Weihnachtszeit - Geschichtenzeit
Jetzt, wo sich die geschäftige Vorweihnachtszeit dem Ende neigt, möchte ich eine meiner Geschichten mit Euch teilen. Ich habe sie vor Jahren schon einmal in ein oder zwei anderen Gruppen veröffentlicht, doch Märchen erzählt man sich doch immer wieder gern. Dies hier ist meine persönliche Version der 'Sterntaler'.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Euch
Eure Myka Night
Die Legende der Sterntaler
Es trug sich zu, zu einer Zeit, als die Götter den Menschen noch gesonnen waren, und sie bisweilen auch unter ihnen wandelten, um sich etwas Kurzweil zu gönnen, dass zu dieser Zeit ein Krieger in Ruhe und Frieden lebte, dass es nicht besser hätte sein können. Der Krieger war von stattlicher Gestalt und schon oft ruhmreich aus vielen Schlachten hervorgegangen. Reiche Entlohnung bei der Kriegsbeute bescherten ihm ein gutes Leben mit Haus und Hof, und den Seinen mangelte es an nichts.
Er hatte vor kurzem Hof gehalten um das fleißigste und klügste Mädchen in seinem Dorfe, und alsbald ward sie ihm dann zur Frau gegeben worden. Sie war nicht nur klug und fleißig, außerdem war sie herzensgut und so schön, dass ein jeder Mann den Krieger augenblicklich beneidete, der die junge Kriegersfrau zu Gesicht bekam. Und nicht nur jeder Mann erlag dem Neid, nein, sogar Loki, der Feuergott, war geradezu verzaubert von dem schönen Mädchen, und wollte sie unbedingt besitzen.
Loki bemühte sich beharrlich, die schöne Kriegersfrau zu verführen, doch ihr Herz war redlich, und ihre Liebe zu ihrem Gatten rein und ehrlich. Unzählige Male wies sie den Feuergott ab, denn sie wollte sich nur demjenigen hingeben, dem ihr Herz gehörte. Doch Loki war listenreich, und sein Begehr nach ihr wuchs mit jeder ihrer Abweisungen weiter an.
Und so schlich er sich eines Tages in Gestalt ihres Gatten in ihr Schlafgemach, als dieser spätabends auf dem Felde noch die Ernte einholte. Er legte sich zu ihr, und begann die schon Schlafende zu streicheln, um seinen Zauber über ihr auszubreiten. Doch das Mädchen erwachte und erkannte sogleich, dass es nicht ihr Geliebter war, der sich auf ihr Lager geschlichen hatte. In weiser Voraussicht hatte sie beizeiten ein altes Hexenweib um Rat gebeten, und so gelang es ihr, Loki mit alten, mächtigen Verwünschungen aus ihrem Bett zu vertreiben, und sie schalt ihn ganz arg.
Loki seinerseits war grimmig und enttäuscht, denn er war ein Gott von außergewöhnlich schöner Gestalt und auch sehr eitel, und bisher hatte ihn noch nie eine Sterbliche abgewiesen. Loki verlangte von der jungen Kriegersfrau eine Erklärung, wieso sein Zauber nicht bei ihr wirkte, und sie, eine Sterbliche, einen Unsterblichen wie ihn, verschmähte. Sie entgegnete ihm, dass ihr Herz rein sei, und ihre Liebe zu ihrem geliebten Gatten lauter und ehrlich. Deswegen würde ihr Herz auch immer den Rechten erkennen, und solange dieser lebte, würde sie keinem anderen ihre Liebe schenken.
Und so ersann Loki in seinem Zorn eine gar fürchterliche List, um die Gunst der Schönen für sich zu gewinnen. Er säte Zwietracht zwischen den Völkern, auf dass der König den Krieger auf ein Schlachtfeld rufen ließ, auf dem ihn schließlich die Walküren fanden. Als die junge Frau die Nachricht vom Einzug ihres Mannes in Walhalla vernahm, grämte sie sich sehr. Viele Tage und Nächte schloss sie sich in ihre Kammer ein, und beweinte seinen Tod bitterlich .
Dann, nach vielen Tagen der Trauer, fasste die junge Witwe einen Entschluss. Sie packte einen kleinen Laib Brot ein, warf sich einen Mantel um, und begab sich auf den Weg. Wenn ihr Geliebter nun nicht mehr zu ihr nach Midgard gelangen konnte, dann wollte sie nach Asgard gehen, um dort mit ihrem Liebsten wieder vereint zu sein. Sie musste nur die gläserne Weltenbrücke Bifröst finden, welche die Welt der Lebenden mit dem Götterhort Asgard verband, und die in der Menschenwelt nur dann erschien, wenn die Sonne den Regen vertrieb.
Und so irrte das arme Mädchen lange Zeit ziellos umher, wanderte hierhin und dorthin, und fragte jeden, dem sie begegnete, nach der gläsernen Brücke, doch kein einziger konnte ihr Antwort geben, geschweige denn ihr den Weg weisen, denn nur selten verlangt ein Lebender Wegweisung dorthin.
Und wie sie denn so wanderte, erschien ihr mit einem Male Loki. Er bot dem Mädchen an, ihr den zur Brücke zu weisen, damit sie sie erklimmen könnte. Bei der Überquerung könne er ihr jedoch nicht behilflich sein, diese sei eine Prüfung der Götter an die Sterblichen. Den einzigen Dienst, welchen sie ihm dafür erweisen müsse, wäre, dass sie sich ihm nur ein einziges Mal hingeben sollte, um sein Verlangen nach ihrer Schönheit zu stillen. Das arme Mädchen erbat sich Bedenkzeit. Wenn Loki ihr am morgigen Tage wieder erschiene, würde sie ihm eine Antwort geben.
Und so erschien Loki der jungen Witwe am nächsten Tag um die gleiche Zeit, und verlangte eine Antwort. Das Mädchen meinte, sie könne für seine Wegweisung zur Bifröst wohl seinen Wunsch erfüllen, denn um endlich wieder mit ihrem Geliebten vereint zu sein, wolle sie alles Notwendige tun. Und so hob sie ihren Rock und bot sich dem Feuergott an. Und Loki’s Gier nach der schönen Witwe ward so übermächtig, dass er sogleich seine Männlichkeit in sie stieß.
Die Kriegerswitwe war jedoch nicht nur schön, sondern auch besonders klug. Und so hatte sie ihre Bedenkzeit genutzt, eine List zu ersinnen, mit der sie Loki zufriedenstellen konnte, ohne dass er Besitz von ihr ergriff. Und so nahm sie das Brot und höhlte es aus, und band es sich fest zwischen ihre Schenkel. Wie sie es erdacht hatte, bemerkte der Feuergott in seiner maßlosen Gier nicht, dass er die schöne Witwe gar nicht eroberte, sondern seine Männlichkeit in einen Laib Brot versenkte. Einzig ihre Trockenheit fiel ihm auf, doch sie stellte ihn damit zufrieden, dass sie immer noch in Trauer wäre, und sie keine Freude verspüren könne, bis sie endlich ihren Geliebten wieder in die Arme nehmen könnte.
Lag es an Loki’s Kräften, oder wollte es ein grausames Schicksal, dass sich eines der Bänder löste? Denn als Loki ein wenig später zufrieden und erschöpft im Moos lag, und das Mädchen sich wieder ihre Röcke richtete und sich gerade zaghaft anschicken wollte, ihn nach dem Weg zur Weltenbrücke zu fragen, da fiel plötzlich das Brot zu Boden und verriet ihre List.
Als Loki begriff, dass er hintergangen worden war, loderte sein Zorn wie heißes Feuer. Noch nie hatte es einer der Sterblichen gewagt, ihn, Loki den Listenreichen, zu hintergehen. Und nun machte ihn ausgerechnet ein Weib zum Gespött der Götterwelt! Voller Wut jagte er sie fort, und verwünschte sie, auf dass sie niemals die gläserne Brücke finden möge, es sei denn, dass einen fernen Tages die Sterne vom Himmel fallen mögen.
Das Mädchen floh in die Wälder, die sich zu dieser Zeit noch unendlich weit und dunkel über ganz Midgard erstreckten. Dort irrte sie weinend umher, ohne Hoffnung, jemals ihren Geliebten wiederzusehen und Frieden zu finden. Sie betete zu Freya, der Göttin der Liebe, um Hilfe und um Beistand.
Dort oben in Folkwang hörte Freya ihr Weinen und Flehen, erblickte das arme Mädchen und erkannte ihre Not. Gleichzeitig war sie zornig auf den untreuen Loki, welcher mitunter gerne ein wahrhaft böses Spiel mit den Menschen trieb. Und der Kummer der jungen Witwe rührte ihr Herz. So machte sie sich auf den Weg zu Frigg, der Göttermutter, und gemeinsam ersannen sie einen Plan.
Frigg rief Sigyn zu sich, welche mit Loki vermählt war. Frigg zeigte Sigyn in den Wolken der Wahrheit, welche sie webte, die Untreue ihres Gatten und die Traurigkeit der jungen Witwe, welche noch immer ziellos auf der Erde umherwanderte, und die Brücke zwischen den Welten suchte. Sigyn war die Göttin der Treue, und als solche hielt sie stets fest zu ihrem Gatten, selbst als er damals, vor langer Zeit, den Zorn der anderen Götter auf sich gezogen hatte.
Damals bestraften sie seine Missetaten schwer, indem sie ihn in schweren Eisen an Felsen banden, und die Jagdgöttin Skadi setzte eine Giftschlange auf einen Zweig oberhalb von Loki’s Kopf, damit ihr Gift auf sein Gesicht tropfen sollte, um ihm unsagbare Schmerzen zu bereiten. Tag und Nacht hielt Sigyn, die Treuherzige, damals eine Bronzeschale über ihn, um das Gift aufzufangen, bis die Schlange endlich starb.
Doch dieses Mal wurde Sigyn das Herz schwer, ob des erneuten Verrats ihres Gatten. Dieses Mal war er zu weit gegangen, denn auf fürchterlichste Weise hatte Loki zwei Liebende auseinander gerissen und übermächtigen Kummer über sie gebracht. Zudem quälte er das arme Mädchen, indem er es immer weiter auf der Erde umherirren ließ, nur um seine eigenen Gelüste zu stillen. Dies konnte selbst eine treue Seele wie Sigyn nicht zulassen.
Sigyn nahm die alte bronzene Schale, die sie zur Erinnerung behalten hatte und brachte sie zur Göttermutter Frigg. Die Säure des Schlangengiftes hatte die Innenseite blau gefärbt. Frigg nahm eine Handvoll Sterne und Monde vom Nachthimmel und warf sie in die Schale. Sogleich sie die Schale berührten, wurden sie zu harten Talern und güldenen Sicheln und formten sich zu Sternenbildern, welche der jungen Witwe als Sternenkarte den Weg zur Weltenbrücke weisen sollten. Frigg übertrug Freya die Aufgabe, die Sternenschale der jungen Witwe zu bringen, und diese machte sich sogleich in ihrem von Waldkatzen gezogenen Karren auf den Weg nach Midgard.
Unterdessen wanderte diese immer noch durch die düsteren Wälder. Das Efeu und die anderen Schlingpflanzen waren von der Schönheit des Mädchens so angetan, dass sie sich reckten und streckten, um sie zu erreichen. So gerne wollten sie ihren schönen, wohlgeformten Körper umranken und sie mit ihren Blättern und Blüten schmücken, wie sie es mit Vorliebe bei schön geformten Säulen oder gemeißelten Statuen taten. Der besitzergreifende Efeu wollte das Mädchen am liebsten vollständig mit seinen Blättern vor der Welt verbergen, und sie ganz für sich allein behalten, denn er hatte sich Hals über Kopf verliebt.
Vor allem die empfindsamen Blütenranken spürten die tiefe Traurigkeit der jungen Witwe, und es verlangte sie unbedingt, ihr Halt und Geborgenheit geben zu wollen, sie zu stützen in ihrer dunklen Stunde. Besonders die vorwitzige Glockenrebe und die zarte Wicke streckten ihre Blütenkelche zum Mädchen hin aus, um ihre Tränen aufzufangen, und ihr mit ihrer Farbenpracht ein wenig Trost zu spenden.
Doch die junge Witwe strebte weiter, keine einzige Minute wollte sie vergeuden, bis sie nicht wieder bei ihrem Geliebten sei, denn nur er vermochte ihren Kummer zu vertreiben. Und als die Ranken sie schließlich vollends erreichten, und sie an ihrem Kleide zupften, und sie mit Gewalt festzuhalten drohten, streifte sie dieses kurzerhand ab und überließ es dem liebestollen Efeu.
So wanderte sie in der Nacht, nur bekleidet mit ihrem dünnen Hemdchen. Da wurden die wilden Rosen auf sie aufmerksam, und gerieten über ihre Erscheinung in Verzückung. Noch nie hatten sie so wunderbare Alabasterhaut erblickt. Als die junge Witwe durch sie hindurch wanderte, krallten sich die Rosen in ihrem Hemdchen fest, denn sie wollten das Mädchen bei sich behalten, und ihre zarten Blütenblätter an ihrer vollkommenen Haut streicheln.
Doch sie drängte vorwärts, immer weiter. Die Rosendornen zerstachen ihre Füße, rissen an ihrer Haut. Blutstropfen quollen heraus und rannen ihre Beine und Hände hinab. Irgendwann hatten die wilden Rosen ihr Hemd so sehr im Griff, dass sie kaum mehr weiter kam. Jeder Schritt erforderte eine schier unglaubliche Kraft, und das Mädchen spürte, wie es langsam seinen Mut verlor. Und so kam es, dass sie auch das Hemd abstreifte, und es den wilden Rosen überließ. Und auch seine Schuhe steckten voller Dornen und quälten das Mädchen bei jedem Schritt, so dass es auch sie auszog und an sie Ort und Stelle zurückließ.
Nun war das Mädchen völlig nackt, doch sie dachte bei sich, dass es ja nichts dabei wäre, denn sie wanderte im finsteren Wald, und es würde sie schon niemand sehen. Und sowieso würde sie auf dieser Welt nichts mehr brauchen, denn dort, wohin sie gehen wollte, hatte bisher noch niemand irdene Gegenstände mitnehmen können. Denn wie sagt man so schön? Das letzte Hemd hat keine Taschen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Freya die junge Witwe endlich erreicht.
Und wie sie so wanderte, barfüßig und mit nichts außer der eigenen Seele in der Hand, da fiel ihr auf einmal eine bronzene Schale vor die Füße, gefüllt mit vielen Talern, welche wie in Sternenbildern auf dem dunklen Blau angeordnet waren. Und eine leise Stimme nah bei ihrem Kopf flüsterte ihr, dass sie den Sternen folgen sollte, und alsbald würde sie die Weltenbrücke finden, um endlich zu ihrem Liebsten heimzukehren. Doch als sie sich umblickte und nach der Stimme suchte, da war niemand bei ihr, denn Freya hatte sich im Windhauch versteckt.
Nebelschwaden zogen durch die Nacht, und als sie an sich herunter sah, hatte sie ein neues Leibchen an, welches aus allerfeinstem Linnen war, so fein, wie sie es ihr Lebtag noch nicht gesehen hatte. Mit neuer Zuversicht ging sie weiter, denn nun wusste sie, dass sie ihren Geliebten in Bälde in die Arme schließen konnte. Sie musste sich nur nach den Sterntalern in der Schale richten, dann würde sie endlich an ihr Ziel gelangen.
Göttermutter Frigg lächelte derweil in ihrem Wohnsitz in Fensal, als sie das Mädchen erblickte. Denn sie hatte das feine Hemd eigenhändig aus den Nebelschwaden gewebt, die das Mädchen vor den Blicken der Welt verborgen halten sollten. Es vergnügte Frigg, dem Mädchen eine Freude gemacht zu haben. Und bald schon würde sie es in Asgard als eine der Disen begrüßen können.
Endlich, nach langer Wanderung, erreichte die junge Witwe die Regenbogenbrücke, welche die Welt der Menschen mit Asgard, dem Hort der Götter, verband. Die Sterntaler hatten ihr zuverlässig den Weg dorthin gewiesen. Das Mädchen riss den untersten Saum von ihrem Kleide, und band sich die Schale auf den Rücken, denn sie war ein Geschenk der Götter, und ihnen wollte sie die Sternenschale auch wieder zurückbringen.
Ohne Zögern begann sie nun die riesige Weltenbrücke zu erklimmen, auch wenn sie wusste, dass es niemals mehr ein Zurück geben würde. Doch die Sehnsucht nach ihrem geliebten Mann war so übermächtig, dass sie bereit war, alles hinter sich zu lassen, ohne ein einziges Mal zurück zu blicken. Immer weiter kletterte sie die gläserne Brücke hinauf. Scharfe Kanten und herumliegende Glassplitter schnitten in ihre Hände und stachen in ihre Füße, denn der Weg nach Asgard ist sehr beschwerlich, und soll die Lebenden davon abhalten, Midgard leichtfertig zu verlassen. Doch die junge Witwe ließ sich davon nicht beirren. So weit war sie jetzt schon gekommen, da würde sie nun nicht mehr aufgeben.
Midgard war schon lange unter einer Wolkendecke verschwunden, sie konnte die Sterne sehen, und sie schienen ihr näher als jemals zuvor. Das Sternenbild aus Sygin’s Schale stand nun direkt vor ihren Augen und lockte sie verheißungsvoll. Die Schale immer noch fest auf den Rücken gebunden, kletterte sie weiter. Und immer wieder rutschte sie ab, fiel zurück. Mittlerweile waren ihre Hände und Füße blutig gerissen, doch hatte das Mädchen ihr Ziel fest im Blick. Tränen der Schmerzen rannen ihr mittlerweile über die Wangen, so viele, dass es in Midgard als Regen wahrgenommen wurde.
Es dauerte lange, sehr lange, bis sie das Ende von Bifröst erblicken konnte. Lange Zeit war sie alleine mit den Sternen am unendlichen Nachthimmel. Wie lange, dass konnte sie gar nicht sagen, jegliches Zeitgefühl hatte sie verloren. Doch kein Hunger und Durst quälten sie, und auch Schmerz und Angst fühlte sie nicht mehr. In ihr herrschte nur noch eine selige Ruhe, wie sie wohl nur die Seelen der Toten verspüren können.
Dort oben, an der obersten Stufe der Weltenbrücke stand der Krieger, sitzend auf einem weißen Kriegsross, und wartete auf sein treues Weib, um es heimzuführen als die Seine auch in der Götterwelt, damit sie mit ihm an der Tafel Odin’s und Frigg’s sitzen möge. Schon lange vor ihr erblickte er sie, denn der Blick von Asgard herunter ist deutlicher und klarer, so wie man von einem hohen Berg ins Tal hinab schaut.
Er war stolz auf die Treue und Standhaftigkeit seiner Geliebten, und verzehrte sich vor Liebe nach der Seinen. Wie gerne wäre ihr entgegen geritten, hätte sie auf dem letzten Stück auf seinen Händen getragen. Doch Sterbliche können die Brücke nur ein einziges Mal betreten, und eine Rückkehr ist ausgeschlossen. Und so konnte er ihr bei ihrem beschwerlichen Weg hinauf zu ihm nur zusehen.
Doch irgendwann konnte auch das Mädchen ihren Geliebten erkennen. Sein Anblick gab ihr neue Kraft und sie eilte sich, zu ihm zu gelangen. Kurz vor der letzten Hürde stolperte sie jedoch, und drohte in die Dunkelheit der Nacht zu fallen. Das Band, mit dem sie sich die Sternenschale auf den Rücken gebunden hatte, hatte sich in einem Strahl widerspenstigen Violett’s verfangen, und drohte nun, sie wieder auf die Erde hinabzuwerfen. Diejenigen, welche hoch oben von der Brücke fallen, sind dazu verdammt, als ruheloser Geist auf der Erde herumzuwandern, so lange, bis sich eine sterbliche Seele ihrer erbarmt und sie erlöst.
Dieses Schicksal wollte sie keinesfalls teilen und so nestelte sie eilig mit einer Hand den Knoten auf, während sie sich mit der anderen an einem Strahl Blau festklammerte. Sie löste den Saum, welcher sich wieder in einen Nebelstreif verwandelte, und überwand schließlich die letzte Hürde. Dann endlich konnte sie ihrem geliebten Manne in die Arme sinken, und dieser führte sie heim nach Walhalla, und sie lebten glücklich und zufrieden bis auf den heutigen Tag.
Die Schale jedoch polterte in die Tiefe und landete inmitten der dichten Wälder, unweit von Neveri.* Noch heute erzählt man sich von dem fürchterlichen Getöse, mit dem sie herabstürzte. Die Erde selbst erbebte und riss vielerorts ein, und die Menschen befürchteten, Ragnarök wäre nun gekommen.
Lange Zeit blieb die Schale dort unentdeckt, bis man sie zu einer Zeit wiederfand, in der die Menschen schon lange nicht mehr an Götter und Helden glaubten. Und hätte nicht Yggdrasil, der Weltenbaum, eines seiner Vögelchen ausgesandt, die Wahrheit über Sigyn’s Sternenschale zu erzählen, so hätte Euch der ’nachthimmel‘ (Anm. d. Red.: so hieß Myka Night früher einmal) niemals die Legende der Sterntaler erzählen können.
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* Heute als Nebra bekannt, der Fundort der Himmelsscheibe
(Copyright by Dosu/Myka Night)