Sprichwörter und Bauernweisheiten aus dem Mittelalter
Überall kann man auf sie stoßen und ihre Bedeutungen sind weitreichend bekannt. Damit meine ich altkluge Sprichwörter und so genannte Bauernweisheiten. Wir alle wissen, dass ihre Bedeutungen durchaus Wahrheiten enthalten, doch nicht jeder weiß das sie tatsächlich auf das Mittelalter zurück zu führen sind, wo eine allgemeine Bildung nur durch heimische Mundarten möglich war, sofern man nicht dem Adel oder einem Kloster angehörte. Ich habe mir die Freiheit und die Zeit genommen diese Sprichwörter genauer zu untersuchen und ihre möglichen Hintergründe zu recherchieren. Die Erläuterung geschieht in ihrem wahrscheinlichen Ursprungsfeld, weswegen es eine Volksgruppenunterteilung gibt. Doch nun viel Spaß beim Lesen …Von und über den Adel :
1. Hoch zu Ross sitzen …
Bedeutet sich besonders arrogant und überlegen zu verhalten.
Die Lehnsherren inspizierten ihre Ländereien und die Arbeit der Untertanen, indem sie quer über die Felder ritten und nur sporadisch auf Dorfplätzen anhielten um mit einzelnen Personen zu sprechen. Dabei stieg er aber aus Eile und Machtdemonstration nie ab. Statt dessen sah er auf den Gesprächspartner herab, forderte Antworten auf seine Fragen und stellte vielleicht sogar härtere Ertragsansprüche.
2. Jemanden in die Wüste schicken …
Bedeutet jemanden Hilfe zu verweigern oder jemanden erfolgreich zu betrügen.
Als Papst Urban der 2. zum Kreuzzug ins heilige Land aufrief, wetterte er nicht nur gegen die angeblich barbarischen Mauren, sondern versprach auch reiche Beute und fruchtbare Ländereien in der nähe eines möglichen Garten Edens. Die Anführer und Prediger des Kreuzfahrerheeres, die bereits viele Soldaten und Ritter auf dem Weg verloren haben wunderten sich jedoch enorm über den Umstand, dass der gesamte Orient scheinbar nur aus öder Wüste bestand. Der Papst hat also die Gottesfürchtigen wissentlich in die Wüste geschickt, wo das Heer ( nicht nur, aber auch ) um das nackte Überleben plündern musste und eine Heimkehr nur unter enormen Schwierigkeiten organisieren konnte.
3. Jemanden unter die Arme greifen …
Bedeutet jemanden zu helfen.
Wenn ein Ritter in vollständiger Rüstung vom Pferd stürzte oder einfach nur stolperte, konnte er nur sehr langsam und mühevoll aufstehen ( wenn überhaupt ). Um dies jedoch zu beschleunigen, griff der Knappe oder ein Sekundant dem Ritter wortwörtlich unter die Arme um ihn wieder aufzurichten. Das Sprichwort „Jemanden auf die Beine zu helfen“ bedeutet im Übrigen das Selbe und hat anscheinend auch den Selben Ursprung.
4. Eine Lanze für jemanden brechen …
Für jemanden einen großen Dienst erweisen oder einen Gefallen zu tun.
Viele Adelige konnten aufgrund ihrer Verpflichtungen nicht bei jedem Turnier antreten, daher ließen sie sich von einem Vasall vertreten. Die Bedeutung des Sprichwortes zielt auf die Turnierregeln des ritterlichen Zweikampfes zu Pferd ( den Tjost ) ab. Ziel des Tjost war es, den Gegner im Lanzengang zu besiegen. Eine besonders gute Möglichkeit dafür war es, die eigene Lanze am Schild oder Helm des Gegners zu zerbrechen, da dies besonders harte und kräftige Treffer bedeutete.
5. Jemanden aus dem Sattel heben / Jemanden ausstechen …
Bedeutet jemanden mühelos oder besonders überlegen zu besiegen.
Auch hier nimmt man, wie bei vielen Sprichwörtern auch, Bezug auf das ritterliche Turnier. Ein Ritter galt sofort als Sieger des Lanzenganges, wenn er den Gegner vom Pferd stürzen ließ, da dies besonders schwierig und gefährlich war. Dies geschah indem die Wucht und die Hebelwirkung der eigenen Lanze den Gegner wortwörtlich aus den Sattel hob oder besser; raus hebelte.
6. Etwas im Schilde führen …
Einen bösen Plan haben oder etwas vor jemand anderen verbergen.
Wenn fremde Ritter sich gegenseitig begegneten oder in eine Stadt hinein wollten, so mussten sie die Innenseite ihrer Schilde zeigen, da man verdeckte Hinterhältigkeiten wie etwa Giftdolche befürchtete. Tatsächlich war das eine beliebte Schmuggelmethode, um unliebsame Konkurrenz los zu werden.
7. Viel Aufhebens um nichts machen …
Sich besonders angeberisch verhalten / sich unnötig wichtig machen.
Beim traditionellen Schwertkampfduell ging das „Aufheben“ voran. Die Waffen der Kontrahenten wurden auf dem Boden gelegt und gemessen. Sobald der Sekundant oder Herold den Kampf frei gab, wurden die Waffen theatralisch aufgehoben um beim Publikum Eindruck zu schinden und dem Gegner zu imponieren.
8. Aus der Bahn geworfen werden …
Im Leben scheitern oder besonders schlimm zu versagen.
Die Bahn war der Platz zwischen den abgrenzenden Tunierschranken. Wurde jemand aus der Bahn geworfen, so verlor er den Zweikampf und war zumeist schlimm verletzt.
9. Durchstechereien machen …
Bedeutet hinterlistig zu sein.
Beim Schwertkampf im Turnier mussten die Kontrahenten über die Schranken hinweg schlagen. Unter den Schranken auf die ungeschützten Beine zu stechen galt als besonders hinterlistig und ließ ernsthafte Böswilligkeiten vermuten ( obwohl es nicht immer ausdrücklich verboten wurde ).
10. Jemanden in die Schranken weisen …
Bedeutet jemanden zu Recht zu weisen, ihm eine Grenze zu zeigen.
Beim Gericht oder Turnier wurden die Teilnehmer nicht nur durch Schranken untereinander abgegrenzt. Auch das Volk wurde auf Distanz gehalten. Wenn jemand diese Grenze überschritten hat so wurde er zurück in oder besser; hinter die Schranken geschickt.
11. Jemanden im Stich lassen / Jemanden von der Seite weichen . . .
Einen Notleidenden keine Hilfe erweisen.
Wenn ein Ritter einen Verbündeten auf dem Schlachtfeld zurück ließ oder „von seiner Seite wich“, so setze er ihn den Angriffen der Feinde ohne Deckung aus.
12. Jemanden über das Ohr hauen …
Bedeutet jemanden auszutricksen.
Die besten und legendärsten Kämpfer waren dafür berühmt, ihre Gegner durch schnelle und unverhoffte Kopftreffer außer Gefecht zu setzen. Besonders dann, wenn die Schädeldecke mit einem einzigen Hieb abgetrennt wurde! Abgesehen davon waren schwere Verwundungen am Kopf und Schädelbrüche beinahe unheilbar, da stets bleibende Schäden zu erwarten waren.
13. Jemanden in Harnisch bringen …
Bedeutet jemanden besonders zu provozieren und zornig zu machen.
Ein Ritter der eine Rüstung und anderes Waffenmetall angelegt hatte, galt als Kampfbereit und jeder wusste dass dieser keine Späße machen würde! Oftmals trafen sich verfeindete und verfehdete Ritter zum Duell oder in einer offensiven Feldschlacht, wo gewisse Differenzen durch „Gottes Urteil“, also banale Waffengewalt gelöst wurden.
14. Entrüstet sein …
Bedeutet absolut fassungslos zu sein.
Bei diesem Sprichwort gibt es zwei Varianten der Interpretation. Die erste Bezieht sich auf die Rüstung des Ritters. Ein Ritter der keine Rüstung trug, war nicht kampfbereit und gegenüber Angriffen beinahe genau so schutzlos wie ihre Untertanen.
Die zweite Variante bezieht sich auf das mittelhochdeutsche Wort „Rüste“ also „Ruhe“. Wer in diesem Sinne entrüstet war, hat seine innere Ruhe verloren. Ähnlich sieht es mit dem Wort „Entsetzt“ aus. Wer entsetzt war, saß nicht mehr gemütlich, sondern sprang auf und regte sich fürchterlich auf …
15. Etwas vom Leder ziehen …
Bedeutet feindselig zu sein und scharf gegen jemanden vorzugehen.
Schwertscheiden und andere Waffenhalterungen bestanden oftmals aus Leder oder waren mit Leder überspannt. Wenn also jemand etwas vom Leder zog, so zog er eine Waffe und verhalt sich feindselig, bzw. aggressiv.
16. Schachmatt gesetzt sein …
In einer aussichtslosen Situation sein / keine Hoffnung mehr haben.
Schach war und ist heute noch ein strategisch orientiertes Brettspiel, bei dem verschiedene Spielfiguren den „König“ des Gegners bedrängen und immobil machen müssen. Es galt als das Spiel der Könige, da es zunächst einmal vorwiegend von adeligen gespielt wurde. Auf der anderen Seite war ein solches Brettspiel aber auch sehr teuer, da es aufwendig gearbeitet und hergestellt wurde. Mit dem Ausspruch „Schachmatt!“ signalisierte der Gewinner der Schachpartie seinen Sieg, da die gegnerische Königsfigur keine Möglichkeit mehr hatte, der Gefahr zu entkommen.
17. Etwas besiegeln …
Etwas gültig machen / über etwas einig sein.
Die Adeligen konnten mit einem Wachsabdruck ein vertrauliches Dokument verschließen, eine Zustimmung für einen Vertrag erteilen oder auch die Echtheit eines Dokumentes glaubwürdig machen. Der Siegel eines hohen Herren war also Unterschrift, Zertifikat und Absicherung in einem und existierten bereits im römischen Reich …
18. Eine Landmarke versetzen...
Jemanden um seinen Besitz zu betrügen.
Dieses Sprichwort entstammt der Kartographie und dem Lehnswesen des Mittelalters. Der Besitz von Land war nicht nur ein besonderes Privileg, sondern auch ein entscheidender wirtschaftlicher und politischer Machtfaktor. Um Streitigkeiten unter den Landbesitzern ( in erster Linie Adelige und einflussreiche Kirchenmänner und Ordensgemeinschaften ) zu vermeiden, wurden die Grenzen der einzelnen Lehen immer mit sogenannten Landmarken festgehalten. Anfangs waren dies natürliche Begebenheiten wie etwa Flüsse, Gebirge, Täler oder auch Wälder. Da diese Begebenheiten jedoch formbar waren und auf freien Ebenen keine klaren Anhaltspunkte geben konnten, wurden folgerichtig zusätzliche Landmarken gesetzt. Das Geschah in Form von Grenzsteinen und anderen Objekten. Diese Jedoch hatten einen entscheidenden Nachteil. Man konnte sie in unbeobachteten Momenten wegtragen und dadurch den Grenzenverlauf verändern...
19. Einen Meilenstein setzen...
Den Fortschritt fördern / Den Horizont eines Fachgebietes zu erweitern.
Der Adel hatte schon immer Interesse daran ihre Landgüter genaustens zu erfassen. Dazu gehörte auch die Streckenmessung wichtiger Straßen und Passagen. Zu diesem Zweck wurden Bedienstete ausgesandt um nach einer bestimmten Anzahl von Schritten einen Stein am Wegesrand nieder zu legen. Diese Steine wurden Meilensteine genannt, da er nach jeder Meile gesetzt worden sind.
Über den Klerus und das Leben im Kloster :
1. Jemanden das Wasser reichen können …
Bedeutet jemanden besiegen oder anderweitig übertreffen zu können.
Wenn ein Mensch im Sterben lag, so kam der Priester und nahm die „Letzte Salbung“ vor, also eine Beichte mit einer speziellen Segensliturgie. Dabei reichte er dem Todgeweihten auch eine Schale mit Weihwasser, um ihn von seinen Sünden zu reinigen. Im Mittelalter war dieser Spruch bereits eine enorme Provokation, da der Kontrahent als besonders schwächlich und kränklich dargestellt wurde.
2. Ein Blatt vor den Mund nehmen …
Bedeutet über etwas nicht zu reden oder etwas zu beschönigen, wo hingegen „kein Blatt vor den Mund nehmen“ bedeutet, dass jemand detailliert Bericht über etwas erstattet und sich sogar einige Frechheiten heraus nimmt.
Schweigegelübte wurden oftmals mit einer Liturgie symbolisiert, bei dem der Schwörende ein Blatt des Barbarastrauches auf seinen Mund legte. Andererseits waren Mönche und Prediger dafür bekannt, in ein Buch zu schauen oder ein Pergament zu öffnen, wenn sie im Angesicht ihrer Ordensbrüder über etwas kein Wort verlieren wollten. Dies war eine Gebärde der Ignoranz und der Verdrängung und wurde ebenfalls mit diesem Spruch beschrieben.
3. Etwas an die große Glocke hängen ...
Etwas publik machen / sich über ein Thema lauthals auslassen.
Die Messen und Predigten der Geistlichen waren stets Botschaften und religiöse Verkündungen. Und es war selbstverständlich, dass die Untertanen des Landes zur Messe kamen. Zur Messe wiederum gerufen wurde mit Hilfe der Turmglocke, welche bei jeder Kirche und bei jedem Kloster vorhanden war und heute noch ist. Zum Thema der Messen gehörten allerdings immer das aktuelle Geschehen im Lehen, wie etwa Verbrechen, Feiertage oder die besinnungslose Lasterhaftigkeit des Adels. Die Verfehlungen des Volkes wurden daher bildlich an die Turmglocke gehangen.
4. Etwas auf die lange Bank schieben ...
Eine Tätigkeit, eine Pflicht oder einen Auftrag vernachlässigen.
Bittsteller, Pilger und generell jeder unbekannte Klosterbesucher, wurden kurz nach ihrer Ankunft aufgefordert, sich in einer Andacht / einem Gebet auf das Wesentliche zu besinnen und um Gottes Gnade zu bitten, ehe sie mit dem Abt reden durften. Der Neuankömmling wurde also auf die lange Bank ( ab- ) geschoben. Abgesehen davon verbirgt sich auch eine andere Interpretation in diesem Spruch. Im Volksmund hieß es, dass Mönche immer nur lesen, beten und schreiben. Dies waren alles Tätigkeiten, hinter denen keine großen Mühen gesehen wurden. Eine Person welche sich also zum Klosterleben entschied, schob sein Leben angeblich auf die lange Klosterbank.
5. Jemanden ins Gebet nehmen ...
Bedeutet jemanden zu verhören, auszufragen oder ihn zurecht zu weisen.
Kriegsgefangene oder politische Geisel für die keine Auslösungen bezahlt wurden, sind oftmals mit einer angeblichen, letzten Beichte vor dem Todesurteil getäuscht worden. Der Priester sollte den Delinquenten befragen, was er in letzter Zeit getan habe und ob er auch tugendhaft und ohne Sünde sei. Erhöht wurde der dogmatische Druck mit der Drohung, das dieser Priester unbedingt alles wissen müsse, damit nicht die Hölle nach der Hinrichtung wartet. Der Priester nahm also den Gefangenen ins Gebet, um Geheimnisse des Feindes zu erfahren.
6. Päpstlicher als der Papst zu sein ...
Bedeutet sich besonders Tugendhaft zur Schau zu stellen.
Nur wenige Päpste regierten in Rom ohne einen Gegner oder gar Gegenpapst. Die daraus resultierende Opposition versuchte stets die Kardinäle auf ihre Seite zu kriegen, indem sie den amtierenden Papst verunglimpften und von ihrer angeblichen Erlauchtheit sprachen. Sie machten sich selbst „also päpstlicher als der Papst“.
7. Jemanden die Leviten lesen ...
Bedeutet jemanden gehörig zu tadeln und zurecht zu weisen.
Bereits ab dem 8.Jahrhundert war es in Klöstern und Abteien üblich, das Fehlverhalten und die Lasterhaftigkeiten der Mönche durch Buß- und Strafpredigten zu bessern, vor allem im Ordensleben der Benediktiner. Im Generellen wurden dabei Texte und Psalmen aus der Bibel verlesen, zumeist aus dem 3. Buch Moses, dass auch als „Levitikus“ bekannt ist und wichtige Verhaltensgebote für Priester enthält. Das Buch Levitikus wurde von Mönchen oftmals als „die Leviten“ abgekürzt, wodurch sich diese Redensart schnell einprägte und auch beim gemeinen Volk durchsetzte.
8. Etwas getürkt zu haben ...
Etwas ver- oder gefälscht zu haben.
Als die Kreuzfahrer von den Kreuzzügen heimkehrten, brachten sie unbekannte Pflanzen, Gewürze, Schätze und andere Rückschlüsse auf die arabische oder orientalische Kultur mit. Darunter auch das arabische Zahlensystem ( das wir heute benutzen ). Neu und unbekannt war dabei die Ziffer 0. Eben diese Zahl war den Geistlichen und Gelehrten ein Graus, da sie alleinstehend „nichts“ ist und in Verbindung mit einer anderen Ziffer sofort die zehnfache Menge bedeutet! Sie verteufelten dieses Prinzip als gottlose „Türkenhexerei“. Schon bald war alles, was seltsam war „getürkt“ und somit verhext.
9. Jemanden die Hörner aufsetzen ...
Jemanden in Bedrängnis bringen oder veralbern, ihn zu hintergehen oder zu verleugnen. Aber auch jemanden für verrückt zu erklären.
Bei diesem Sprichwort ist man sich im generellen nicht ganz einig, da es zwei glaubwürdige Varianten gibt. Die erste Variante resultiert aus der Ketzerverfolgung und / oder der Hexenverfolgung. Eine denunzierte Person wurde öffentlich verteufelt und mit gottlosem in Verbindung gebracht. Im wurden also bildlich gesagt die Hörner des Teufels auf den Kopf gesetzt. Die zweite Variante bezieht sich auf das Narrentum. Geisteskranke und andere „Narren“ sollten für die Öffentlichkeit klar erkennbar sein. Verpflichtende Erkennungssymbole an der Kleidung sollten den Betroffenen jedoch nicht nur markieren, sondern auch verhöhnen. Dazu gehörten aber nicht nur die Glöckchen im Gewande, sondern auch die sogenannte „Hörnerkappe“ ( eine Symbolisierung von Eselsohren ), später auch als Narrenkappe bekannt. Jedem Narren wurden also die Hörner der Stumpfsinnigkeit aufgesetzt.
Redewendungen und Weisheiten von dem gemeinen Volk :
1. Jemanden anprangern ...
Jemanden anschuldigen / anklagen.
Bereits zu Beginn des Mittelalters war es üblich, bestimmte Vergehen gegen die diktierte Ordnung mit dem „Pranger“ zu bestrafen. Dies war eine Holzklappe mit drei, linear angeordneten Löchern ( Hals und Handgelenke paßten selbst bei schlanken Personen nur dann hinein, wenn die Klappe geöffnet war ), das den Verbrecher in gebeugter Position daran hinderte fort zu laufen ( kurz : er konnte weder gehen noch sitzen, sondern lediglich stehen ). Diese Bestrafung war zugleich Folterung, da der „Angeprangerte“ viele Tage und bei jedem Wetter so verweilen mußte. Zu allem Übel, waren Peitsch- und Prügelstrafen keine Seltenheit am Pranger. Man mußte für den Pranger kein großes Verbrechen begehen, allein die Zahlungsunfähigkeit bei Steuerfristen oder unverhofftes Viehsterben konnten bereits ein passender Anlaß sein.
2. Etwas auf dem Kerbholz haben ...
Schulden haben / Etwas verschuldet zu haben.
Getränke und Speisen, die von Gaststätten- und Tavernenbesuchern verzehrt worden sind, wurden vom Schankwirt auf einem Holzbrettchen eingeritzt ( also gekerbt ), damit niemand die anfallende Zeche prellen ( also die Bezahlung abschlagen oder vermindern ) konnte. Und während man als Fremder die Zeche sofort begleichen mußte, durften Stammgäste sich etwas Zeit damit lassen. Wenn also ein Stammgast die Zeche nicht sofort beglich, so verwahrte der Wirt dieses Brettchen. Der Gast hatte also unbeglichene Schulden auf dem Kerbholz. Auch heute noch existiert diese Tradition in Form des Bierdeckels.
3. Ins Fettnäpfchen treten ...
Pech haben / In ein Mißgeschick geraten.
Im Mittelalter und auch später noch, gab es in jeder Taverne das Fettnäpfchen, welches in der Nähe der Theke auf dem Boden stand. Es hatte den Sinn, das fahrende Ritter oder Edelmänner damit ihre Stiefel polieren lassen konnten. Dummer weise gab es aber auch genügend Tavernenbesucher, die in dieses Näpfchen versehentlich hinein traten oder es um traten.
4. Jemanden das Wasser abgraben ...
Jemanden übel mitspielen.
Die Müller waren im Mittelalter ziemlich reiche Leute, da nur wenige das Mühlrecht besaßen und viele Bauern und Bäcker auf den ( aus eigener Tasche ) bezahlten Dienst des Müllers angewiesen waren. Und da auch viele Mühlen mit einem Wasserrad angetrieben worden sind, haben sich die oftmals zerstrittenen Müller gegenseitig geschädigt, indem sie das Wasser abgruben und somit den Lauf eines Flusses veränderten.
5. Eine Abfuhr erteilen ...
Jemanden mißachten / Jemanden den Zutritt verweigern.
Die Städte des Mittelalters lockten die Bauern mit großen Märkten an, auf denen sie ihre Erträge eintauschen oder verkaufen wollten. Doch bevor ein Bauer mit seiner Ladung die Stadt betreten durfte, mußte er einen Wegezoll an den Zoller oder Torwächter entrichten. War der Bauer dazu nicht in der Lage, so wurde ihm der Eintritt oder die Überquerung verweigert und der ganze Weg war umsonst. Er mußte also mit seinem Karren wieder abfahren.
6. Jemanden ins Handwerk pfuschen ...
Eine größere Bemühung nichtig machen / etwas Sabotieren.
Große, handwerkliche Aufträge ( wie etwa Schiffs- und Gebäudebau oder auch die Massenanfertigung einer Ware ) dauerten für gewöhnlich sehr lange ( konnten ganze Generationen überdauern ) und beherbergten enorme Transportschwierigkeiten. Daher wurden solche Aufträge für gewöhnlich an mehrere Experten übergeben, wobei die Endbezahlung immer an denjenigen entrichtet wurde, der den Auftrag zuerst fertigstellen konnte. Aus diesem Grund pfuschten sich die Meister des Faches gegenseitig ins Handwerk oder behinderten sich gegenseitig auf andere Weise.
7. In der Zwickmühle sitzen ...
In einer hoffnungslosen Lage sitzen / sich für eine von mehreren ( negativen ) Alternativen entscheiden müssen.
Das Brettspiel „Mühle“ war ähnlich wie „Trick-Track“ oder „Wolf & Schafe“, ein beliebter Zeitvertreib in den arbeitsarmen Wintermonaten und wurde mit farbigen Steinen gespielt. Ziel des Spiels war es, durch geschickte Züge sogenannte „Mühlen“ zu bilden ( drei Steine der eigenen Farbe in einer geraden Linie ) und somit zu punkten. Eine „Zwickmühle“ war eine geschickte Position der eigenen Steine. Egal wie man zog, man konnte immer eine Mühle bilden ohne das der Spielgegner etwas dagegen unternehmen konnte.
8. Die Karten neu mischen ...
Das Schicksal neu bestimmen / eine Lebenssituation umwerfen oder verändern.
Über das ganze Jahr hinweg, zogen sogenannte Vaganten durch das Land um ihre Dienste anzubieten. Sie waren allesamt Gaukler, Akrobaten, Komödianten und Trickzauberer. Und beinahe jede Vagantengruppe hatte eine/n Wahrsager/in, welche/r vorzugsweise aus Tarotkarten las. Kurz vor diesem Dienst wurden die Karten vom Kunden gemischt, das Schicksal definierte sich also von neuem. Eine andere Variante bezieht sich auf das Kartenspiel, dass ebenfalls eine lange Geschichte aufweist und ihre große Geburtsstunde im regen Aufbau von Gaststätten und Tavernen fand. Nach jedem gewonnenen Spiel wurde gemischt und von neuem gespielt, wodurch sich jeder Spieler eine neue Gewinnchance einrechnete.
9. Das eigene Licht unter den Scheffel stellen ...
Sein Potential verbergen / eine günstige Gelegenheit ausschlagen.
Der „Scheffel“ war ein Holzeimer, der Name bezog sich auf das Schöpfen von Wasser. Stellte man ein Tranlicht ( eine Kerze ) unter den Scheffel, so war es verborgen. Dies nutzte man als nächtliche Vortäuschung der Abwesenheit in Kriegszeiten, da das Entzünden einer solchen Kerze viel Aufwand bedeutete und man ein Verlöschen der Flamme vermeiden wollte.
10. Jemanden an die Kandarre nehmen ...
Jemanden führen oder befehligen.
Die Kandarre ist eine Version des Pferdepfluges und ermöglichte ein schnelleres Pflügen der Felder. Allerdings konnte man auch Menschen problemlos den Kandarrenring umlegen. In jenen Zeiten wo der Winter etwas länger und härter war, wurde dies sogar getan bis neues Vieh wieder vorhanden war oder trächtige Tiere endlich geworfen haben.
11. Jemanden über den Tisch ziehen ...
Jemanden belügen und / oder betrügen.
„Jemanden über den Tisch zu ziehen“ ist ursprünglich eine unterschwellige Umschreibung für eine Rauferei oder Kneipenschlägerei. Es bedeutet also einen Gegner Kampfunfähig zu machen. Das dieses Sprichwort vor allem auf den Handel bezogen wird, hat folgenden Hintergrund : Die Händler ( vor allem die „Hanse“ ) waren ein neuer Machtfaktor neben Adel und Kirche mit enormen Wachstum. Dies hatte zur Folge, dass immer mehr Kaufleute eigene Schergen ( Leibwächter / Söldner ) hatten. War ein Kunde also unzufrieden mit der bereits erworbenen Ware oder wollte ein Klient sein Gut nicht verbilligt verkaufen, so musste er mit Nachdruck dazu überzeugt werden. Die Schergen des Kaufmanns zogen ihn also über den Tisch, ein Angebot das kaum einer Ausschlagen konnte!
12. Den Taler zweimal wenden ...
Sparsam sein / Eigene Ausgaben gut überdenken und abwägen.
Nirgendwo im mittelalterlichen Europa gab es einheitliche Währungen. Münzen gab es zwar bereits im römischen Reich, doch der spätere Zerfall dieser Leitkultur ließ dies in Vergessenheit geraten. Viel eher gab es lokale Währungen, welche von eigensinnigen Adeligen und anderen Machthabern geprägt worden sind. Je nach Land, Stadt und Verhandlungspartner variierte also der Wert einer Münze und konnte bei Betreten eines Fremden Gefildes ins Bodenlose sinken. War der Wert einer Münze nicht einzuschätzen, so ging man einfach vom lokalen Materialwert aus ( d.h. selbst fremde Goldmünzen waren immer noch viel wert auch wenn sie den eigentlichen Wert nicht mehr erreichen konnten ). Daher wurden Taler und andere Münzen von Händlern immer von beiden Seiten betrachtet, damit sie wußten wo man dafür die meiste Ware erwerben konnten.
13. Jemanden in die Suppe spucken ...
Jemanden übel mitspielen / einen Plan vereiteln.
Das dieses Verhalten im bildlichen Sinne für niemanden eine Freude ist, dürfte jedem klar sein. In so fern gibt es auch wenig zu erklären. Zur Zeit wird vermutet, dass dieses Sprichwort aus dem Kloster- oder Kasernenwesen entstammt. Nahrungsmittel waren nur begrenzt verfügbar, weswegen sich die Suppe schon früh als Massenverpflegung etablierte und beinahe in jedem Stand, also auch auf Burgen und Höfen zu finden war.
14. Sich in die Nesseln setzen ...
Pech haben / in ein Mißgeschick geraten.
Brennessel und andere Nesselarten waren im Überfluss vorhanden und wucherten sogar im Ackerland oder in Dörfern, da kaum einer Wert auf unnötige Arbeit legte. Eine kleine Unachtsamkeit genügte und schon war es zu spät.
15. Die Katze im Sack kaufen ...
Einen nachteiligen Handel eingehen / minderwertige Ware kaufen / sich auf etwas unbestimmtes einlassen.
Der Handel mit Tieren war im Mittelalter eine schwierige, jedoch lukrative Angelegenheit. Bauern beispielsweise boten entbehrliche Nutztiere oder deren Nachwuchs feil, welche in Städten durchaus gefragt waren. Aber auch eher seltene Tiere wurden an wohlhabende oder anderweitig zahlungsfähige Kunden verkauft, wie etwa Wolfswelpen, dressierte Hunde, Reitpferde und Streitrösser, Adler und Falken sowie Katzen... Oftmals war allerdings der Transport der lebendigen Ware ziemlich kompliziert. Man musste die Tiere zusammen halten und zugleich dafür sorgen, dass sie zumindest den Transport und den Verkauf überlebten. Daher wurden Katzen beispielsweise in Säcken transportiert und verkauft ( sie sollten schließlich nicht vorher entkommen und sich an ihr neues Umfeld von Grund auf gewöhnen ). Speziell im Fall des Katzenhandels war ein solcher Verkauf eher Glücksspiel als alles Andere. Der Käufer konnte nur schwer einschätzen ob das Tier jung, gesund oder gar lebendig war.
16. Den Karren in den Matsch setzen ...
Ins Stocken geraten / Sich selbst durch Ungeschick in einer Tätigkeit behindern.
Die Infrastruktur des mittelalterlichen Europa ist alles andere als ausgeprägt gewesen. Die wenigen, verfügbaren Straßen waren in einem erbärmlichen Zustand und existierten häufig bereits zur Zeit des römischen Imperiums. Es war also nicht schwierig mit einen schwer beladenen Karren hängen zu bleiben oder von dem groben Steinwerk abzurutschen. Ein besonderes Ärgernis, da die ländliche Bevölkerung oft weite Strecken bis zur nächsten Stadt zurück legen musste. Mit anderen Worten, ein Karren der im Dreck stecken blieb oder sogar einen Radbruch erlitten hat, bedeutete zu spät zum Markttag zu kommen und somit die einzige Chance auf lukrative ( Tausch- ) Geschäfte zu verpassen.
17. Jemanden ein U für ein X verkaufen ...
Jemanden betrügen.
Im Mittelalter benutzten die Europäer noch das lateinische Zahlensystem. Ein U und ein V waren ein und das Selbe und bedeuteten die Ziffer 5. Ein X hingegen entsprach der Ziffer 10, war also doppelt so viel. Das Sprichwort bedeutet also minderwertige Ware zum Wucherpreis zu kaufen.
18. Die Butter vom Brot nehmen ...
Jemanden zur Sparsamkeit zwingen / jemanden Schulden aufbrummen / jemanden in Armut stürzen.
Die Leibeigenen und andere Untertanen waren dazu verpflichtet ihren Lehnsherren Tribute zu zahlen und Frondienste zu leisten. Waren sie dazu nicht in der Lage, so wurden sie je nach Herren bestraft und ihr weniges Hab und Gut wurde verpfändet. Da der Bauernzehnt zumeist aus Agrarerzeugnissen bestand, wurden bei „Zahlungsunfähigkeit“ Erbstücke aus der Mitgift oder häufiger noch, Nebenerzeugnisse wie etwa Käse, Hühnereier oder Butter einkassiert.
19. Jemanden reinen Wein einschenken ...
Die Wahrheit sagen / jemanden gehörig die Meinung zu sagen.
Es war allgemein bekannt, dass manche Schankwirte verdünnten Wein ausgeschenkt haben um ihre Ausgaben zu senken und ihre Einnahmen zu erhöhen. Nur wenn wohlhabende Reisende oder gar ein Adeliger einkehrte hatten die gierigen Betrüger den nötigen Respekt und haben den reinen, ungepanschten Wein eingeschenkt.
20. Eine Marotte haben ...
Ein unangenehmes Laster haben / sich exzentrisch verhalten.
Narren und vor allem Hofnarren besaßen häufig einen Stab, vergleichbar mit einem Zepter und wurde die Marotte genannt. Der Kopf der Marotte entsprach dem nachempfundenen Gesicht des Narren selbst und symbolisierte die scham- und gewissenlose Persönlichkeit der Narrenseele. Wie bei einer Bauchrednerpuppe ließ der Narr seine Marotte unverschämte Dinge sagen und tun. Die Marotte war aber auch die einzige „Person“ welche dies ungestraft tun durfte. Man kann also sagen, dass die Marotte immer dann zum Einsatz kam, wenn der Narr selbst befürchten musste seine Narrenfreiheit zu stark auszureizen.
21. Jemanden verdreschen ...
Jemanden gehörig schlagen / Jemanden erbarmungslos verprügeln.
Wenn die Bauern das Getreide ernteten, so mussten sie die Körner vom Rest der Pflanzen trennen. Dies nannte man „die Spreu vom Weizen trennen“ und wurde mit sogenannten „Dreschflegeln“ bewerkstelligt. Mit anderen Worten, die Bauern schlugen so lange auf die Getreideernte ein, bis ein nutzbares Produkt entstanden war. Diese Körner waren nämlich das Ursprungsmaterial für neue Saaten, Tierfutter und natürlich Mehl, dem weißen Gold des Mittelalters.
22. Jemanden nicht hängen lassen ...
Jemanden in der Not helfen
Sah sich ein Lehnsherr dazu gezwungen einen Leibeigenen zu exekutieren, so geschah dies für gewöhnlich mit einem Galgen ( das Abhacken von Köpfen war aufgrund des symbolischen Charakters eher für besonders schwere Fälle oder natürlich für wichtige Kriegsgefangene gedacht ). Der Sachsenspiegel und andere Gesetzestexte sah jedoch vor, das diese Verurteilten bis zur endgültigen Vollstreckung des Urteils mit Geld oder anderem, wertvollen Besitz freigekauft werden durften. Ein reicher Freund oder eine Familie mit guten Ernteerträgen ließ also ihr Familienmitglied nicht einfach hängen ...
23. „Einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul !“
Diese Bauernweisheit ist eine Aufforderung zu einem freundlichen und korrekten Benehmen, aber auch zu einer wohlwollenden Gelassenheit. Beim Kauf eines Pferdes wurden oftmals die Zähne überprüft um sich von der Qualität des Tieres zu überzeugen. Bei einem Pferd das verschenkt wurde, war dies jedoch überflüssig und unbegründet. Wer es dennoch tat verhielt sich nicht nur schlecht, sondern bekundete auch Misstrauen und Argwohn gegenüber dem Gönner. Dieses Sprichwort wurde aber auch auf ähnliche Fälle übertragen. Jedes Geschenk sollte ohne jede Missgunst angenommen und in Ehren gehalten werden. In einer Zeit wo viele Dinge spärlich vorhanden und absolut nicht selbstverständlich waren, war dies sogar sehr wichtig und konnte nur von Vorteil sein.
24. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm !“
Mit dieser Bauernweisheit tadelten die Leute ihre Mitmenschen, wenn diese sich falsch verhielten oder auf andere Weise unangenehm auffielen. Sie zielt auf eine schlechte Herkunft ab und war eine Beleidigung, welche die gesamte Familie betraf. Äpfel die nicht gepflückt wurden, waren Fallobst und damit absolut minderwertig. Schließlich musste es einen Grund dafür geben, dass niemand, bis auf Bettler und Siechkranke das Fallobst annahmen. Es war nämlich faul ( manchmal auch madig ) und konnte bei Verzehr Magenverstimmungen oder sogar Krankheiten auslösen.
25. „ ... sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr !“
Damit wurden verwirrte und orientierungslose Menschen umschrieben. Wer vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sah, war unfähig sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Bildlich gesprochen, wies dies auch auf Verirrungen hin, da viele Wälder im Mittelalter ein Stück unberührte Wildnis waren und somit auch Gefahren wie etwa Raubtiere und Wegelagerer bedeuteten.