Da ich wahrscheinlich hier zu jenen mit der längsten MS-Krankheitsdauer gehöre (35 J.), berichte ich auch mal.
Mir wurde mit 22 die Pension samt damals höchster Pflegegeldstufe vom zuständigen Neurologen der Pensionsversicherung angeboten. Hab ich allerdings abgelehnt, da ich an der Uni exmatrikulieren hätte müssen und ich im Studium die einzige Möglichkeit und persönliche Bereicherung sah, mir im Leben gesetzlich immer selbst helfen zu können.
Mit 37 ging ich dann in Pension, arbeite aber bei einem anderen Dienstgeber in meinem Berufsfeld in Teilzeit bei freier Arbeitszeitwahl bis heute weiter. Unsere Ösi-Gesetze erlauben dies unter bestimmten Voraussetzungen.
Die durchschnittliche Berufsdauer beträgt nach meinen Beobachtungen zwischen acht und 15 Jahre ab Krankheitsbeginn, überwiegend abhängig vom Alter bei Krankheitsbeginn. Dies ist meist jener Zeitpunkt, wo entweder der Berufsstress zu groß wird oder die persönlichen Belange daheim nicht mehr ordnungsgemäß erledigt werden können oder rein motorisch ein Weiterarbeiten nicht möglich ist.
Da ich persönlich recht viele MS-Erkrankte kenne, darf ich zu den kognitiven Störungen nur feststellen, dass diese als Wortfindungsstörungen und mangelnder Redegewandtheit zumeist überwiegend auf den sich zwangsweise ergebenden Rückzug vom Berufs- und "großen" Gesellschaftsleben zurückzuführen sind.
Wer nicht mehr viel unter die Menschen kommt und in Gesprächen und Diskussionen seine Zunge schärfen kann, verliert ihrgendwann seinen gewohnten Wortschatz auch im Mund. Es tut sich zuwenig Menschliches rundum, die Erzählungen wiederholen sich und die Ausdrucksfähigkeit und Wortwahl läßt dann eben nach oder gerät in Vergessenheit. Bei jedem, mit und ohne MS.
Fast jede Mutter, die während der ersten beiden Lebensjahre ihres Kindes zu gesellschaftlichem Rückzug verdonnert war, weiß, dass sie dabei infolge mangelnder zwischenmenschlicher Redekontakte geistig fast vertrottelt wäre.
Dazu kommt bei MS, dass durch den zunehmenden Verlust der Sehkraft das Lesen immer ermüdender wird und selbst einstigen Leseratten irgendwann die Freude am vielen Lesen entschwindet. Damit rückt aber auch der flüssige Wortgebrauch beim Denken zurück und die eigene geistige Sprache wird zunehmend holperig.
Spezell bei Reha-Aufenthalten ist Kommunikation dann wieder gefragt und der alte Wortschatz und die verwendeten Ausducksweisen erwachen zu neuen Leben.
Wer am Ende einer Sackstraße ansteht, für den ist es schwierig, den Weg zurück in den fließenden Verkehr zu finden.
Folglich: Reden, Kommunizieren, Diskutieren, soziale Kontakte pflegen, Telefonieren, möglichst oft und viel. Es reicht absolut, motorisch über eine Einbahn in einer Ecke gelandet zu sein, du musst dich keinesfalls auch noch intellektuell dorthin verbannen lassen.