Menschenwürde
Hallo miteinander,
ich gehe mal die Posts durch und hoffe es kommt etwas lesbares dabei heraus:
Vorneweg würde ich vorschlagen die Historie des Begriffes zu beachten, da dies in diesem Fall recht erhellend ist. Die Vorstellung einer gleichen basalen Würde speist sich historisch aus zwei Quellen:
1) die biologisch-schöpferische Seite, die Menschen als eine Gattung ausmacht, die sich signifikant von anderen abgrenzt (Tiere, Pflanzen)
2) die Aufgabe von Standes- oder Kastendenken, die tatsächlich unterschiedliche Ehrebegriffe kannte und die eben keine Gleichheit in der Würde vorsah.
@**o
Entweder wir akzeptieren also , dass manche Menschen keine Würde haben oder das selbst die Ameise, die wir am Frühstücksbuffet platt drücken, Würde besitzt.
Da machst du einen Wahl auf, die nicht notwendigerweise so ist. Du kannst der Ameise eine eigene Würde zuerkennen, z.B. eine Ameisenwürde und dennoch eine Menschenwürde aufrechterhalten.
Du kannst auch eine basale Würde für alle Lebewesen nehmen und sie dann für Menschen differenzieren. In diesem Fall hättest du nicht die Binarität Würde-nicht Würde, sondern ein Spektrum. Hans Jonas hat z.B. vorgeschlagen als verbindenden Grundsatz lebender Wesen das "Überlebenwollen" zu sehen. Von der Amöbe bis zum Menschen gibt es in der Regel den Willen weiterzuexistieren. Wenn jedoch dieser Wille existiert, braucht es Gründe diesen Willen zu negieren. Diese Notwendigkeit, dieser Anspruch, den das Überlebenwollen des Anderen an mich stellt, ist dann der Ausgangspunkt für Würde.
Das ist keine Menschenwürde, aber es ist ein erster Hinweis, wie eine solche Menschenwürde aussehen könnte. Sie ist nicht gegen Tiere gerichtet, sondern eher eine spezifischere Form einer grundlegenderen Würde. Auf diesem Weg ergibt sich die spezielle menschliche Würde aus einem speziell menschlichen Bedürfnis.
Du hast jedoch recht, dass die Würdediskussion anthropozentrisch ist und in den meisten Fällen Tiere schlicht vergessen werden. (Kant z.B. hat sie gar nicht im Blick)
Ich weiss leider nicht, wie deine Einstellung zu meinem Argument lautet, aber jemand hat doch nicht ein Recht auf etwas nur weil er potenziell zu einem Wesen werden kann, das dieses Recht auf etwas hat.
Diese Aussage halte ich erst einmal für begründungswürdig und recht schwammig formuliert. Recht auf etwas haben ist eine poliitische Frage, weil Rechte und Pflichten von einer Gemeinschaft festgelegt werden. (Bundeskanzler sein ist daher das falsche Beispiel, weil das Amt keine moralischen Vorrechte gewährt.) Ich denke du meinst einen "moralisch begründbaren Anspruch auf etwas haben". Hier sehe ich jedoch nicht, nach welchem Argument du zwingend eine Gegenwartsmoral befolgen musst, die kein bisschen vorausschauen kann?
Wieso ist ein Potenzial nicht schutzwürdig? Weshalb sind noch nicht einmal gezeugte Menschen moralisch nichts wert, obwohl wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen müssen, dass z.B. in 100 Jahren Menschen leben werden, die ähnliche basale Ansprüche haben werden, wie wir heute?
Es ist gerade ein Kennzeichen von Moral diejenigen in ein allgemeines Prinzip einzuschließen, die nicht im eigenen Nahbereich existieren und die ich daher nicht individuell oder als mir präsente Gruppe speziell behandeln kann. Da ist es zweitrangig ob sie räumlich oder zeitlich von mir absolut getrennt sind.
Wenn ich also eine basale Würde für alle Menschen sehe, dann gilt es auch für künftige Generationen. Hans Jonas hat im "Prinzip Verantwortung" daher vorgeschlagen den kategorischen Imperativ zu erweitern:
„Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
(Das baut natürlich auf die Vorüberlegungen des Kat.Imp. von Kant auf, die ich hier nicht referieren kann.)
Du misst doch einer Kastanie nicht den gleichen Wert zu wie dem aus ihrer hervorgehenden Baum, oder? Warum sollte ich also einem Embryo den gleichen Wert zu messen wie dem aus ihm hervorgehenden Menschen?
Analogien sind immer gefährlich, insbesondere zu Pflanzen, da Pflanzen von den meisten Menschen wie Dinge behandelt werden. Darüber hinaus geht es in dieser Diskussion nicht darum ob ein Baby und ein Mensch den gleichen Wert haben, sondern ob es zwischen dem Wert eines Menschen und dem eines Babys eine Schnittmenge gibt, die dann Menschenwürde heißt.
Die richtige Frage wäre also: Warum sollte ich einem Embryo irgendeinen Wert zumessen, den ich einem Menschen zumessse? Den schließlich müsste ja eine Gemeinsamkeit existieren, auf die die Wertzuschreibung aufbaut.
Oben habe ich die Antwort gegeben: Erstens gehören beide der menschlichen Art an, zweitens verbindet beide der Überlebenswille, drittens ist es sehr wohl ein moralischer Anspruch die Zukunft dieses Menschen, sein Anrecht auf Entwicklung z.B. mit einzubeziehen.
Kann ein Ding durch einen Vorgang definiert werden? Klingt komisch.
Eigentlich wäre doch das Gegenteil viel komischer. Das wäre wenn ein Ding durch sein Sein definiert werden würde. Denn dazu müsste ein bestimmtes Sein in dem Ding existieren, was sich der Beobachterin durch die Beobachtung erschließt. D.h. Kinder müssten überhaupt keine Bezeichnungen gelernt werden, weil sie z.B. durch die Beobachtung eines Löffels erkennen könnten: "Löffel!" (und auch alle Wörter, die in allen Sprachen für Löffel benutzt werden). Dinge werden durch Vorgänge bezeichnet und du lernst die jeweilige Bezeichnung und die dazugehörigen Bedeutungen und Bezüge.
Doch diese Diskussion führt uns weg von dem Thema "Menschenwürde".
Für Kant gilt eine klare Trennung von "vernunftbegabten Wesen" und dem Rest und die heutigen Verfassungen und Gesellschaften sind noch sehr stark geprägt von der Abgrenzung Mensch-Nichtmensch. Das ist dem damaligen Stand der Wissenschaft geschuldet und ziemlich Vernunftlastig:
"Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst. So stellt sich notwendig der Mensch sein eigenes Dasein vor; sofern ist es also ein subjektives Prinzip menschlicher Handlungen. So stellt sich aber auch jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein zufolge eben desselben Vernunftgrundes, der auch für mich gilt, vor, also ist es zugleich ein objektives Prinzip, woraus, als einem obersten praktischen Grunde, alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können.“ (Kant, “Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, BA 66)
In diesem Fall entsteht aus der Vorstellung des eigenen Daseins die Fähigkeit eigene Ziele zu setzen und ein Zweck an sich selbst zu sein. Da diese für die anderen Menschen auch gilt, bin ich nach dem kategorischen Imperativ verpflichtet ihre Zielsetzungen zu berücksichtigen, da ich nicht wollen kann, dass ein Gesetz wie ein Naturgesetz gelte, nach dem jeder Mensch rücksichtslos gegenüber allen anderen handle.
Sehr wohl kann ich einen Menschen als Mittel behandeln, aber eben nicht nur. (Bei Interesse würde ich mal nach dem Stichwort "Verdinglichung" suchen.)
@****hle/Tier etc.
Natürlich hat sich die Diskussion weiterentwickelt. Was Flo spürt ist, so sehe ich das, eine Ungleichgewicht zwischen politischer Setzung und Erkenntnisstand. Wir wissen heute viel mehr über Tiere und ihre Emotionen und sind, in Teilen der Gesellschaft, sensibler für ihr Leid geworden. Deswegen mutet der Begriff "Menschenwürde" fast so an als wäre er gegen eine Tierwürde in Stellung gebracht. Erstere ist zu schützen, letztere nicht, obwohl ein einjähriges Baby weniger von der Welt versteht als ein Hund.
Hans Jonas und andere schlagen deswegen auch eine Spektrum und nicht eine Infrontstellung vor. Wir Menschen zeichnen uns durch mehrere Fähigkeiten aus, die in der Summe und in der Ausgeprägtheit einzigartig sind, im einzelnen aber von Tieren auch erbracht werden. Er nennt Werkzeug, Bild und Grab. Wir nutzen Werkzeuge wie selbstverständlich, haben ein Bild von uns selbst und wissen ob unserer Sterblichkeit. Alles findet man auch im Tierreich. Es gibt Vögel, die sich im Spiegel erkennen, Affen die Werkzeuge nutzen und Elefanten die Gräber kennen.
Aus diesem Blickwinkel ist "Menschenwürde" überholt, wenn sie gegen Tierwürde in Stellung gebracht wird.
Der für mich aktuell überzeugendste Ansatz ist hier die Anerkennungstheorie. Sie verlangt, dass wir andere Wesen "adäquat würdigen". Das verlangt natürlich im ersten Schritt eine Sensibilität für die Bedürfnisse der Anderen, die jedoch mehrschichtig vorgeht. D.h. was einem Wesen an Würde zukommt ist nicht in einem Federstrich zu setzen, weil die adäquate Würdingung eben gerade verhindert, jemanden mit einer Eigenschaft vollständig erklären zu wollen.
Ja, es gibt Menschenwürde, weil ein Mensch ein Mensch ist und als solcher basale Bedürfnisse mit anderen teilt. Er ist jedoch gleichzeitig ein Tier bzw. Lebewesen, was mit anderen Lebewesen den basalen Lebenswillen teilt. Sie ist vielleicht darüberhinaus ein Erwachsener und hat das Bedürfnis als geistig vollwertiger Mensch ernst genommen zu werden und z.B. Geschäfte tätigen zu dürfen (in Abgrenzung zu einem Kind oder Hund, denen wir dieses Recht nicht zugestehen und auch nicht sagen würden, dass ein dreijähriger in seiner Würde beschnitten wird, weil er nicht eigenständig entscheiden darf).
Kurz gesagt:
Der Begriff der "Menschenwürde" ist eine historische Errungenschaft in Abgrenzung zu einer Ehre-Gesellschaft, die keine allgemeine Würde kannte. Jedoch ist der Begriff auch schon wieder alt und erzeugt so Spannungen, weil er aktuelle philosophische Entwicklungen nicht mehr abbilden kann.
p.s.:"Ich weiß, dass ich nichts weiß."
Es gehört nicht hierher, aber das ist wohl das missverstandenste Zitat der Philosophiegeschichte. Sokrates war laut dem Orakel der weiseste Mensch seiner Zeit, weil er die Grenzen seines eigenen Wissens erkannt hatte und andere auf ihre Grenzen hinweisen wollte. Genaugenommen sagt Sokrates also "Ich weiß, was ich nicht weiß. Ich weiß, wo mein Wissen endet und das es so vieles gibt, was ich nicht weiß."