Liebeskummer
[Fundstück aus alten Zeiten aus aktuellem Anlass nochmal an die frische Luft geholt um es mit euch zu teilen. Denn ist Liebeskummer nicht der schlimmste mindfuck von allen?]Ist es nicht so, dass es uns immer und ausschließlich nur dann erwischt, wenn wir nicht damit gerechnet haben? Immer wenn man sich gerade in seiner Verliebtheitsimmunität so richtig schön eingerichtet hat und sich so sicher und abgeklärt fühlt wie noch nie?
Exakt in jenem Moment also, in dem man sich eingesteht für Romantik keinen Sinn zu haben und einen das luxuriöse Gefühl beschleicht dem Leben einer echten Pragmatikerin fehle es eigentlich an emotionalen Höhepunkten?
Dann hält das Schicksal einen Schienbeintritt bereit, der nicht nur schmerzt und blaue Flecken hinterlässt, sondern mich auch endgültig zu Boden gehen lässt.
Zunächst aber – im Liebeswahn - schwebe ich auf Wolken, nehme kaum noch feste Nahrung zu mir und kann den Tag damit zubringen mir wunderbare Momente mit dem Mann meiner Träume vorzustellen. In Gesprächen mit dem Liebsten kommt es zu absurdesten Mißverständnissen: während er mir von seinen Familienverhältnissen erzählt, sehe ich nur seinen Mund, achte auf das Spiel des Schattens auf seinem Gesicht und berausche mich am Klang seiner Stimme. Zwei Tage später kann ich auf seine bezugnehmende Frage leider nur mit einem dümmlich-fragenden Gesichtsausdruck antworten. Was zur Hölle hatte er mir da noch mal erzählt? Der fatale Irrtum ist nun der, dass ich mich aus seiner Sicht einen Dreck für ihn und seine persönliche Geschichte zu interessieren scheine, aber der Beweis meiner Verliebtheit eben genau diese Amnesie ist. Aber erklär ihm das mal einer!
Die tägliche Arbeit wird nur als Unterbrechung der vielen berauschenden Gefühle wahrgenommen und der Griff zum Handy sowie die Hoffnung auf eine weitere Liebesbotschaft wird manisch. Wie anstrengend sind die Stunden ohne ihn und wie schnell vergeht die Zeit in seinen Armen! Alles und jedes Detail in meinem Leben wird nun mit anderen Augen betrachtet und das betrifft Filme, Bücher, Pläne, Parfüms und natürlich die eigene Garderobe. Musik ist das einzige, das ich unbegrenzt konsumieren kann, manchmal sind es nur ein oder zwei Stücke, die ich nicht müde werde zu hören. Das Leben ist wundervoll und noch bevor ich selber glaube, was da gerade passiert – passiert etwas anderes. Zwei, drei Sätze, die ich nicht hören wollte und die alles verändern.
Es ist vorbei.
Für einige Minuten bleibt die Welt stehen und ein Betonklotz legt sich auf meine Brust. Alles Blut verlässt meinen Kopf und dann gehe ich im Zimmer umher aus Sorge zur Salzsäule zu erstarren wenn ich mich nicht bewege. Blitzartig überschlage ich sämtliche Verluste, alle nun exekutierten Möglichkeiten und Pläne und bleibe leer zurück: am Boden zerstört.
Das Gefühl des Verlassenseins ist meiner Auffassung nach das stärkste und tiefste, das es gibt. Es existieren wohl mehr Songs über den Liebeskummer als über die Liebe selbst und denen fröne ich als erstes. Jede Bewegung ist ein Kraftakt – nicht wie vorher im Liebesrausch, da war es lästig zur Arbeit zu gehen – jetzt ist es Folter! Wer es wagt in meiner Nähe einen zufriedenen Eindruck zu machen oder gar glücklich zu lächeln ist vor meinem Hass nicht sicher. Wie können sie nur scherzen und Pläne machen? Wer regt sich ernsthaft über Brandlöcher im Teppich auf? Hat das Leben nicht gerade gestern aufgehört einen Sinn zu haben? Hunger kenne ich nur vom Hörensagen, Zigaretten sind das einzige, was ich im Moment zu mir nehmen kann.
Und alles ist Erinnerung an ihn: Sein Auto, das Land in dem er immer Urlaub gemacht hat, sein Leibgericht, sein Parfüm, unser Lied. Nichts auf der Welt, das nicht einen Zusammenhang herstellen könnte zu ihm und zu allem, worauf ich nun verzichten muss.
So sehr kann ich in diesen allumfassenden Schmerz versinken, dass da nicht mal Raum bleibt für die Frage nach dem Warum. Warum? Nein, das frage ich nicht, denn das könnte zu noch Schlimmerem führen: zu Hoffnung auf Rehabilitation und zu einer weiteren Möglichkeit des Scheiterns! Zu Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen! Nein, es ist wie es ist und all meine Kraft konzentriert sich darauf, mich mit den Tatsachen abzufinden! So schleichen die Tage dahin und nur im Zeitlupentempo setzt Besserung ein. Einen ganzen Tag nicht geheult zu haben, das wird mit einem Glas Wein begossen (im dann alkoholisierten Zustand zählen die Tränen nicht!). Eine Fahrt zur Arbeit ohne dass mir ein bestimmter Autotyp ins Auge gefallen wäre? Herzlichen Glückwunsch, Sie sind dem normalen Leben wieder ein Stückchen näher gekommen. Liebeskummer wird eigentlich erst dann erträglich, wenn sich irgendwas oder irgendjemand in meinem Leben installiert hat, der oder das mich glücklich macht. Anders glücklich natürlich, tröstlich zumindest. Irgendwann weicht das Sehnen nach dem Einen dem Sehnen nach dem Gefühl des Verliebtseins. Und danach vergesse ich auch das und finde mich damit ab, dass das Leben aus einigen unangenehmen und vielen angenehmen Gefühlen besteht und kann mich sogar wieder auf eine ungewisse Zukunft freuen.
Und wenn ich mich dann wieder wohnlich eingerichtet habe in den Banalitäten meines Lebens und schon wohlwollend und mit zurückkehrender Freude auf die Welt und ihre (verliebten) Erdenbürger blicke, dann kommt ein Brief aus dem Nichts und reisst mit einem Mal alles mühsam errichtete Wohlgefühl wieder ein. Ein vages Winken aus der Ferne reicht aus, um mich in ein hyperventilierendes Nervenbündel zu verwandeln: nicht willens und in der Lage mich an die jämmerlichen Fakten zu halten. Der vom vielen Lesen bereits zerfledderte Brief würde eher zu Staub zerfallen, bevor ich mich wieder beruhigen und das Leben als "langen, ruhigen Fluß" betrachten könnte.
Außenstehenden geht die Aufregung über solche Dinge natürlich gänzlich ab und verständnislos wiegen sie die Köpfe über so viel Unvernunft und Leidelust. Aufgewärmter Liebeskummer rangiert auf ihrer Liste der ernsthaften Sorgen auf den unteren fünf Plätzen, gleich hinter: Der Sommer war dieses Jahr aber nicht so heiss wie letztes Jahr. So liege ich an solchen Abenden im Bett und schicke stumme, flehende und widersprüchliche Gebete an den - offenbar mit feinstem englischen Humor ausgestatteten - Drehbuchautor da oben, der es hoffentlich gut mit mir meint – was immer er auch darunter auch verstehen mag. Das Leben bleibt spannend.
Und wie sagte schon Erhard Blanck?
“Liebeskummer ist das banalste von der Welt. Außer es ist der eigene.”