Und ich frage mich: ist das gewollt? Ist das durchaus normal? Was ist der Reiz für Bottom, mehr zu opfern als Top?
Was denkt ihr? Spielt mir mein Kopf einfach einen Streich oder ist da irgendwas dran, dass es irgendwie unfair ist, was sich da abspielt?
Menschen entwickeln Gewohnheiten. Das ist wichtig, denn ohne sie wären wir nicht lebens- und handlungsfähig, weil wir sonst jede Kleinigkeit in jeder Sekunde neu entscheiden und neu steuern müssten, und dadurch am Ende zu gar nichts mehr kämen. Gewohnheiten haben auf der anderen Seite den Nachteil, dass sie einer gewissen Trägheit unterliegen, sich verselbstständigen und sich oft nur schwer ändern lassen.
Auch die Art, wie wir Beziehungen führen, zu uns selbst und zu anderen, unterliegen diesen Gewohnheiten. Am häufigten und stärksten werden diese bekannterweise in der Kindheit geprägt, es ist aber auch später noch durch langanhaltende Lebensphasen oder Beziehungen möglich.
Die Ideen über Beziehungen zu anderen Menschen wie auch das Selbstbild, gesellschaftliche Erwartungen etc. werden oft über Generationen weitergegeben, also ist nicht mal das ungeborene Kind völlig frei davon. Einige BDSMler verzichten ja nichtmal in der Schwangerschaft komplett auf BDSM. Und Beziehungen verzichten natürlich nicht auf Streit, Konflikte, auf ein unfairen und problematischen Umgang miteinander. Kinder werden mitten in Beziehungskrisen hineingeboren, erleben diese oft noch viel intensiver als anwesende Erwachsenen, weil sie noch aufnahmefähiger wie auch natürlich besonders auf die Eltern geprägt sind. Immer noch sind klassischerweise oft die Mütter daheim, haben wenig Hilfe bei der Erziehung (eigentlich bräuchte es das vielzitierte "ganze Dorf"), müssen für die Familie zurückstecken, "sich opfern", auf viele Teile der Selbstverwirklichung verzichten. Um diesen Verzicht wenigstens zu rechtfertigen, soll das Kind dann zwanghaft glücklich sein, gut sein, etwas leisten.
Der Vater ist tendenziell real und emotional abwesend, beruflich gestresst. Zu Hause gibt es viel Streit oder Distanz oder beides. Das Kind ist in der Rolle, nicht noch mehr Stress oder Probleme verursachen zu wollen, es also sicherheitshalber allen recht zu machen. Ist entweder zu oft alleine oder wird von der Mutter erdrückt, als Ersatz für deren eigenes aufgegebenes Leben.
Das Kind entwickelt also bestimmte Persönlichkeitsmuster, sprich: Gewohnheiten. Später sagen die Leute dann: "so bin ich halt, das ist mein Wesen, ich bin naturdevot/naturdominant". Aber eigentlich wurde dieses Verhalten unter ungünstigen Lebensumständen als Überlebensstrategie erlernt.
Es gibt also starke Gewohnheiten (Persönlichkeitsstruktur), die einerseits die beschriebene Trägheit gegen Veränderung besitzen und andererseits nichtmal als Gewohnheit angesehen werden, sondern als naturgegeben.
Daher macht es weniger Mühe, sich einen Partner mit komplemetären Gewohnheiten zu suchen, der die eigenen Gewohnheiten
vermeindlich ausgleicht und dadurch zu etwas Positivem erhebt, als seine Gewohnheiten zu überarbeiten, was oft nur in einer langwierigen und schmerzhaften Therapie gelingt.
Vermeindlich deshalb, weil Menschen nun mal nicht zu 100% in ihrer Prägung übereinstimmen können.
Deshalb gibt es auf der einen Seite BDSMler, die positiv zusammenwirken, sehr viel Beziehungsarbeit miteinander leisten, im besten Fall miteinander und aneinander wachsen, mit der Zeit ihre Muster aufdecken und ggfl. abschwächen können.
Und auf der anderen Seite gibt es BDSMler, die die jeweiligen Muster des anderen auf wirklich unglückliche Art verstärken und verschlimmern. Da hat Sub sich dann einen selbstherrlichen Dom gesucht, weil ihre Muster sie dahingeführt haben, weil diese Art der Beziehung sich für sie vertraut und weniger bedrohlich anfühlt. Dieser fühlt sich in seiner Selbstherrlichkeit, Selbstgerechtigkeit und Allmacht bestätigt und gefördert, möchte davon nichts wieder verlieren, sondern das eher noch weiter ausbauen und bestätigt zu diesem Zweck Sub in ihrer eh schon vorhandenen Prägung, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen.
Die kurze (aber vielleicht weniger nachvollziehbare Antwort) wäre gewesen: Der Reiz für Bottom, in einer solchen Konstellation zu bleiben, besteht darin, nicht so intensiv an sich und ihren Mustern arbeiten zu müssen. Sie erlebt dafür zwar einigen Schmerz in ihrer Beziehung, aber auch dieser fühlt sich ja von früher vertraut an und der Schmerz einer Therapie wäre vielleicht noch größer. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hält sich sich eben auch für "naturdevot" und glaubt nichtmal so richtig an die Möglichkeit, auch ein ganz anderer Mensch sein bzw. werden zu können.
PS: Ich möchte kein Nebenthema aufmachen und schon gar nicht wieder eine schon viel zu oft geführte Diskussion um dasselbe Thema anfangen. Dennoch ist es mir persönlich ein Anliegen, klarzustellen, dass auch in einer polyamoren Konstellation mit beispielsweise einem Mann und drei Frauen absolute Augenhöhe herrschen kann. Die Voraussetzung ist allerdings, dass alle Beteiligten sich bewusst und selbstreflektiert dazu entschieden haben und nicht aufgrund einer Neigung, Rolle oder sonstigen Gründen dazu gedrängt wurden.