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MEDIZIN: Korrespondenz
Altersabhängigkeit der Todesraten im Zusammenhang mit COVID-19 in Deutschland
Age dependence in Covid-19 mortality in Germany
Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 432-3; DOI: 10.3238/arztebl.2020.0432
Kremer, Hans-Joachim; Thurner, Werner
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Es besteht eine deutliche Korrelation zwischen Todesfällen im Zusammenhang mit (i. Z. m.) COVID-19 und dem Alter. In einer Stellungnahme sprach sich die Arbeitsgruppe der Leopoldina dafür aus, Sterbezahlen i. Z. m. COVID-19 in Beziehung zu den allgemeinen Sterberaten in den jeweiligen Altersklassen zu setzen (1). Mittlerweile stehen solche Daten öffentlich zur Verfügung.
Methoden
Die Fallzahlen der Todesfälle i. Z. m. COVID-19 basieren auf Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) (
https://de.statista.com/stat … ge/todesfaelle-aufgrund-des- coronavirus-in-deutschland-nach-geschlecht/). Diese Daten wurden zu den aktuellsten Angaben zu weiblichen beziehungsweise männlichen Einwohnern je Altersklasse zum 31. Dezember 2018 (
https://de.statista.com/stat … tschland-nach-altersgruppen/) sowie zu den entsprechenden Sterbeziffern aus dem Jahr 2018 (
http://www.ec.europa.eu/eurostat/en/web/products-datasets/-/DEMO_ MAGEC) in Beziehung gesetzt. Die Altersklassen sind durch die Quellen vorgegeben. Konfidenzintervalle wurden nach Clopper-Pearson berechnet.
Ergebnisse
Im Jahr 2018 wurden in Deutschland insgesamt 953 691 Todesfälle registriert; dies entspricht 2 613 Todesfällen pro Tag. 2018 lag die Todesfallrate allerdings etwas höher als in 2017 und 2019. Über die ersten Todesfälle i. Z. m. COVID-19 wurde am 9. März 2020 berichtet. Bis zum 25. Mai 2020 wurden dem RKI 8 257 Todesfälle i. Z. m COVID-19 gemeldet; dies entspricht 0,87 % aller Todesfälle im Jahr 2018. Die berücksichtigte Zeitspanne für COVID-19-Todesfälle beträgt allerdings nur 78 Tage. Das Maximum bei den täglichen Neumeldungen wurde am 16. April mit 315 erreicht (entspricht 12,1 % der durchschnittlichen Tagesrate). Im Mittel wurden 106 Todesfälle pro Tag (4,1 %) gemeldet, im Median 98 (3,7 %), Interquartilsabstand: 31–173. Die folgenden Auswertungen nach Alter und Geschlecht berücksichtigen wegen fehlender Informationen nur 8 252 Todesfälle.
Bezogen auf die Einwohnerzahlen in den jeweiligen Altersklassen zeigten die Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 eine sehr starke Altersabhängigkeit (Tabelle). In den Altersklassen 40–79 Jahre wird zudem eine Abhängigkeit vom Geschlecht deutlich.
COVID-19-Todesfälle bezogen auf die Einwohnerzahlen 2018
Tabelle
COVID-19-Todesfälle bezogen auf die Einwohnerzahlen 2018
Die Grafik stellt die Todesfälle i. Z. m. COVID-19 bezogen auf die Todesfälle pro Altersklasse und Geschlecht in Deutschland im Jahr 2018 dar. In der Gruppe der 40- bis 89-Jährigen wird für beide Geschlechter eine Abhängigkeit vom Alter deutlich. Allerdings zeigt sich diese bei weitem nicht so stark wie beim Bezug der COVID-19-Todesfälle zu den Einwohnerzahlen. Auch der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist hier weit weniger stark ausgeprägt.
Prozentualer Anteil der COVID-19- Todesfälle bezogen auf der Gesamtsterberate 2018 in den jeweiligen Altersund Geschlechtsklassen.
Grafik
Prozentualer Anteil der COVID-19- Todesfälle bezogen auf der Gesamtsterberate 2018 in den jeweiligen Altersund Geschlechtsklassen.
Diskussion
Die Tabelle zeigt in einfacher Zuordnung zur Einwohnerzahl eine hohe Sterblichkeit unter den Hochbetagten, die in diesem Ausmaß aber nicht besteht, wenn man das Grundrisiko pro Alters- und Geschlechtsklasse wie in der Grafik berücksichtigt. Die Inzidenz der Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 geht im Wesentlichen parallel zur normalen Sterblichkeit in den jeweiligen Altersklassen. Bedenkt man, dass COVID-19 bei manchen Patienten einen sehr schweren Verlauf nimmt, kann die Altersabhängigkeit der Todesraten in den höheren Altersklassen kaum überraschen. Es liegt auf der Hand, dass ein schwerer Verlauf bei moribunden, multimorbiden oder einfach nur hochbetagten Patienten ein größeres Sterberisiko birgt. Umgekehrt scheint das Risiko, i. Z. m. COVID-19 zu versterben, in den jüngeren Altersklassen minimal zu sein.
Die Daten zeigen auch eine gewisse Anomalie in der höchsten Altersklasse (> 90) an. In dieser Altersklasse liegt das Risiko, i. Z. m. COVID-19 zu versterben, etwas niedriger als in der Altersklasse 80–89 Jahre – sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Eine mögliche Erklärung wäre, dass in den höchsten Altersklassen bislang weniger häufig getestet wurde. Da es in Deutschland mittlerweile Bestrebungen gibt, in Alters- und Pflegeheimen vermehrt Tests durchzuführen, könnte diese Anomalie auch wieder verschwinden.
Das erhöhte Risiko für Männer könnte an der bekanntermaßen höheren Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegen (2). Zu bedenken ist weiterhin, dass die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) in einer Metaanalyse mit einem ungefähr fünffach erhöhtem Risiko für schwere Verläufe unter COVID-19 assoziiert war (3).
Die Prozentangaben der Grafik sind mit Vorsicht im Hinblick auf Übersterblichkeit zu interpretieren. Vordergründig scheinen die Corona-Toten zwar rund 1% der Todesfälle von 2018 auszumachen. Allerdings berücksichtigt dies weder die verkürzte Beobachtungszeit (78 gegen 365 Tage) noch die Saisonalität oder ausgleichende Effekte über die Zeit. Andere Anhaltspunkte ergeben die genannten Schätzer bezogen auf die mittleren Todeszahlen von 2018, die über alle Kohorten im Mittel pro Tag bei etwa 4% und in der Spitze bei 12% lagen.
Die Frage zur Übersterblichkeit sollte primär anhand saisonaler Vergleiche beantwortet werden, wie sie beispielsweise das Statistische Bundesamt (4) oder Euromomo (5) durchführen. Laut Statistischem Bundesamt war im April eine leichte Übersterblichkeit erkennbar.
Die Auswertung auf Euromomo ergibt für Deutschland (beschränkt auf Berlin und Hessen) und einige andere Länder (zum Beispiel Österreich, Dänemark) bisher keine Hinweise auf Übersterblichkeit, sehr wohl aber für andere Länder, wie zum Beispiel Italien, Spanien, Frankreich und Belgien. Hier zeigt sich eine sehr starke Heterogenität. Euromomo stellt auch Analysen nach Altersklassen zur Verfügung, allerdings nur auf europäischer Ebene, sodass eine Interpretation wegen eben jener Heterogenität nicht sinnvoll erscheint.
Hans-Joachim Kremer, Medical Writer, Freiburg, hans-joachim.kremer@t-online.de
Werner Thurner, Vence, Frankreich
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 6. 5. 2020, revidierte Fassung angenommen: 25. 5. 2020
Zitierweise
Kremer HJ, Thurner W: Age dependence in Covid-19 mortality in Germany. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 432–3. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0432
Dieser Beitrag erschien online am 9. 6..2020 (online first) auf
http://www.aerzteblatt.de.