Komplexe Probleme - simple Lösungen?
Ich beziehe mich jetzt bewusst nicht auf einen der obigen Kommentare. Es soll sich also niemand angegriffen fühlen, zumal m.E. jede Aussage oben eine Facette des Problems trifft. Kaum ein Thema bringt soviele Vorurteile, Meinungen, Sichtweisen und absolute Wahrheiten hervor wie AD(H)S. Die Einen meinen, dass ein Kind nur richtig erzogen (was auch immer darunter zu verstehen ist) werden muss, die Anderen meinen, dass die Eltern nur ordentlich erzogen werden müssen, wieder andere sagen, dass es eine Störung sei, die so oder so behandelt werden müsse.
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit oder ohne Hyperaktivität, also ein defizitäres Filtern von Reizen und der damit verbundenen Schwierigkeit den Fokus der Aufmerksamkeit auf das zu richten, was wir anderen für wichtig halten. Was wichtig ist, definiert meistens die Gesellschaft, in manchen Situationen objektive Gefahren.
Alles in allem seh ich es heute so, dass die Ursachen unterschiedlich, komplex und letztlich nicht geklärt sind. Sicher ist, dass es das immer gegeben hat (früher Zappelphillip), es früher für die Betroffenen nur meist Rohrstock und Stigmatisierung als"dumm" bedeutete. Sicher ist auch, dass ein komplexes Problem selten auf ethische Weise mit einer simplen Lösung gelöst werden kann. Fünfzeilige Antworten mögen zum Teil Recht haben, der Komplexität des Themas werden sie nur bedingt gerecht. Zudem hat sich in spezialisierten Einrichtungen gezeigt, dass diese Kinder ziemlich problemlos aufwachsen und lernen können, wenn das Umfeld zu ihrem anderen "Normal" passt. Darauf zielt auch Das Handbuch ADS ab: Verstehen, wie das Kind "tickt" und den Alltag und das eigene Erziehungsverhalten darauf hin ausrichten. Das optimal umzusetzen ist oft schwierig für Eltern und oft noch schwieriger für den informiertesten und wohlmeinendsten Lehrer.
Nebenbei ist, so finde ich, wichtig, zu unterstreichen, dass betroffene Kinder oft andere Talente haben, sie sehen oft Dinge oder Zusammenhänge, für die wir gutangepassten Normalos blind sind. Eine Störung oder Krankheit ist es nur in unserer Kultur. Als Yanomami irgendwo am Amazonas mag sich ein ADHS-Betroffener als ausgezeichneter Jäger hervortun.
Ich bin nicht dafür vorschnell Medikamente zu verwenden, aber eine Entscheidung kann man den Eltern nicht proforma abnehmen. Zu unterschiedlich stark ist ADS ausgeprägt, zu unterschiedlich die Teilaspekte und die individuelle Lebenssituation. Wenn aber alles andere ausgeschöpft ist und eine spezialisierte Bildungseinrichtung nicht greifbar, darf man Eltern diesen Weg nicht tabuisieren, sofern die Vorteile die Risiken aufzuwiegen versprechen.
Vergessen wir nicht, bei allen Erfahrungen, die wir selbst mit Kindern gemacht haben - es gibt immer härtere Fälle.
Ich selbst würde es als letztes Mittel sicher versuchen, wenn das Kind in der Schule nicht klarkommt. Ich muss aber auch sagen, dass ich ein Kind erlebt habe, bei dem für mich in der Arbeit kein objektiver Unterschied feststellbar war.
Ich habe auch nur Das Handbuch ADS, sowie ein paar Informationsseiten und Wiki gelesen, darüber hinaus mit einigen diagnostizierten Fällen gearbeitet, wobei darauf hingewiesen sei, dass so eine Diagnose etwa vier längere Termine beinhaltet und von einem Spezialistenteam in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie durchgeführt wird, - alles andere kann nur wenig mehr als ein begründeter Verdacht sein.