Liebe Sandra,
Anlass meines Briefes ist folgender. Gestern hast du gesagt: "Hmm, ich glaub ganz ehrlich, so ohne Bart das würde dir auch gut stehen."
Betrachte dich mit diesem Schreiben als offiziell verlassen, Schlampe! Mein Bart, den hatte ich schon als Kind. Den nehme ich doch nicht ab wie einen Hut, weil er mir nicht steht. Alles was ich habe ist mein Bart. Ich brauche Zuflucht für meine nervösen Hände, wenn ich rede und nicht rauchen darf. Ich brauche diesen kleinen haarigen Wirbel am rechten Wangenknochen, indem sich meine Finger bei Bedarf verlieren können.
Nun, sehen sie mich an, ich bin weder muskulös, noch finanziell unabhängig. Was bleibt mir also übrig ? Das Verruchte, die Verwegenheit ! Aber eigentlich bin ich gar nicht verwegen, sondern verlegen und schüchtern. Alle schauen mich an in diesen Moment. Ohjemine, ich fühle mich nackt. Alles was mich schützt ist mein Bart. Er ist wie eine Mikrowellenabdeckhaube. Eigentlich braucht man die auch nicht, aber sie suggeriert die Illusion von Schutz und wenn ich was erzähle und nervös bin und zittere dann kraul ich ihn wie eine Katze, denn er ist weich und ich hasse diese Kinn, Schnurrbärte und diese ausgedünnten Schmalkotletten. Das ist wie "Ich hätte gerne eine Pizza vier Jahreszeiten mit extra viel Käse und Knoblauch aber ausgestanzt. Bitte nur den Rand, denn der ist so lecker."
Ein Bart ist Zuflucht, Exil vor Stress, vor Konfrontation, wie ein Schutzpanzer um meine Haut. Dann bin ich ein Schildkrötenmensch und keiner weiß was unter dem Panzer geschieht, er ist symbolisch Metapher für alles. Im Sommer ist er hellbraun, im Herbst bronze, im Winter kupferfarben und im Frühling ist er wie Rost. Genau wie meine Stimmung! Aber eigentlich habe ich gar keine Stimmung und schon gar keine Gefühle. Alles was ich in den ersten Zeilen gesagt habe ist gelogen. Bartträger haben keine Gefühle! Ich trage meinen Bart nicht aus Eitelkeit. Gut, früher schon. Ich trug meinen anfänglichen Flaum mit Anmut und Stolz, ich dachte ich sehe aus wie Kurt Cobain oder Jonny Depp. 10 Jahre später sagt man mir, ich sehe eher aus wie Al Borland oder wie ein Wikinger, mehr so der Holzfällertyp. Aber dafür sei ich zu schmal und zu untrainiert. Leute, ich würde ja gerne trainieren aber dafür bin ich zu intelligent, schließlich kann ich schreiben. Aber für intelligent hält man mich auch nicht. Schließlich ist mein Bart nicht grau meliert, sonder rostfarben wie bei einem Arbeiter. Er ist nur dann schwarz wenn ich mir den Kohlenstaub im Gesicht verwische.
Und du sagst, es stört dich mein Bart wenn wir uns küssen, dann kratzt das so. Natürlich kratzt das. Das ist wie das Gleiten einer Plattennadel über Vinyl. Das kratzt auch und ist trotzdem schön! Ein zärtliches Kratzen. Ein raues aber behutsames schmiegen aber du, du bist ja eher so der digitale Typ, so wie deine Liebhaber. Die kannst du auch löschen! Aber mich kannst du nicht löschen, mich kannst du nur wegschmeißen oder im Keller einlagern. Dann staube ich zwar voll und gerate in Vergessenheit aber ich bleibe Existent. Denn ich bin analog und wenn ich Feuer mache dann knistert es und du bekommst Qualm in die Augen, du kannst es hören und riechen und deine anderen Typen die drücken die Fernbedienung und verharren vor den hochauflösenden Kamindisplay. Geil, ich nicht.
Und weißt du was sich auf Bart reimt ? HART! Harte Typen tragen Bärte und sonst reimt sich nichts auf Bart, gar nichts. Vor allem zart, das reimt sich nicht! Zart reimt sich auf glatt rasiert. Nur hart reimt sich auf Bart. Denn glatt rasiert bin ich nicht, schon gar nicht mein Humor, der ist stoppelig und deiner der ist so glatt, den sieht man gar nicht. Wenn sich mein T-Shirt eines Tages nach außen wölbt und ich anfange mollig zu wirken, dann nur weil meine Brusthaare Textilstaub nach außen drücken. Ich brauche Platz und Freiheit. Ich bin ein freier Mensch deswegen trage ich Bart! Er hat nur Vorteile. Wenn mir mal kalt ist, dann schmiere ich ihn mit Shampoo ein. Dann nehme ich ein warmes Schaumbad. Aber eigentlich nehmen Typen wie ich keine Schaumbäder, wir nehmen Stahlbäder im Hochofen. Also rasier ich mich nicht. Nur die Konturen, da bin ich eitel aber das mache ich nicht mit Schaum, sondern mit Schnaps du Schlampe.
Du willst mich verändern, ja das merke ich doch. Rasieren, ich verlange von dir doch auch nicht das du dir die Brüste entfernst. Die stören mich auch, na und? Ich liebe dich, auch mit deinen Fehlern! Wenn ich mich rasieren würde, dann wäre ich nackt und dann würde ich den Wind auf meinen Wangen spüren und anfangen Gedichte zu schreiben. Über den Wind und die Liebe. Dann würde einer Klavier dazu spielen wollen, aber das tue ich nicht. Ich hasse Poesie. Sie ist weich. Sie ist für Frauen und Kinder und solche die zuerst gerettet werden wenn das Schiff untergeht, aber uns Männer braucht man nicht retten ! Wir halten uns gegenseitig an unseren Bärten fest und singen Manowar auf russisch, das ist eine harte Sprache ohne Vokale. Denn Vokale sind schwul. Kolibri, Papagei, alles kleine schwule Tiere aber ich bin ein Bär! Ein Bär! Ein B und ein R und das in der Mitte das ist kein Vokal, das ist ein Umlaut! Bären würden Papageien zerfetzen wenn sie sich treffen würden. Darum sieht man sie auch nie zusammen.
Deswegen sieht man uns auch nie wieder zusammen! Ich bin Schriftstellen. Ich brauche einen Bart sonst wär ich ein Clown. Und Bärte sind ein Zeichen von Gutmütigkeit. Jesus zum Beispiel und ich kann Jesus immer als Beispiel verwenden, denn reden sie jetzt mal schlecht über Jesus, wem hat der wohl sein Augenlicht wiedergeschenkt, hmm? Den ratzekahlen Pascal? Nein! Den nacktrasierten Nathanel? Nein! Wem wohl, wem wohl? Dem BARTIMÄUS.
(Bartträger halten schließlich zusammen. Und wenn da mal einer etwas Mehl, fettarme Milch oder Augenlicht braucht, dann bekommt er das auch. Wäre der gute alte Herr Bartimäus aber rasiert gewesen, und das nehme ich angesichts seines Namens kaum an, dann hätte Jesus womöglich gesagt: „Oha. Sieh mal einer an. Sie haben aber schöne Wangenknochen. Möchten Sie mir etwa die Wange hinhalten, Sie kleiner Schlingel?“ Dann hätte der Bartimäus weiterhin ganz schön drollig aus der Wäsche geguckt. Bartträger sind gute Menschen. Edel und weise.
Sandra, ich denke, ich habe dir genug gesagt. Du kannst mir alles nehmen. Meine Wohnung, meine Kinder, aber niemals meinen Bart. Das ist eine Lebenseinstellung. Eine Philosophie. Ein Körperteil. Bauch, Beine, Bart.)