Weibliche Genitalverstümmelung (Teil 1)
Täglich werden 8.000 Mädchen ihrer Genitalien und Würde beraubt. Alle elf Sekunden eins. Weltweit sind davon 150 Millionen Frauen betroffen.Ruth, 7 Jahre, Christin. Sie sitzt auf dem Schoß einer Tante. Die grätscht ihre Beine, hält sie wie im Schraubstock. Eine andere hält die Arme. Ruth schreit. Keine Chance. Die Rasierklinge nimmt ihr die Klitoris. Ohne Betäubung. Kurzer Prozess. Blut. Zitronensaft zur Desinfektion. Ein Lappen zur Blutstillung. Anschließend eine Feier.
Der Raub der Klitoris ist die mildeste Form der Verstümmelung.
Fatima muss die härteste Form ertragen. Sie ist 8 Jahre alt, Muslimin, lebt in der Danakilwüste, Äthiopien. Sie wird pharaonisch verstümmelt. Wie ihre Spielkameradinnen. Laila zum Beispiel, die seitdem nie wieder gesprochen hat. Stumm seit elf Wochen. Ein Drittel der Mädchen wird nie wieder sprechen. Tod durch Verbluten, schätzt die UNO.
Vier Erwachsene haben Mühe, die um ihr Leben strampelnde Fatima zu halten. Die Rasierklinge raubt die Klitoris, die Schamlippen, alles, unbarmherzig. Auch die Seele. Das Vertrauen in das Leben. Auch das Vertrauen zu den Erwachsenen, deren Hände die Schreie ersticken. Fatima ist ohnmächtig. Die Scheide wird verschlossen. Mit Akaziendornen. Wie ein Reißverschluss. Gnadenlos. Die Schenkel werden umwickelt.
Nach vier Wochen sind die Wundränder zusammengewachsen. Was Fatima bleibt, ist eine Öffnung, klein wie ein Reiskorn. Ab jetzt dauert das Urinieren eine halbe Stunde. Die Regelblutung zwei Wochen. Wenn sie Kinder haben will, wird sie aufgeschnitten. Bei der Geburt noch einmal das Messer. Dann die erneute Verschließung.
Folter lebenslänglich.
Aussagen verstümmelter Frauen
„Alle Menschen freuen sich auf die Heirat und die Hochzeitsnacht. Nur nicht die Afar. Für sie ist es der Beginn der Hölle.“
„Meine Öffnung war so klein wie ein Reiskorn. Wenn ich urinieren musste, dauerte das 30 Minuten, meine Regel 14 Tage.“
„Ich konnte mein Kind nicht gebären. Sie schnitten mich quer auf. Ohne Betäubung, mit dem Schwert. Wie immer. Damit ich nicht verblutete, haben sie mein Kind stückchenweise herausschneiden müssen.“
„Als ich meine Regel bekam, floss das Blut nicht ab. Ich wälzte mich wie ein geschlachtetes Schaf auf dem Boden, um den Blutstau zu lösen. Als das nicht half, musste ich mir mein Blut mit einem Stöckchen herauskratzen. Zwei Wochen lang.“
Weltweit sind etwa 150 Millionen Mädchen und Frauen von Genitalverstümmelung betroffen. Jährlich kommen geschätzte drei Millionen hinzu. Das sind täglich 8000 neue Opfer. (UNICEF 2005)
Als Weibliche Genitalverstümmelung werden laut Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation) sämtliche Eingriffe bezeichnet, bei denen ein Teil der äußeren weiblichen Geschlechtsteile entfernt wird - oder sogar sämtliche äußeren Geschlechtsteile. Dabei ist es unerheblich, ob dies aus kulturellen (traditionellen), religiösen oder anderen Gründen geschieht.
Die international übliche Bezeichnung für diese Praxis, die - je nach regionaler Sitte - an Säuglingen, Mädchen jeden Alters und (seltener) an bereits erwachsenen Frauen praktiziert wird, ist Female Genital Mutilation, kurz "FGM".
Die WHO unterscheidet vier Arten der Weiblichen Genitalverstümmelung:
Typ I:
Entfernen der Klitorisvorhaut, wobei auch ein Teil der Klitoris oder die gesamte Klitoris mit entfernt werden können.
Typ II:
Entfernen der Klitoris, wobei auch ein Teil der kleinen (inneren) Schamlippen oder sogar die gesamten kleinen Schamlippen entfernt werden können.
Typ III:
Entfernen eines Teils bzw. sämtlicher äußerer Genitalien sowie das Vernähen oder ein anderweitiges Verschließen der Scheidenöffnung - die so genannte Infibulation.
Typ IV:
Hierunter sind all die Manipulationen aufgeführt, die nicht unter die Typen I bis III fallen - auch solche, die hier nicht aufgeführt sind. Hierzu zählen unter anderem: Das Einritzen, Durchbohren oder Dehnen der Klitoris und/oder der Schamlippen; Ausbrennen der Klitoris und des umliegenden Gewebes; das Abschaben von Gewebe um die Scheidenöffnung herum oder Einschnitte in die Vagina (Scheide); das Einbringen von ätzenden Substanzen oder Kräutern in die Scheide, entweder um Blutungen herbeizuführen oder um die Scheide zu verengen.
Folgen Weiblicher Genitalverstümmelung
sind u.a. abhängig vom Verstümmelungsgrad, den angewandten Methoden und den hygienischen Verhältnissen. Es sind nicht nur physische, sondern auch schwerste seelische Schäden von lebenslanger Dauer.
Die Leiden reichen von unvorstellbarem Schmerz beim Eingriff und Schock bis hin zum Verbluten. Spätere Folgen sind Schmerzen, massive Probleme beim Harnlassen, beim Geschlechtsverkehr, während der Periode, bei Geburten und mehr.
Beschlüsse der Konferenz in Kairo – Im Werte einer Fatwa
Im Namen Gottes des Barmherzigen, des Allerbarmers Die Internationale Konferenz der Gelehrten bezüglich des Verbots von Missbrauch des weiblichen Körpers wurde am 1. und 2. der Dhul-Qi'da 1427 nach der Hijdra, entsprechend dem 22. und 23. 11.2006, in den Konferenzräumlichkeiten der Al-Azhar Universität abgehalten. Eine Anzahl von Forschungsarbeiten wurde vorgetragen. Nachdem Wissenschaftler und islamische Gelehrte sowie Fachleute und Aktivisten von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Ägypten, Europa und Afrika angehört wurden, werden folgende Empfehlungen bekannt gegeben:
1. Gott hat den Menschen mit Würde ausgestattet. Im Koran sagt Gott: „Wir haben die Kinder Adams gewürdigt“. Daher wird von Gott jeglicher Schaden verboten, der Menschen zugefügt wird, unabhängig von gesellschaftlichem Status und Geschlecht.
2. Weibliche Genitalbeschneidung ist eine ererbte Unsitte, die in einigen Gesellschafen praktiziert wird und von einigen Muslimen in mehreren Ländern in Nachahmung übernommen wurde. Dies ohne textliche Grundlage im Koran, respektive einer authentischen Überlieferung des Propheten.
3. Die heutzutage praktizierte weibliche Genitalbeschneidung fügt der Frau physische und psychische Schäden zu. Daher müssen diese Praktiken unterbunden werden, in Anlehnung an einen der höchsten Werte des Islams, nämlich dem Menschen keinen Schaden zuzufügen – gemäß dem Ausspruch des Propheten Mohammad, Friede und Segen Gottes sei mit ihm: „Keinen Schaden nehmen und keinem anderen Schaden zufügen“. Vielmehr wird dies als strafbare Aggression erachtet.
4. Die Konferenz appelliert an die Muslime, diese Unsitte gemäß den Lehren des Islams zu unterbinden, da jene verbieten, dem Menschen in irgendeiner Form Schaden zuzufügen.
5. Ebenso fordern die Teilnehmer der Konferenz die internationalen und regionalen Institutionen und Einrichtungen auf, ihre Anstrengungen auf die Aufklärung und Unterrichtung der Bevölkerung zu konzentrieren. Dies betrifft insbesondere die hygienischen und medizinischen Grundregeln, die gegenüber der Frau eingehalten werden müssen, sodass diese Unsitte nicht weiter praktiziert wird.
6. Die Konferenz erinnert die Bildungseinrichtungen und die Medien daran, dass sie die unbedingte Pflicht haben, über die Schäden dieser Unsitte aufzuklären und deren verheerende Konsequenzen für die Gesellschaft aufzuzeigen, um zur Eliminierung dieser Unsitte beizutragen.
7. Die Konferenz fordert die Legislativorgane auf, ein Gesetz zu verabschieden, welches den Praktizierenden diese schädigende Unsitte der weiblichen Genitalbeschneidung untersagt und sie als Verbrechen deklariert, unabhängig davon, ob es sich bei den Praktizierenden um Täter oder Initiator handelt.
8. Des Weiteren fordert die Konferenz die internationalen Institutionen und Organisationen auf, in allen Regionen Hilfe zu leisten, in denen diese Unsitte praktiziert wird, um somit zu ihrer Beseitigung beizutragen.
Das arabische Original kann man hier nachlesen -> http://www.target-human-rights.com/HP-08_fatwa/ind- ex.php?p=arabisch
Die folgende Statistik zeigt den Prozentanteil der beschnittenen Frauen zwischen 15 und 49 Jahren in Ländern Afrikas.
Dschibuti 98%
Ägypten 96%
Sudan 90%
Burkina Faso 77%
Mauretanien 71%
Elfenbeinküste 45%
Kenia 32%
Senegal 28%
Jemen 23%
Nigeria 19%
Benin 17%
Tansania 15%
Niger 5%
Kamerun 1%