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War jetzt einfach so frech, ihn rein zu kopieren
Rammstein und Till Lindemann kündigen neue Tournee für 2023 an
Frauen in der „Row Zero“ kommen so nah an ihr Idol, „Rammstein“-Sänger Till Lindemann, wie sonst kein Besucher.Foto: dpa/Malte Krudewig
Debatte um Sex und Rammstein Rammsteins auserwählte Schönheiten: Wie das System „Row Zero“ auf Konzerten funktioniert
Von Esthy Baumann-Rüdiger | 03.06.2023, 16:00 Uhr
Der Skandal um die Rockband Rammstein gibt den Blick auf eine umstrittene Praxis frei: Junge Frauen werden gecastet, um mit der Band backstage zu feiern. Zwei Auserwählte erzählen, wie das abläuft.
Die Empörung war riesig. Vor einer Woche behauptete eine Irin auf Twitter, bei der Backstage-Party eines Konzerts der Rockband Rammstein unter Drogen gesetzt worden zu sein. Am nächsten Tag sei sie mit großen blauen Flecken an ihrem Körper aufgewacht. Dazwischen: ein Filmriss.
Seither ist eine große Debatte entbrannt: um das Machtgefälle zwischen gefeiertem Rockstar und anhimmelndem Fan, um eine Branche, die in der Zeit stehengeblieben ist. Und um ein ominöses System namens „Row Zero“, das den Frauen Zugang zu Pre- und After-Parties im Backstage-Bereich ermöglicht.
Weder Veranstalter noch Band-Management reagierten auf die Bitte nach einer Stellungnahme, nicht gegenüber anderen Redaktionen noch gegenüber unserer. Inzwischen hat sich Rammstein via Instagram zu Wort gemeldet.
Die NZZ hat mit mehreren Frauen geredet, die bei Rammstein hinter die Bühne geblickt, mit Rammstein-Sänger Till Lindemann geredet, gefeiert und ihn angeblich geküsst haben.
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Speziell an ihren Geschichten: Sie sind nicht einfach Fans, die an Konzerten von der Band ausgewählt wurden, sondern sie wurden bereits lange zuvor von einer Casting-Direktorin im Namen von Rammstein auf Social Media angeschrieben.
Die Groupie-Kultur ist heute, das zeigen die Erzählungen der Frauen deutlich, so professionell organisiert und durchorchestriert wie der Rest eines Auftritts einer Top-Band auch.
Ein Konzert in der „Row Zero“ läuft nach dem immer gleichen Schema ab. Gespräche mit Frauen und Screenshots aus Whatsapp-Chats, die sie zur Verfügung gestellt haben, ermöglichen eine Rekonstruktion.
Die Shows von Rammstein sind für ihre Provokation und Pyrotechnik bekannt. Foto: Imago images/Gonzales Photo
Die Shows von Rammstein sind für ihre Provokation und Pyrotechnik bekannt.
Die Einladung
Es ist Mai 2022. Diana kann es kaum fassen. Morgen wird sie ihr grosses Idol treffen: Till Lindemann.
Seit sie zehn Jahre alt ist, schlägt ihr Herz für den Frontmann der deutschen Rockband Rammstein. „Till polarisiert. Er macht Dinge, die sonst kein Musiker macht. Und er hat sich während seiner Karriere nie verbogen“, erklärt sie ihre Fan-Liebe. Heute ist Diana 28 Jahre alt, verdient als Salesmanagerin ihr Geld und wohnt in der Nähe von Wien. Ihren Nachnamen will sie im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte nicht in den Medien lesen.
Bereits vor Monaten haben sie und ihre Freundinnen Tickets für die Show in Klagenfurt ergattert. Sie teilen ihre Vorfreude mit einem Foto auf Instagram und markieren darauf ihr Idol Till Lindemann. Einen Tag vor dem Konzert erhält ihre Freundin von einer gewissen Alena Makeeva eine Nachricht:
„Habt ihr Lust, morgen in der ,Row Zero‘ zu sein und damit an der Pre- und After-Party teilzunehmen?“
Alena Makeeva
Für die Freundinnen geht ein Traum in Erfüllung. Sie sagen umgehend zu.
Die „Row Zero“ ist ein abgesonderter Bereich direkt vor der Bühne von Rammstein-Konzerten. Die Tickets kann man nicht kaufen, man wird dazu eingeladen. Und offenbar kommen dafür ausschließlich Frauen infrage. Auch die Irin, die vor einer Woche die Debatte um Rammstein-Konzerte angezettelt hat, war in die „Row Zero“ eingeladen.
Till Lindemann bei einem Auftritt der Band im Dezember 2022 in Mexiko. Foto: Imago images/ZUMA Wire
Till Lindemann bei einem Auftritt der Band im Dezember 2022 in Mexiko.
Über Instagram zum Konzert eingeladen
Mona Gulyas, 24, aus Karlsruhe wird ebenfalls via Instagram kontaktiert. Ob sie Lust habe, zum Rammstein-Konzert in Leipzig zu gehen, Pre- und Afterparty inklusive. Mona ist verwundert: Sie ist kein Rammstein-Fan. Sie kennt bestenfalls drei Songs der Band. Auf ihrem Account mit gut 4500 Followern postet sie ausschließlich Shooting-Bilder von sich, manchmal auch in Unterwäsche. Nichts davon ließe auf ein Interesse an der Band schliessen.
Doch von ihren Freunden weiß sie, wie begehrt Tickets für das Konzert sind. Sie beginnt, sich über die Band zu informieren. Als sie in einer Rammstein-Doku sieht, wie Frauen mit entblößtem Oberkörper im Backstage-Bereich tanzen, ist sie beunruhigt. Sie nimmt Kontakt mit Alena auf, will wissen, was von ihr erwartet wird. Die Casting-Direktorin beruhigt sie: Es gebe keine Erwartungen an sie, die Bilder in der Doku stammten aus „früheren, wilderen Zeiten der Band“. Sie solle einfach ihr Erlebnis fleißig auf Instagram teilen.
Mona sagt, dass Alena immer sehr professionell und nett gewesen sei. „Sie konnte mir alle meine Fragen glaubhaft beantworten.“ Durch Besucherinnen wie sie könne Rammstein auch eine jüngere Zielgruppe ansprechen. Mona soll das Konzert also gewissermaßen als Influencerin besuchen. Sie sagt zu und bucht die Flugtickets.
Dresscode für die „Row zero“: sommerliche Cocktailkleider
Alena fügt Mona mit den anderen „Row Zero“-Besucherinnen einer Whatsapp-Gruppe mit dem Namen „Rammstein Leipzig 2022“ hinzu. Darin befinden sich gut zwei Dutzend Frauen. Alena gibt die Koordinaten für den Abend durch. Bei späteren Konzerten wird sie auch einen Dresscode mitliefern: „Good Make up and Hair“ war etwa für das Konzert in Helsinki vergangene Woche gewünscht. Weiter: helle und feminine Outfits, gerne auch sommerliche, florale Cocktailkleider. Nicht gerade das, was man spontan zu einem Rockkonzert anziehen würde.
Die Casting-Direktorin, die für Rammstein die jungen Frauen organisiert, nennt sich auf Instagram Alena Makeeva. Sie hat auf Anfragen der NZZ nicht reagiert. Derzeit ist sie mit Till Lindemann auf Tour, so steht es prominent in ihrer Instagram-Biografie.
Die Frau ist die zentrale Figur im System „Row Zero“. Sie macht nicht nur die potenziellen Konzertbesucherinnen auf Social Media ausfindig, schreibt sie an und lädt sie ein, sondern umsorgt die Mädchen während des Konzerts auch mit Snacks und Drinks.
Und wenn Till Lindemann schließlich eine der Frauen einzeln sehen will, soll Alena die Auserwählte zu ihm führen.
Die Pre-Party
Es ist Freitag um 16 Uhr, als Mona beim Stadion in Leipzig zum ersten Mal auf Alena trifft. Etwa 30 andere Frauen sind ebenfalls da. Mona schätzt, dass nur ein Drittel davon tatsächlich Rammstein-Fans sind. Wegen Corona werden sie in kleineren Gruppen zur Pre-Party geführt. „Ich war gefühlt die Einzige, die das erste Mal da war“, erzählt Mona. Beim Eingang wird ihr Ausweis kontrolliert und ein PCR-Test gemacht. Dann muss Mona ihr Handy abgeben. Sie stellt sich dem Frontmann Till Lindemann und Christian „Flake“ Lorenz vor, die bereits in der Lounge sitzen. Es gibt Wodka, Red Bull und belegte Brote.
Christian „Flake“ Lorenz auf der Bühne. Foto: Imago Images / Gonzales Photo
Christian „Flake“ Lorenz auf der Bühne.
Lindemann sei ein freundlicher, zurückhaltender Mensch, sagt Mona. Als er sich zum Gespräch auf einen Sessel begeben habe, sei er direkt von zwei Frauen auf den Lehnen umrankt worden. „Er hielt seine Hände auf den Knien, wie ein Schuljunge. Auf mich wirkte es, als sei ihm all die Aufmerksamkeit zu viel“, erzählt Mona. Als er dann mit ihr gesprochen habe, sei es ihr vorgekommen, als genieße er es, mit jemandem zu sprechen, der ihn nicht anhimmelt.
Wie Mona in Leipzig werden in Klagenfurt auch Diana und zwei ihrer Freundinnen von Alena zur Pre-Party-Lounge geführt. Auch Diana gibt ihr Handy ab. „Man führte oberflächliche Gruppen-Gespräche und genoss ein paar Drinks“, erzählt Diana.
Kurz vor Konzertbeginn sei Alena erneut auf sie zugekommen, erzählt Diana. Till wolle sie alleine treffen, während der Konzertpause. Warum der Sänger sie ausgewählt hat, weiß Diana nicht. Sie vermutet: „Die Chemie zwischen uns hat halt einfach gepasst.“
Sie fragt Alena noch kurz: „Und was passiert dann?“ – „Nichts, was du nicht willst“, versichert diese.
Das Konzert in der „Row Zero“
Der begehrteste Bereich eines Rammstein-Konzerts ist die «Feuerzone» – eigentlich. Foto: Imago images/Gonzales Photo
Der begehrteste Bereich eines Rammstein-Konzerts ist die «Feuerzone» – eigentlich.
„Feuerzone“ nennt sich der abgetrennte Bereich unmittelbar vor der Rammstein-Bühne. Wer hier steht, hat bis zu 200 Euro bezahlt. Nur die Security ist weiter vorne – und die „Row Zero“. Die Frauen stehen in zwei Vertiefungen im Boden. Sie sind so nah an der Bühne und den Feuerwerkskörpern, dass sie aus Sicherheitsgründen nicht einmal etwas trinken dürfen. Alena ermutigt die Frauen, fleißig Instagram-Storys und Posts vom Konzert in der „Row Zero“ zu machen.
In der Konzertpause in Klagenfurt holt Alena Diana wie vereinbart in den Backstage-Bereich, dann geht sie wieder. Diana ist nun mit Till Lindemann alleine. „Ich wusste, das ist jetzt mein Fan-Girl-Moment.“ Während des Gesprächs soll es zu einem Kuss gekommen sein. „Dann bin ich für manche nun eben ein Groupie. Das ist mir egal.“
„Der Kuss ging klar von mir aus. Till hätte nichts versucht“
Diana
Überhaupt spricht sie in den höchsten Tönen von Till Lindemann und Alena Makeeva. „Sie macht ihren Job ja auch hervorragend“, sagt Diana. Sie ist eine von vielen Fans und „Row Zero“-Frauen, die Till Lindemann und Alena Makeeva nun auf Instagram mit dem Hashtag #JusticeForRammstein in Schutz nehmen. Alena habe nicht darum gebeten, betonen sie.
Die After-Show-Party
Am Ende des Konzerts erhalten alle „Front Zero“-Frauen ein Armbändchen für die After-Party. Diana wird direkt backstage in die Lounge gebracht. Etwa eine Viertelstunde ist sie dort mit Till alleine, unterhält sich mit ihm, dann kommen die anderen Frauen dazu.
Eine After-Party bei Rammstein erinnere an eine Home-Party, wie man sie von früher kenne, sagt Diana. Es gibt Wodka und Tequila, ob jemand Drogen konsumiert, weiß sie nicht. „Ich habe es zumindest nicht gesehen.“
Irgendwann verkündet Alena, die Band fahre jetzt ins Hotel. Man dürfe auch mitgehen. Diana steigt gemeinsam mit ihren Freundinnen ins Taxi. Doch dann, ehe sie beim Hotel ankommt, zieht sie die Reißleine. „Da wusste man ja schon, worauf man sich einlässt.“ Sie wisse von drei Frauen, die noch ins Hotel gingen. Mehr weiß sie nicht. Aber: „Das schien alles cool.“
Gemeinsam zum Feiern in den Technoclub
Im Stadion Leipzig werden die Frauen für die After-Show-Party in einen anderen Bereich geführt. Mona und die anderen Frauen werden mit den VIP-Konzertbesuchern gemischt. Sie hält sich an die anderen „Row Zero“-Frauen. Fünf oder sechs von ihnen behaupten gegenüber Mona, schon einmal etwas mit Till Lindemann gehabt zu haben. „Vielleicht wollten sich manche aber auch nur wichtig machen.“
Mit dem Manager teilt sie sich eine E-Zigarette. Er erzählt ihr, dass nach dem Konzert manchmal ein Aufruf an die Mädels gemacht werde: „Die Jungs gehen jetzt duschen, wenn ihr wollt, könnt ihr mitgehen.“
Später geht Mona mit der Band und ein paar Frauen in einen Techno-Club. Frühmorgens kehrt sie ins Airbnb zurück, alleine. „Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt“, sagt sie.
Groupie-Kultur Teil einer befreiten Sexualität?
Groupies gibt es, seit es die Musikindustrie gibt. Bereits Frank Sinatra und Elvis wurden umschwärmt. Von Frank Zappa, der die Groupie-Kultur der sechziger Jahre prägte, stammt die Bezeichnung „Crew Slut“, zu Deutsch: Mannschaftsschlampe. Sie verdeutlicht: Groupies waren immer Zudienerinnen für die Bedürfnisse des Idols, reduziert auf ihren Körper und ihre uneingeschränkte Hingabe. Sexismus in seiner Reinform, sagen die einen. Doch ist die Groupie-Kultur auch dann Sexismus, wenn Frauen sich selbstbestimmt dafür entscheiden? Oder wird es dadurch geradezu legitim?
Wenn die Groupie-Kultur also als Teil einer befreiten Sexualität verstanden wird, muss man sie auch nicht verstecken. Im Gegenteil. In den neunziger und nuller Jahren brüstete sich etwa Robbie Williams regelmäßig mit Groupie-Eskapaden. Und die Zwillinge der Band Tokio Hotel, Tom und Bill Kaulitz, sagten noch 2017 in einem Interview, ihr Manager habe früher jeweils den Sex mit Groupies organisiert.
Objektivierung der Frauen
Manche provozieren mit Groupie-Geschichten gerne bis zur Grenzüberschreitung, etwa Schockrocker Marilyn Manson. Er organisiert regelmäßig Fan-Treffen rund um seine Konzerte. In seiner Autobiografie „The Long Hard Road Out of Hell“ erzählt er, wie er seine Fans backstage nackt an eine Bondage-Apparatur fesseln hieß oder wie ein taubes Mädchen gedemütigt wurde. Das Buch erschien 1998.
In den vergangenen Jahren aber hat sich der Zeitgeist fernab der Musikindustrie gewandelt. Übergriffiges Verhalten wird nicht mehr bloss weggelächelt. Die Menschen sind sensibler geworden für Machtgefälle, die zu Missbrauch führen könnten. Und Frauen nehmen ihre Objektifizierung nicht mehr einfach hin.
Doch in der „Row Zero“ treffen zwei Welten aufeinander. Die alte, sexistisch geprägte Musikindustrie und junge, während #Metoo erwachsen gewordene Frauen. Groupies? Ja. Aber selbstbestimmt. So beschreiben es viele von ihnen zumindest selbst.
Die Community
Wenige Tage nach dem Konzert schickt Alena sowohl Mona als auch Diana die Tourdaten von Rammstein. Sie sollen einfach Bescheid geben, bei welchem Konzert sie wieder in der „Row Zero“ dabei sein wollen.
Diana und Mona sind nun Teil der „Row Zero“-Community. Die Chat-Gruppen lesen sich wie Unterhaltungen mit Freundinnen: „Es war geil, unbeschreiblich. Ihr seid der absolute Wahnsinn, Mädels“, heißt es da etwa. Man hilft sich vor dem Konzert bei Outfit-Notfällen „Mädels, mein Rock ist gerissen!“ – „Was möchtest du denn anziehen? Ich habe eine Hose, XS.“ Und wenn jemand an der Party mit Till Lindemann alleine gesprochen habe, freue man sich darüber.
Mona war vergangene Woche an einem Konzert in Helsinki. Diana wird im Juli in Wien wieder in der „Row Zero“ stehen. Wer auserwählt ist, darf bleiben.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung.