Dimensionen der Diskussion
Ich finde diese Diskussion hat mehrere Ebenen und es sind daher auch mehrere Herangehensweisen nötig.
1. Dimension Utopie vs Pragmatismus
Es gibt in der politischen Theorie und auch in der Philosophie Diskussionen ob eine Utopie/ ein Ideal hilfreich oder schädlich ist. Brauchen wir ein Ideal wie eine waffenfreie Welt, damit wir uns insgesamt in die richtige Richtung bewegen, oder verstellen uns Ideale den Blick auf die Realität und verhindern damit nützliche kleine Schritte?
Das ist eine Diskussion, die jedoch zu dem Thema an sich erst einmal nichts beiträgt, letztlich aber diese Diskussion ersetzen könnte.
Beispiel:
Wer das totale Waffenausfuhrverbot fordert und damit scheitert, hat vielleicht weniger bewirkt als jemand, der sich auf Minen beschränkt und dafür ein Ausfuhrverbot erwirkt.
@**lt ohne Waffen
In der Ideengeschichte von Macht und Gewalt wird deutlich, dass die Begriffe "Macht" und "Gewalt" lange Zeit gleichbedeutend genutzt wurden, sich dann differenzierten und heute sich wieder stärker verschränken (Bourdieu, Derrida z.B.). Warum ist die Frage nach Macht und Gewalt wichtig? Weil Waffen in der Regel kein Selbstzweck sind, sondern Mittel darstellen.
Wenn du also eine Welt ohne Waffen willst, musst du nicht die Waffenproduktion abstellen, sondern die Zwecke, die mit Waffengewalt erreicht werden, der Gewaltoption entziehen. Es müsste also gelingen entweder die Ziele, für die jetzt Gewalt genutzt werden kann, zu eliminieren (radikale Lösung) oder Gewalt so zu ächten, dass sie keine Option darstellt (etwas weniger radikal).
In Teilen ist das schon gelungen. So wird Gewalt in vielen gesellschaftlichen Bereichen geächtet und Schritt für Schritt zurückgedrängt (Züchtigung in der Ehe, Schlagen von Kindern etc.). Der Schlägertyp gilt in unserer Gesellschaft in weiten Teilen als Verlierermodell, oder als der hilflose Unterschichtdepp, der nicht anders konnte.
Dennoch halte ich eine Welt ohne Gewalt für utopisch und eine Ideologie, die mit der Selbstentwaffnung anfangen will sogar für gefährlich. Wieso? Weil sie meiner Meinung nach die Hierarchie der Ziele durcheinanderbringt.
In der heutigen Welt bedeutet die Aufgabe der Wehrhaftigkeit gleichzeitig in vielen Fällen auch die Aufgabe der Einflussmöglichkeiten. Mit der Wehrhaftigkeit geraten daher auch jene Werte in Gefahr, die darauf angewiesen sind und letztlich das eigene Ziel.
Die Welt wird nicht friedlicher, wenn die friedlich Gesinnten die Selbstverteidigungsfähigkeit aufgeben und die Welt den Gewaltätigen überlassen. Die Welt wird friedlicher, wenn Gewalt als Option unattraktiv erscheint.
Wie aber gelingt dies? Nicht mit einer Radikallösung. Wer auf drängende politische Fragen eine kurze Antwort geben kann, gibt eigentlich immer eine falsche, weil unterkomplexe, Antwort.
Voraussetzung für Gewaltfreiheit, die dann auch zur Waffenfreiheit führen kann, sind in erster Linie Integrations- und Anerkennungsstrukturen. Nur sehr wenige Menschen wenden Gewalt an, weil sie gerne Gewalt anwenden. Luhmann hat als Antwort gegeben, dass Gewalt deswegen so beliebt ist, weil sie von dem, der Opfer von ihr wird nicht ignoriert werden kann, sie leicht einsetzbar ist und eine große Drohwirkung entwickelt.
Sprich: Für Gewalt brauchst du keine große Vorbildung, sie ist eine Option, die praktisch jeder Mensch besitzt. Gleichzeitig kannst du Gewalt in der Regel nicht ignorieren, während du z.B. Sanktionen ("kein Taschengeld" , "kein Sex heute", "sie sind gefeuert") leichter aussitzen kannst. Drittens kannst du mit der Möglichkeit Gewalt anzuwenden viel mehr Leute in Schach halten.
Wenn ihr euch überlegt, wie viele Polizisten es gibt und wieviele Menschen in Deutschland leben, dann ist klar, dass das Drohpotenzial der Polizei deutlich größer ist als ihr faktisches Einsatzvermögen. Plastischer: mit einer Kugel in der Kanone kannst du locker 20 Menschen in Schach halten, wenn keiner von ihnen sich in Lebensgefahr bringen will.
Unser Hauptproblem ist jedoch:
Die derzeitige Weltökonomie beruht auf Gewalt, denn sonst wären die Wertschöpfungsketten, die uns im Westen so bevorteilen nicht aufrecht zu erhalten. Die staatliche Ordnung beruht letztlich auf Gewalt (S.h. den Aufsatz dazu von Walter Benjamin oder praktischer: die Flüchtlingspolitik). Die öffentliche Ordnung beruht auf einer Gewaltandrohung bei Überschreitung der Gesetze...
Im philosophischen Kontext gehen die Theoretiker noch weiter und sprechen von struktureller Gewalt oder der Gewalt der Bezeichnung (Derrida).
Anders gesagt:
Sprache, Politik, Gesellschaft, alles ist so von Gewalt durchdrungen, dass es wirklich utopisch erscheint, diesen Faktor aus dem menschlichen Leben zu tilgen. Wenn dies aber nicht gelingt, bringt es auch nichts von "Waffen weg" zu sprechen, weil Menschen als Menschen Werkzeuge für ihre Ziele benutzen.
Gruß
Brynjar
p.s.: Das sagt noch nichts darüber aus, ob es sinnvoll ist Ausfuhren zu verbieten, selbst Waffen herzustellen etc. Es ist nur eine Ansicht darüber ob eine waffenfreie Welt angestrebt werden soll. Meiner Meinung nach sollte man das Ziel fallen lassen und sich darauf konzentrieren welche Waffen ganz verboten gehören, welche nicht ausgeführt werden dürfen etc.
Eine Kontrolle der Waffen erscheint mir erreichbar, eine Abschaffung nicht.