Gehört der Islam zu Deutschland ?
Von Yavuz Özoguz am 07. März 2011 (Quelle: Muslim-Markt)Zunächst einmal entschuldigen wir uns im Namen aller deutschen und deutschsprachigen Muslime, dass wir uns in eine Debatte einmischen wollen, in der einmal mehr über uns diskutiert wird, ohne dass jemand auf die Idee käme, mit uns zu diskutieren. Wir haben zwar kein Mandat von deutschen oder deutschsprachigen Muslimen für diese Bitte um Entschuldigung, aber, da ohnehin von jedem Muslim im Land eine permanente Entschuldigungshaltung allein schon dafür abverlangt wird, dass wir Muslime sind, kann es ja nicht schaden, wenn wir uns im Voraus dafür entschuldigen, dass wir mitdiskutieren wollen, wenn es um uns geht, selbst wenn unsere Beteiligung – wenn überhaupt – nur auf einer Anklagebank vorgesehen ist.
Gehört also “der Islam“ zu Deutschland, ja oder nein? Konkret wurde die neue Hassdebatte durch eine Aussage des neuen Bundesinnenministers entbrannt, in der es heißt: „Aber dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt.“ Die Aussage hatte einen sehr wichtigen Effekt. Alle politisch interessierten Muslime im Land haben auf einen Schlag den Namen des neuen Innenministers, den sie vorher nie gehört haben, gelernt.
In der Aussage gibt es gleich mehrere nicht klar definierte Begriffe. Was bedeutet es z.B. wenn man historisch belegen kann, dass etwas zu Deutschland gehört? So ließe sich wohl nachweisen, dass die Menschenopfer für Thor und Odin oder zumindest die dazugehörende Sagenliteratur historisch zu Deutschland gehört. Genau so historisch belegbar ist wohl, dass Rassismus, gescheiterte Versuche des Kolonialismus, Antisemitismus, Konzentrationslager, Hexenverbrennung, Kreuzzüge, Zwangschristianisierung, Zwangsdemokratisierung, Raubtierkapitalismus und vieles andere mehr historisch zu Deutschland gehören. Wie das jeweils zu werten ist, überlassen wir demjenigen, der darauf besteht, Deutschland durch das zu definieren, was “historisch“ dazu gehört.
Gehört aber “der Islam“ dazu? In Hannover gibt es z.B. zwei osmanische Gräber aus dem 17. Jh. n.Chr. Die Soldaten und Reiter der Osmanen namens Hammet und Hassan nahmen 1683 n.Chr. an der zweiten Belagerung Wiens teil. Sie waren in den ersten und einzigen Krieg zwischen Osmanen und deutschen Soldaten verwickelt. Kronprinz Ludwig, der Sohn von Fürst Ernst August von Hannover, gehört zu denen, die Österreich zur Hilfe eilten. Er kam mit einer 4000 Mann starken militärischen Einheit deutscher Soldaten. Die zwei osmanischen Reiter wurden als Kriegsgefangene nach Hannover gebracht. Als Diener der Kurfürstin Sophie starben sie 1691 n.Chr. und wurden nach islamischer Tradition beigesetzt. An die Männer erinnern nur noch ihre Gräber auf dem Neustädter Friedhof an der heutigen Otto-Brenner-Straße, Ecke Brühlstraße. Die Grabstätten sind heute restauriert und stehen unter Denkmalsschutz. Aber ist das ein Zeichen für “Islam in Deutschland“?
Wie aber ist es mit den “Beutetürken“? Ludwig Maximilian Mehmet von Königstreu gilt als einer der bekanntesten Beutetürken und als Einziger, der es zu Adelstiteln gebracht hat. Mehmet wurde um ca. 1660 n.Chr als Sohn des Gouverneurs der Osmanen von Koroni (Peloponnes) geboren. Er diente in der Armee der Osmanen als Offizier und geriet 1685 bei der Einnahme der dortigen Festung im Rahmen der Türkenkriege als Beutetürke in Gefangenschaft. Er wurde an den Hof des Kurfürsten von Hannover verschleppt und arbeitete dort als Kammerdiener nachdem er zwangsweise getauft wurde. Am 13. April 1706 heiratete er in der Schlosskirche die bürgerliche Maria Hedewig Wedekind (1691-1729).
Seine treuen Dienste als gebildeter Sohn eines Gouverneurs für Georg I. beeindruckten den König so sehr, dass er 1716 den Kaiser darum ersuchte, seinen Kammerdiener in den Reichsadelsstand zu erheben als "von Königstreu". 1723 erhielt er das Haus Schmiedestraße 30, die alte Stadtvogtei, als Geschenk. Ludwig Maximilian Mehmet von Königstreu starb am 1. November 1726 in London. Seine Nachfahren sind teilweise sehr bekannt. Der älteste Sohn Johann Ludwig Mehmet von Königstreu (geb. 1709) starb 1775; seine Grabplatte befindet sich an der Nordwand des Turms von St. Petri in Hannover-Döhren. Georg Ludwig Mehmet von Königstreu (geb. 1720) gründete am 21. Januar 1746 die Freimaurerloge Friedrich. Das Adelsgeschlecht Mehmet von Königstreu geht somit auf Ludwig Maximilian Mehmet von Königstreu zurück. Na gut, es gibt also ein Adelsgeschlecht in Deutschland, dass im Namen den Namen des Propheten Muhammad (Mehmet) trägt, aber kann man daher darauf schließen, dass “der Islam“ historisch irgendwie zu Deutschland gehört? Außerdem welche Rolle sollten Einzelpersonen in der Geschichte spielen?
So eine Einzelperson war der Stauferkaiser Friedrich II.. Er hatte den in seinem Herrschaftsbereich lebenden Muslimen eine freie Religionsausübung garantiert. Der Kaiser selbst soll fließend Arabisch gesprochen haben. Als er die Kaiserwürde erlangt hatte, schuf er aus den muslimischen Soldaten Innersiziliens seine muslimische Leibgarde, die ihn Zeit seines Lebens schützen sollte. Diese Muslime siedelte er mit ihren Familien – ca. 25.000 Personen - ins apulische Lucera um. Nun ja, das sind nicht mehr nur Einzelpersonen, aber die Leibgarde eines deutschen Kaisers ist ja nicht unbedingt ein Beleg für historische Dazugehörigkeit. Friedrich II. gab aber den besten dieser Muslime auch verantwortungsvolle Positionen in den innersten Kreis des Hofes. Na und, deswegen zählt “der Islam“ noch lange nicht historisch zu Deutschland. So lange es keine “offiziellen“ Dokumente für Islam in Deutschland gibt, gehört der Islam historisch nicht zu Deutschland, Basta!
1912 wurde in Österreich ein Gesetz erlassen, nachzulesen im Reichsgesetzblatt - Gesetz vom 15. Juli 1912 betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft. Aber was hat Österreich mit deutscher Geschichte zu tun? Das sollte man sich insbesondere einer kleinen Person aus Österreich fragen, die Deutschland ruiniert hat. In der Herrschaftszeit jenes Wahnsinnigen wurden übrigens Muslime im Land verfolgt. Die Nazis hielten die Deutsche Muslimische Gesellschaft e.V. für einen "Zufluchtsort für Kurfürstendammjuden". In einem Schreiben der Reichsleitung vom 13.4.1937 an den Polizeipräsidenten in Berlin heißt es unter anderem: „In der oben bezeichneten Angelegenheit teilen wir Ihnen mit, dass sich die Gesellschaft aus Angehörigen der verschiedensten Rassen und Völker zusammensetzt. Die Zusammenkünfte finden meist in zwangsloser Form statt. Besucher sollen vor allem Professoren, ehemalige Offiziere usw. sein. Bei diesen Zusammenkünften sollen, sofern die Teilnehmer glauben unter sich zu sein, abfällige Bemerkungen über den Nationalsozialismus und seine Führer gemacht werden. Es handelt sich bei der obigen Gesellschaft mehr oder weniger um einen Unterschlupf für reaktionäre Elemente...“ Es mutet schon merkwürdig an, wenn ein deutscher Innenminister zweifelsohne die erfolgten Schandtaten der Zweiten Weltkrieges zur deutschen Geschichte zählen wird, nicht aber die ehrenvollen Handlungen, die auch im Zusammenhang mit Islam in Deutschland erfolgten, denn Islam darf “historisch“ nicht zu Deutschland gehören!
Könnte man nicht zumindest die deutschen Soldaten, die für die Nazis gekämpft und an der Front gefallen sind, zur Geschichte Deutschlands zählen, selbst wenn sie den Islam angenommen hatten, wie z.B. den Obergefreiten: Herbert Muhammad Richter, Feldpostnummer 30735 E (gefallen im Osten im Winter 1942/43) und den Obergefreiten Achmed Said Nowak, Feldpostnummer 04008 (gefallen im Osten im Frühjahr 1943). Sie erfüllen doch alle Voraussetzungen, um zur deutschen Geschichte zu gehören, inklusive die Farbe des Blutes. Warum werden sie ausgeschlossen, nur weil sie Muslime geworden sind?
Obige Beispiele sind nur ein winziger Ausschnitt aus einer Geschichte des Islam in Deutschland, der Bücher füllt. Es kann natürlich nicht von einem deutschen Innenminister verlangt werden, dass er sämtliche Geschichtsbücher studiert, bevor er seine allererste Äußerung im Amt tätigt und damit gleich fünf Millionen eigene Staatsbürgern (oder noch mehr) klar macht, dass sie “historisch“ nicht dazu gehören!
Was ist das für ein Wahnsinn, der einen Innenminister dazu treibt, gleich bei seiner ersten Äußerung im Amt so viele eigene Staatsbürger auszugrenzen? Was ist das für eine Politik, die im 21. Jh. die eigene Bevölkerung so zu spalten sucht? Was ist das für eine verantwortungslose Herangehensweise, die auf so viele eigene Staatsbürger demotivierend wirkt, jegliches Engagement für die eigene Heimat Deutschland zu zeigen? Was ist das für ein Amtseid, bei dem gleich zu Anfang des Amtsantritts Schaden über die eigene Bevölkerung verbreitet wird?
Doch bei allen jenen Fragen zu der Äußerung des Innenministers sollte man auch die inhaltliche Frage zum Islam nicht übersehen. “DER Islam“ – nicht das, was viele Muslime leben, sondern das, was DEN Islam ausmacht – ist auch Gerechtigkeit mit Vernunft. Zu beurteilen, in wie weit sich Gerechtigkeit und Vernunft in der Historie Deutschlands belegen lassen, überlassen wir dem deutschen Innenminister. In der Gegenwart jedenfalls gibt es ernsthafte Zweifel daran, ob Gerechtigkeit und Vernunft Aspekte der deutschen Politik sind. Insofern kann DER Islam kein aktueller Aspekt Deutschlands sein.
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