Toleranz, Rechte und Freiheiten
Puh, sorry, wenn ich jetzt etwas akademisch werde. Aber ich glaube wirklich, dass man einiges klar auseinanderhalten muss, wenn man über "Raucher" und "Toleranz" befindet.
Fangen wir mit dem alten Scherz an: Raucher seien viel toleranter, weil sie ja andere nicht zum Rauchen zwingen, während militante Nichtraucher aber intolerant seien, weil sie Raucher zum Nichtrauchen zwingen.
Das klingt ja so, als ob Rauchen und Nichtrauchen in puncto Tolerierbarkeit gleichwertig seien.
Ist das so? Nun: Nehmen wir das Beispiel der vier Menschen auf dem Weg zur S-Bahn. Drei gehen einfach ihres Weges. Ein Mensch raucht. Natürlich wird man in Klein-klein-Analysen feststellen, dass alle vier einander irgendwie "belästigen": Sie sind einander im Weg, sie hören einander, sie riechen einander, sie sehen einander, obwohl sie das möglicherweise nicht wünschen oder nicht "schön" finden (es gibt ja häßliche Menschen) etc. Das ist trivial und unvermeidlich, wenn man gemeinsam am selben Ort zur selben Zeit ist. OK.
Und der rauchende Mensch? Er mutet den anderen etwas zu, was über das triviale Maß hinausgeht. Nämlich den Qualm seiner Zigarette. Abgase. Gesundheitsgefährend, geruchsbelästigend. Vor allem aber: Vermeidbar. Also ncht so was wie etwa Körpergeruch - es gibt ja Menschen, die schlichtweg "stinken". Die mehr Schweißgeruch produzieren als andere. Da können sie nichts für. Das können sie nicht willentlich abstellen. Das ist Schicksal. Das muss man "tolerieren".
Und der Qualm? Der ist von ganz anderer Qualität. Der ist willentlich erzeugt. Und kann willentlich vermieden werden. OK.
Warum aber sollte der Qualm willentlich vermieden werden? Ganz einfach: weil er andere belästigt und gefährdet.
Aber: Hat der Raucher nicht ein Recht darauf, zu rauchen? Ein Freiheitsrecht eben? So wie der Trinker ein Recht hat, zu trinken, selbst wenn er sich schädigt?
Nun, der Trinker mag sich selbst schädigen dürfen - hier wäre noch die Frage erlaubt, ob die Allgemeinheit dafür zahlen muss, etwa über die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten; aber das wäre ein Exkurs. Wichtig ist: Der Trinker schädigt SICH, nicht andere. Er zwingt niemanden, mit zu trinken.
Der Raucher aber zwingt andere mitzurauchen: nämlich alle, die in seinem Dunstkreis sind. Das ist ein Unterschied.
Abzuwägen sind also: die individuelle Freiheit des Rauchers, seinem Gelüste nachzugehen, und das Recht anderer Menschen, nicht durch den Rauch belästigt und in ihrer Gesundheit gefährdet zu werden.
Die Güterabwägung fällt eindeutig aus: Die Freiheit zu rauchen wiegt weniger schwer als das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Es sind also zwei inkompatible Güter im Widerstreit: einerseits die Freiheit zu einem individuellen Genuß (sofern es einer ist; das sei dahingestellt) vs. Recht auf Gesundheit, welches zu den elementaren Menschenrechten zählt.
Was heißt das für die Toleranz?
Toleranz bedeutet, dass Menschen einander gleichwertige Rechte zugestehen. Etwa: Der Katholik gesteht dem Protestanten zu, eben protestantisch zu sein. Und umgekehrt. Da gibt es viele solcher Fälle: Der Christ und der Moslem, der Konservative und der Sozialist etc.
Raucher und "Nichtraucher"?
Hmm. Das ist eben nicht gleichwertig. Der Nichtraucher hat ein Menschenrecht auf Unversehrtheit, auf frische Luft. Niemand kann das Atmen einfach einstellen, weil ihm die Luft nicht paßt.
Der Raucher aber hat kein Menschenrecht auf Suchtbefriedigung.
So einfach ist das. Hier liegt ein Widerstreit vor zwischen einem elementaren Menschenrecht und einer Genußfreiheit. Die Abwägung ist eindeutig: Das Menschenrecht "gewinnt".
Extremes Beispiel: Wenn man einen Sadisten trifft, dem es großes Vergnügen bereitet andere Menschen zu ohrfeigen, so wäre es ja nicht "tolerant", ihn das am eigenen Leibe tun zu lassen, sondern einfach nur dämlich oder feige. Wer sich aber gegen das Ohrfeigen wehrt, würde wohl auf der ganzen Welt Recht bekommen - eben weil sein Recht auf Unversehrtheit höher bewertet wird als die Freiheit des anderen, seiner Neigung nachzugehen.
Fazit: "Toleranz" zwischen Rauchern und anderen Menschen liegt dann vor, wenn die Raucher das Menschenrecht zu atmen akzeptieren, tolerieren - und NICHT verletzen, also: NICHT rauchen.
Sorry, so einfach ist das.
Wenn nicht rauchende Menschen hinnehmen, dass in ihrer Gegenwart geraucht wird, so hat das mit allerlei zu tun - in Frage kommen: Feigheit, Masochismus, Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Menschenrecht, Unkenntnis... - , aber es hat nichts zu tun mit Toleranz.
Diese Unterscheidung halte ich für sehr wichtig, weil ich Toleranz für sehr wichtig halte und nicht will, dass dieser Begriff verwässert wird.