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Böses Blut?

***rt Mann
941 Beiträge
Themenersteller 
Böses Blut?
In der ARD sah ich neulich einen hochinteressanten Beitrag zum Thema Verwendung von Blutkonserven. Es geht um die (noch viel zu unbekannten!) Risiken bzw. Spätfolgen bei Verwendung von -vorwiegend- Fremdblut.

Ein heißes Thema?

Bitte anschauen, bevor Ihr urteilt... *zwinker*


*******1969 Mann
20 Beiträge
Mal ein fundierter Beitrag zur aktuellen Diskussion. Das Blutprodukte nicht unkritisch sind ist ja hinlänglich bekannt. Im Moment ist es ja so das es eindeutig strengere Kriterien zur Transfusion gibt, auch wegen der Effekte wie TRALI und ähnliches. Beim Polytrauma mit entsprechenden Blutbedarf ist es natürlich schwierig den genauen Transfusionstrigger zu bestimmen, vor allem in der akuten Situation der stattfindenden Blutung. Das das outcome nach viel Blut schlechter ist kann natürlich auch mit der primär höheren Traumaschwere zusammenhängen ..
Und die Alternative ?
Ein journalistisch im Sinne der Quote nett gemachter Beitrag, aber objektiv ?

Zunächst: es ist good clinical practice, die Indikationen zur Bluttransfusion engstens zu stellen, das wurde mir so beigebracht. Die Gründe dafür sind vielfältig: natürlich medizinisch, denn neben den Infektionsrisiken beobachtet man als Intensivmediziner natürlich schon lange auch andere Reaktionen des Empfängerpatienten. Abgesehen von der diagnostischen Lücke der in Konserven bereits gescreenten Erkrankungen ist sich natürlich jeder vernünftig denkende Mensch darüber im Klaren: was nicht gescreened wird, das kann auch durch die Konserven übertragen werden und natürlich wird es auch weitaus mehr bisher nicht beschriebene Reaktionen wie graft vs host und host vs graft geben. Daneben: Blutkonserven sind teuer, werden schon allein deshalb nur mit äußerster Vorsicht eingesetzt. Die Bemühungen um weniger Transfusionen sind ubiquitär, der Einsatz von Cell-Savern (CATS) mittlerweile Standard bei Operationen in deutschen Kliniken.

Der Beitrag weckt dagegen zumindest beim nicht informierten Laien den Eindruck, es sei alles klar: Es werde einfach mutwillig zur Blutkonserve gegriffen aus welchen kruden Gründen auch immer (Leichtsinnigkeit, merkantile (gar nicht vorhandene) Interessen, o.ä,). Ich melde gegen diesen Eindruck Bedenken an.

Wenn zeitweise der Eindruck erweckt wird, dass einige Kliniken einfach "17 x so viel" Konserven "beim gleichen Eingriff" einsetzen wie andere. Sind diese Daten gematched ? Handelt es sich wirklich "um den gleichen Eingriff" (i.e. alle Bedingungen der Patienten identisch bzgl. Alter, Blutverlust, Vorerkrankungen, etc.), denn nur dann wären diese Daten ja vergleichbar, ohne das aber nur unwissenschaftliche Polemik.

Wenn die Sterberate von Krebspatienten mit und ohne Einsatz von Blutkonserven verglichen wird: wie wurde der BIAS der Schwere der Grunderkrankung ausgeschlossen ? Sind es nicht gerade, die schwerer erkrankten Krebspatienten, die eher Blutkonserven erhalten und möglicherweise allein aufgrund der schwereren Grunderkrankung eine schlechtere Lebenserwartung und höhere Komplikationsrate haben ? Wie wurde diesem Faktor in den Untersuchungen Rechnung getragen ?

Wenn die Entscheidung zur Blutübertragung fällt: welche Alternative wird denn regelhaft dabei übersehen, die es zu wählen gäbe ? Sollen wir z. B. Polytraumapatienten demnächst lieber verbluten lassen, um keine Transfusionsfolgen zu riskieren ? Sind Plasmaexpander wirklich ein adäquater Ersatz, zumal auch diese in Verruf gekommen sind ?

Gibt es eine Doppelblindstudie, die die bisherigen Vermutungen der Transfusionskritiker wissenschaftlich bestätigt ? Gibt es überhaupt eine einzige gematchte Untersuchung zu einem besseren Behandlungsoutcome z. B. bei Patienten, die Zeugen Jehovas sind (diese lehnen ja bekanntermaßen regelhaft die Übertragung von Fremdblut aus religiösen Gründen ab) ?

Steckt hinter der Tranfusionskritik selbst womöglich nur ein perfider Plan zur Kostendämpfung über die selektive Auswahl tranfusionskritischer Studien ?

Mit solchen Daten geht man einseitig berichtend an die Öffentlichkeit, ohne wenigstens auch objektiv die möglichen Kritikpunkte an der Kritik der Transfusiongegner zu nennen ? Ich finde, das ist unseriöse journalistische Sensationshascherei.
*****aer Mann
2.737 Beiträge
Dem Film ...
... gegenüber hege ich große Ablehnung. Populistische Panikmache, mit zahlreichen Ungereimtheiten.

Infektionen: Der Patient nach der HüftOP auf der Intensiv. Ein krankes Haus, das Venenzugänge derart dilletantisch verbindet, kann hygienisch nicht auf ordentlichem Stand sein. Infektionen dann auf Blutkonserven zu schieben ist einfach dumm.

Menge: Jene alte Frau, die während einer OP 12 Konserven bekommen hat, musste wohl einen lebensbedrohlichen Zustand gehabt haben, zum Spaß gibt kein Mediziner solche Mengen.

Indikationskollision: Jener Patient mit Oesophagusblutung, der wegen der Bluttransfusion Lungenkomplikationen bekommen haben soll. Wurde ehrlich die Frage gestellt, warum? NEIN, denn waren es vielleicht Oesophagusvarizen bei einem totalen Leberversagen und die Komplikationen einfach ein Multiorganversagen. Das alles ist zu schwammig und ungenau.

Es bleibt nur zu hoffen, dass die allgemeine Bevölkerung positiv aus dem Beitrag mitnimmt, dass seit Jahren schon ein Umdenken im Gange ist und vieles bereits in der Praxis angewanndt wird.

Wie lange hat es gedauert, bis Blutrückführungssysteme bei Wunddrainagen entwickelt wurden, bis diese für die Praxis tauglich waren. So zu tun, als gäbe es da kaum Entwicklung in die richtige Richtung ist schlichtweg Schwachsinn!

Aufklärung, die für die Bevölkerung sinnhaft ist, schaut für mich anders aus!

meint der Polybäääär
Bei planbaren OPs plädiere ich seit Ewigkeiten für die Eigenblutspende...
****tna:
Bei planbaren OPs plädiere ich seit Ewigkeiten für die Eigenblutspende...

Mit den entsprechenden Limitierungen:

Ein Patient, der für eine Hüft-TEP Eigenblut spendet und wegen großen Blutverlusts womöglich bei Nachoperation wegen Hämatom im weiteren Verlauf 8 oder 9 EK benötigt steht mit seinen wenigen möglichen Eigenblut-EK auch nicht viel besser da, hat aber die Hüft-OP (oder gar einen dringlicheren Eingriff) dafür verschoben und womöglich allein deshalb sein OP-Risiko erhöht. Auch über die Schwächung des Organismus über einen präoperativen Aderlass dieser Art (na: da greifen die Themen ja wieder ineinander ...) und die entsprechenden Auswirkung auf das OP-Risiko wüsste ich gerne viel mehr, bevor ich die Eigenblutspende vorbehaltlos als plädierenswerte Errungenschaft feiere.

Auch die eigenen vor 4 Wochen abgenommenen EK unterliegen einem Alterungsprozess. Der Prozentsatz der in diesen EK befindlichen korpuskularen Blutbestandteile, die nur noch als Leiche den Weg zurück "in die Heimat" finden ist nicht klein, die Nebenwirkungen dabei sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Auch nach Eigenblutkonserven können Patienten Fieber entwickeln. Eigenblutspenden führen womöglich sogar zu einer laxeren Retransfusioneinstellung ("Ist ja meins, wird sonst schlecht, dann gib´ ´mal ruhig zurück."
Ich habe bislang auf jede Blutkonserve (jaja, ich hatte da leider schon so einige nötig) mit sehr hohem Fieber reagiert, ganz egal, ob es mein eigenes oder fremdes Blut war.

Trotzdem habe ich mich bei eigenem Blut einfach mental besser gefühlt.
***rt Mann
941 Beiträge
Themenersteller 
Es ist heute ja problemlos möglich...
... sich die entsprechenden Veröffentlichungen zu besorgen und NACH dem Studium derselben zu beurteilen, ob der österreichische, der deutsche und der US-Kollege (die in der Dokumentation zu Wort kommen) "populistische [oder gar unwissenschaftliche!] Panikmache" betreiben, "Oesophagusvarizen bei einem totalen Leberversagen inkl. der Komplikation eines Multiorganversagens" nicht diagnostizieren können-
Ob sie also -trotz ihrer jahrelangen Forschungen af diesem Gebiet- und ihren alltäglichen OP- und Nachsorge- Erfahrungen, einfach keine Ahnung haben, oder ob vielleicht der eine oder andere Kollege unter uns... doch das Undenkbare in Erwägung ziehen sollte:

U M D E N K E N!?

Ich habe für mich noch keine endgültige Meinung dazu gefasst.
Aber manche der Antworten kommen mir so verdammt bekannt vor, in ihrem Muster... Irgendwie so reflexhaft und vorhersehbar!
Höre ich da zwischen den Zeilen ein "Ham-wa-schon-immer-so-gemacht", oder täusche ich mich wirklich so sehr? *fiesgrins*

Warum können wir nicht sehen, dass die vorgestellten Kollegen beim Schnitt des Beitrages nicht dabei waren und der Journalist sicher keine (fundierten) medizinischen Kenntnisse hat, aber ein Interesse. Vielleicht sogar ein Sensation-Interesse.
Dennoch! Könnte es nicht sein, dass trotzdem die Kern-These korrekt sein könnte? Jedenfalls so gut, dass sich eher eine wissenschaftliche Prüfung empfiehlt denn polemische Pseudo-wissenschaftliche Vorverurteilung?

Gesunde Skepsis ja! Aber ein derartiges Niedermachen, wie ich es hier lesen mußte, erinnert mich daran, dass viele sehr große medizinische Veränderungen eigentlich immer mit erbittertem Widerstand und persönlichen Angriffen einherging.
Es ist eben nicht leicht, sich einzugestehen, dass als "sicher" begriffenes "Wissen", eben ganz so sicher nicht ist. Dass unser aller "Kunst" oder Handwerk, eben immer nur den aktuellen Stand des Wissen repräsentiert...
Nicht mehr. Nicht weniger.

Causarum enim cognitio cognitionem eventorum facit!
*****aer Mann
2.737 Beiträge
Das sehe ...
***rt:
Warum können wir nicht sehen, dass die Kollegen beim Schnitt des Beitrages nicht dabei waren und der Journalist sicher keine (fundierten) medizinischen Kenntnisse hat, aber ein Interesse.

... ich differenziert, im speziellen Fall so:

Derzeit stehe ich im Kontakt mit einer Jounalistin für einen Beitrag zum Arbeitsthema "Kränkungen", und es ist sehr wohl möglich, intensiv an der inhaltlichen Gestaltung mitzuwirken. Ich will es, und nehme mir dafür auch die Zeit!
Die Zeit für eine Amerikareise war letztlich auch und der Herr Dr., der sich da zu profilieren versucht nutz letzlich die Polemik, ob zu seinem Nutzen, woll'n wir's gutwollen? Ich, *nene*
Knapp vorbei
***rt:
Warum können wir nicht sehen, dass die vorgestellten Kollegen beim Schnitt des Beitrages nicht dabei waren und der Journalist sicher keine (fundierten) medizinischen Kenntnisse hat, aber ein Interesse. Vielleicht sogar ein Sensation-Interesse.
Dennoch! Könnte es nicht sein, dass trotzdem die Kern-These korrekt sein könnte? Jedenfalls so gut, dass sich eher eine wissenschaftliche Prüfung empfiehlt denn polemische Pseudo-wissenschaftliche Vorverurteilung?

Die Frage war doch wohl eher die nach dem journalistischen Beitrag und der, dabei bleibe ich, ist schlecht. Schlecht weil einseitig und sensationsheischend, schlecht weil unkritisch, schlecht weil er an den eigentlichen Fragen (z. B. nach Qualität der zitierten Quellen) vorbeigeht und sie unbeantwortet lässt, schlecht weil er dann auch noch öffentliche Diskussion fordert wo der Beitrag selbst schon bei der fachlichen Qualität versagt. Erlaubt auch die Frage: beteiligt man sich seriöserweise an einem Fernsehbeitrag, dessen Kernaussage man nicht einmal kennt ?

An der eigentlichen Kern-These hat hier niemand Zweifel, Bluttranfusionen sind kritisch. Wenn aber die vom Beitrag aufgebauschte Kernthese sein soll, dass diese Kritik in der Medizinerwelt nicht wahrgenommen wird, dann bleibe ich bei meiner Kritik am Beitrag. Er ist unwissenschaftlich (obwohl er einen wissenschaftlichen Eindruck zu vermitteln sucht), er ist einseitig und er lässt wesentliche Fragen völlig offen.
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