Wie seid ihr zum Fliegen gekommen?
Erinnere mich grad, wie es bei mir angefangen hat ...Ich träumte immer vom Fliegen. Seit meiner Kindheit schon. Ich erinnere mich, wie ich mich vom Dach der Scheune meiner Großeltern stürzte. Eine Wolldecke als "Fallschirm" über dem Kopf. Flieger aus Papier baute. Und Bernoulli begriff. Als Jugendlicher wollte ich so gern Segelfliegen. Im Osten hieß das aber Eintritt in die GST (Gesellschaft für Sport und Technik, eine Art paramilitärischer Jugendverband in der DDR). Dafür war ich dann aber doch zu ambivalent, was unseren sozialistischen Staat anging. Dann Ehe, Kinder, Familie, Wende, Sorgen um Geld, Existenz, Zukunft. Kein Gedanke mehr ans Fliegen. Sonntagabend immer Tatort. Auf einem russischen Kofferfernseher namens "Junost". Irgendwann startet Schimanski mit einem Drachen vom Hochhaus. Es macht "ziep" in meinem Bauch. In meinem Herzen. Ich weiß nicht, wo. Aber es gibt wichtigeres. Und überhaupt, selbst zu fliegen ist sicher Menschen mit besonderer Begabung und viel Freizeit und Geld vorbehalten. Glaube ich. Mit 40 (ja, Klassiker), als die Eckpunkte meines Lebens mir bereits sehr festgesteckt scheinen, lerne ich jemanden kennen, der mir etwas anderes erzählt. Fliegen sei möglich und bezahlber; als Gleitschirmfliegen. Es ist eine heimliche Affäre und ich verbinde das Angenehme mit dem Wahnsinn. Wir fahren zusammen eine Woche nach Österreich zum Gleitschirm-Grundkurs. Ich bin auf deutsche Art gut vorbereitet. Habe Paragliding-Literatur gelesen und erwarte geduldig, tagelang mit Theorie malträtiert zu werden. Es kommt anders. Ganz anders. Die zeigen uns ein Video und dann gehen wir raus. Je zwei bekommen einen Schirm ... ich lass mal weg, mit wem ich den Schirm teilte. Übungshang. Nach wenigen Stunden hab ich die Füße in der Luft. Ich fliege! Ich fliege!! Ich fliege!!! In mir kippt etwas. Die Welt bietet neue Möglichkeiten. Man kann fliegen! Irre! Tag für Tag arbeiten wir uns diesen Übungshang hinauf. Es ist geil. Es gibt so eine Art Theorieprüfung, die ich natürlich mit 0 Fehlern bestehe. Das ist fast ein bisschen peinlich. Zum Grundkurs gehören aber auch ein paar "richtige" Höhenflüge. Die nicht stattfinden, das Wetter passt wohl nicht. Toll, ich habe einen Gutschein für diese Höhenflüge. Schön, ein Gutschein für etwas, was maximal 10 Minuten dauert. Aber 850 km von meinem Wohnort entfernt stattfindet. Ich bin drei mal hingefahren, um es endlich zu machen. Man kannte mich dort so gut, dass ich für einen sogenannten Freiflieger gehalten wurde. Deshalb wäre ich bei meinem endlichen tatsächlichen Höhenflug auch beinahe im Wald gelandet - der Fluglehrer mochte mir einfach nicht die Ansagen für Frischlinge machen. Egal. An diesem Tag fahre ich mit meinem Auto vom Berg hinunter, singe und schreie mich durch die Serpentinen. Ich bin so glücklich ... ja, wie fast noch nie in meinem Leben. Seltsam, das muss ich gleich "autoerotisch" abfeiern. Wenn das die sympathischen Herbergsleute wüssten ...