Toleranz-Intoleranz aus Wikipedia
Begriffsbestimmungen
"Toleranz ist der Verzicht auf die Option, ein gegen sich gerichtetes Übel abzustellen." Daher kann nur toleriert werden, was 1. ein Übel darstellt (Gutes, Positives oder Berechtigtes kann demnach nicht toleriert werden.) 2. gegen sich gerichtet ist (Was einen selbst nicht betrifft oder nichts angeht, kann man nicht tolerieren.) 3. man muss über die Option verfügen, das Übel, statt es zu tolerieren, genauso gut auch abstellen zu können. (Wer diese Wahlmöglichkeit nicht hat, der kann logischer Weise sein Erdulden nicht als freiwillige Hinnahme des Übels, also als Toleranz bezeichnen)
Wer beabsichtigt, Toleranz auszuüben, muß sich also fragen: 1. Handelt es sich tatsächlich um ein Übel? 2. Geht das als Übel Festgestellte mich überhaupt etwas an? 3. Habe ich tatsächlich die Möglichkeit, statt Toleranz zu üben, das Übel abzustellen?
Toleranz beschreibt die Fähigkeit, eine Form, oder – bis zur jeweiligen Toleranzschwelle – viele Formen des Andersseins oder Andershandelns, insbesondere Herkunft, Religion, Neigungen, Moral oder Überzeugungen, zu dulden, also nicht zu bekämpfen.
„Toleranz […] bezeichnet allgemein das Dulden oder Respektieren von Überzeugungen, Handlungen oder Praktiken, die einerseits als falsch und normabweichend angesehen werden, andererseits aber nicht vollkommen abgelehnt und nicht eingeschränkt werden.“
– Rainer Forst: Toleranz[1]
Eine Förderung geht demnach weit über Toleranz hinaus, allerdings bedeutet Toleranz auch das Abschaffen einer vorhandenen Benachteiligung des Anderen gegenüber dem Gleichen (Strafgesetz, Rechte). Die Vorstellungen von gleich und anders unterliegen jedoch einem starken Wandel. Toleranz in einem schwächeren Sinne schließt Diskriminierung nicht aus, lediglich Verfolgung.
Als herrschende oder vorwaltende Einstellung einer Gruppierung oder Gesellschaft bezeichnet Toleranz das Gewährenlassen von Einzelnen oder Gruppen, deren Glaubens- und Lebensweise vom etablierten religiösen oder gesellschaftlichen System abweicht. Sie ist nicht gleichbedeutend mit Übereinstimmung, stellt jedoch eine mögliche Vorstufe zur Akzeptanz dar.
Toleranz im Sinne eines „Toleranzbereiches“ umfasst einerseits die Vollmacht zur Sanktionierung des Abweichlers und andererseits die bewusste Entscheidung, davon Abstand zu nehmen. Sie wird normalerweise bei gewaltlosem, auf Einigung zielendem Verhalten geübt. Toleranz kann so Gewalt vermindern.
Im weiteren Sinn gilt, dass Intoleranz und Konformitätsdruck Gewalt und soziale Destabilisierung bewirken können. Toleranz bedeutet folglich die Schaffung eines Spielraums für Menschen mit abweichendem sozialen Verhalten und anderen Normen. Toleranz richtet sich auf Menschen, denen wegen ihrer Andersartigkeit sozialer Ausschluss droht. An Stelle eines rigiden Vorgehens gegen das Abweichende erfordert Toleranz, dass von einer Norm abweichende Menschen oder Gruppen diesbezüglich nicht behindert werden.
Wer der Idee der Toleranz ablehnend gegenübersteht oder der Ansicht ist, diese komme übermäßig zur Geltung, kann den pejorativen Begriff Tolerantismus verwenden, den Kaiserin Maria Theresia prägte, um sich damit gegen die Duldung von Nichtkatholiken (Protestanten und Juden) zu wenden und für ein religiös einheitliches Österreich einzutreten (→Transmigration).
Politik und Religion
Historisch gesehen waren politische und religiöse Toleranz die wichtigsten Aspekte der Toleranz, da Unterschiedlichkeiten in politischen und religiösen Systemen zu zahllosen Kriegen, Verfolgungen und anderen Verbrechen geführt haben. Die Philosophen und Autoren der Aufklärung, besonders Voltaire und Lessing verhalfen wohl der religiösen Toleranz nachdrücklich zum Durchbruch und waren von großem Einfluss auf die westlichen Gesellschaften (→Pluralismus), nachdem seit dem Augsburger Religionsfrieden die Religion der Untertanen vom Landesherrn bestimmt worden war („Cuius regio, eius religio.“). Den Bereich der politischen Toleranz vermochten die Aufklärer jedoch nicht mit entsprechender Beharrlichkeit auszubauen.
Römisch-katholische Kirche
„Toleranz meint die Haltung eines Menschen, der andere respektiert, obwohl sie andere Meinungen und Überzeugungen vertreten.“
– Katholischer Erwachsenen-Katechismus
„Toleranz schließt die Ehrfurcht vor dem, was dem anderen heilig ist, ein“
– nach Papst Benedikt XVI.[2]
Grenzen und Probleme der Toleranz
Die Formulierung Es gibt nur eine Sache, die ich nicht zulassen kann: Intoleranz. veranschaulicht, dass es notwendige Begrenzungen der Toleranz gibt. Insbesondere kann eine tolerante Gesellschaft keine solche Intoleranz zulassen, die sie zerstören würde.
Daher kann man von einem Paradoxon der Toleranz sprechen. Wer Intoleranz toleriert, ist sowohl tolerant als auch intolerant. Wer Intoleranz nicht toleriert, erscheint intolerant, bewahrt aber Toleranz. Besonders deutlich wird dieses Problem anhand einer Massenmeinung A und einer Massenmeinung B. Beide Meinungen sind völlig verschieden und halten sich für richtig und die andere für verwerflich. Deshalb halten beide Meinungen die andere für intolerant. Die Prinzipien beider Ansichten sind unbeweglich und unveränderbar. Beide meinen, dass Toleranz dort aufhört, wo Intoleranz toleriert wird. Eine tolerante Meinung kann keine solche Intoleranz zulassen, die sie zerstören würde. Aber welche Meinung ist nun tolerant?
Andererseits bringen restriktive Maßnahmen eine rasche Minderung einer allgemein herrschenden Toleranz mit sich, und eine „Diktatur der Toleranz“, die unter der Bezeichnung Toleranz Übereinstimmung der Meinungen oder ethischen Überzeugung fordert („du musst mir recht geben, sonst bist du intolerant“), ist ebenfalls eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit – im Gegensatz dazu Toleranz nach dem fälschlicherweise Voltaire zugeschriebenen Zitat: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“
In vielen Ländern kommt es zu Problemen mit der Toleranz in Bereichen wie Trennung von Kirche und Staat, Homosexualität, Konsum von Tabak, Alkohol und anderen Drogen, kritischer politischer Literatur und Publizistik oder abweichenden sexuellen Handlungen, wobei die Probleme in manchen Fällen durch den Konflikt zwischen persönlicher Freiheit des einzelnen und potentieller Schädigung von Dritten (Passivrauchen, Pädophilie) bedingt sind. Hierbei ist jedoch zwischen der Person mit ihrer Einstellung und ihrer Handlung mit ihren Auswirkungen zu unterscheiden. Der Toleranzbegriff bezieht sich immer nur auf die Einstellungen und die Denkweisen einer Person, während eine Handlung, besonders eine schädigende, sich dem Toleranzbegriff entzieht.
In der europäischen Politik ist die Tendenz vorhanden, die Toleranz als eine immanente Eigenschaft des Christentums sowie Europas zu propagieren. Gleichzeitig wird ein Dualismus zwischen Christentum und Islam konstruiert, dem im Gegenzug das Etikett der Intoleranz angeheftet wird.
Sozialethik
In der Sozialethik bedeutet Tolerieren, dass ein einzelner Mensch oder eine Gruppe nach Maßgabe der Gleichberechtigung störende Einflüsse, die von anderen Menschen oder Gruppen ausgehen, nicht mit (scharfen) sozialen Sanktionen ahndet. Toleranz geht nicht so weit wie Akzeptanz – bei letzterer wird ein Zustand als von den eigenen Wünschen zwar abweichend, aber als dem Gemeinnutz dienlich anerkannt.
Kritik der Toleranz
Da Toleranz auch Fanatiker entwaffnen kann, haben überzeugungsstarke soziale Bewegungen mitunter Schwierigkeiten, ihr argumentativ entgegen zu treten. So wählte Herbert Marcuse den Begriff „Repressive Toleranz“ (nahezu eine Contradictio in adjecto), um die Ausweitung der Toleranz auf Situationen, Verhaltensweisen und Machtverhältnisse, die „die Chancen, ein Dasein ohne Furcht und Elend herbeizuführen, behindern“ zu kennzeichnen. Marcuse analysiert Gesellschaften, in denen Machtungleichgewichte herrschen und nicht beachtet werden. Hier spiele Toleranz stets den mächtigeren Akteuren in die Hände.[3]
Die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann hat im Bereich der öffentlichen Meinung die Wechselbestärkung von liberaler Toleranz und verstummendem Traditionalismus als „Schweigespirale“ angegriffen.
Für den Publizisten und SPIEGEL-Autor Henryk M. Broder ist die Toleranz in pluralistischen, "horizontal" organisierten Gesellschaften ein überholtes Prinzip, das es den Intoleranten erleichtert, sich rücksichtslos durchzusetzen[4]
Erziehung
Hier wird Toleranz, oft im Rahmen der „Politischen Bildung“, als aktive Bürgertugend gefördert und gilt als Kennzeichnung eines funktionierenden Rechtsstaates und einer „lebenden“ Demokratie. Es werden auch Formen der Toleranz unterschieden:
Passive Toleranz
Tolerieren im passiven Sinn bedeutet, dass eine negative, Akzeptanz ausschließende, Beurteilung zwar getroffen wurde, der Bewertende sich jedoch einer offenen Reaktion enthält, zum Beispiel um des 'lieben Friedens' willen. In diesem Sinne sagen zum Beispiel Eltern mit entsprechendem Unterton zu ihren Kindern: „Na gut, ich toleriere das!“ Ausschließlich passive Toleranz wird pädagogisch nicht begrüßt, weil sie einer Vermeidungshaltung gegenüber Problemen (Robert K. Merton: retreatism) gleich- und der Ignoranz sehr nahe kommt.
Aktive Toleranz
Toleranz im positiven Sinn und als Grundwert freier, pluralistisch ausgerichteter Gesellschaften bedeutet absolute geistige Offenheit bezüglich der Option einer möglichen Akzeptanz des tolerierten Sachverhaltes in der Zukunft. Beim aktiven Tolerieren wird eine abschließende Bewertung des tolerierten „Einflusses“ nicht nur durch entsprechende Reaktionen nicht zum Ausdruck gebracht, sondern eine Beurteilung unterbleibt auch bewusst im Geiste.
Intoleranz
Intoleranz (Unduldsamkeit) bedeutet, dass Akzeptanz abschließend versagt wird, obwohl
* außer einer irrationalen Gefühlsregung nichts für eine solche Bewertung spricht
* das eigene Wissen für eine abschließende Bewertung nicht ausreicht
* die zuvor angestrengte gedankliche Auseinandersetzung der abschließenden Beurteilung nicht gerecht wird, oder
* keine Not bestand, eine solche abschließende Bewertung zu treffen, da Beeinträchtigungen für einen selbst und andere, die von dem entsprechenden Sachverhalt ausgehen, offensichtlich vernachlässigbar sind
entnommen aus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Toleranz