fertig werden kann. Ich Bewundere an ihm, was er trotz der für mich nicht unwesentlichen Beeinträchtigung alles aus seinem Leben gemacht hat. Er hat mir gezeigt, dass man nicht aufgeben soll.
Er war es, der mich gelehrt hat nicht auf zu geben. Jetzt wo er wieder in seinem Alltag zurück ist und ich in der Klinik zurück geblieben bin, werde ich weiter üben, denn wir haben uns versprochen nicht aus den Augen zu verlieren. Und wenn ich ihm das nächste Mal begegne will ich wenigstens ein paar Schritte ohne diese lästigen Orthesen laufen können. Es fällt nicht immer einfach. Eigentlich bin ich eine Kämpfernatur, doch auch ich bin manchmal schwach. Dann ist es schön, wenn man einen Freund hat, auf den man sich verlassen kann, der einen ein wenig antreibt und manchmal auch den Kopf wäscht. Manchmal hat er mich jedoch auch wieder auf den Boden der Tatsachen runter holen müssen. Da wir beide am gleichen Tag Geburtstag haben, sind wir beide Scheinböcke. Jeder kennt die Ungeduld und die Zweifle des anderen, nur das er besser damit umgehen kann und sich zurück nehmen kann. Bei mir muss immer am besten jetzt alles gleich sein. Am liebsten würde ich die Orthesen nebst den Gehstützen in die Ecke stellen und los laufen. Am liebsten würde ich von jetzt auf gleich alle Medikamente absetzten und nach Hause fahren zu meiner Familie. Er hat mir ein großes Paket Geduld geschickt doch leider war das schon nach 3h aufgebraucht. Doch das nächste Paket hat nicht lange auf sich warten lassen. Schon wieder war er für mich da! Ich komme mir vor wie ein Raubritter und Egoist. Aber es scheint wohl immer Phasen zu geben, da kann man besser nehmen und welche, da kann man besser geben.