@uncle_H
Erlaube mir kurzerhand, folgendes Zitat als Starbahn für einen kleinen, gewiss des Lädiertseins leicht zu überführenden Gedankenflug zu missbrauchen:
es gibt kein ethischeres Wirtschaftssystem als das gerade (jeweilige) vorherrschende
Man muss diese Aussage nur als die schlimme Nachricht begreifen, die sie auch ist, und schon kommt man der Wahrheit näher als jene, die unverdrossen die Möglichkeit einer besseren Welt beteuern und dabei gläubig ihre mehr oder weniger wahnwitzigen Varianten der Sozialdemokratie herunterbeten.
Der Kapitalismus ist - dies sei angesichts vieler anderer möglicher und diskutabler Definitionen ganz kurz eingeworfen - u.A. ein in seiner historischen Ungeheuerlichkeit kaum zu erfassendes, noch längst nicht zu Ende gekommenes Verbrechen, ein höchst gewaltförmiger und bis heute -tätiger Eroberungszug zur steten Durchsetzung der Eigentumsordnung, derer das Kapital zu seiner Selbstverwertung immer bedarf. Das innerste Wesen der "rein kapitalistischen" Dynamik ist notwendig unmenschlich, weil ihr letztlich kein konkret menschliches Bedürfnis zugrundeliegt, sondern immer nur die unbeirrbare, gegen humanistische Einwände zuverlässig immune Gewinnmaximierung. Sie lässt bei jenen Menschen, die sie etwa als Aktienhändler oder Manager besonders tief verinnerlicht haben (müssen), offenkundig irrationale und absurde Verhaltensformen entstehen. Freilich nicht nur bei ihnen, so einfach ist das nicht! Auch wenn die jeweiligen Firmenvorstände sich gerne als die "Macher" und "Entscheider" gerieren, wird hinter ihrem gelegentlichen Cäsarenwahn letztlich doch immer wieder sichtbar, dass nicht wirklich sie, sondern ein gewissermaßen rein mathematisches Prinzip "macht" und "entscheidet" und dass es ihre idiotische Rolle ist, seinen unberechenbaren Launen möglichst vorauseilend zu gehorchen: Der gute Standort von heute ist immer schon der Klotz am Bein von morgen. Es fällt schwer, rein rechnerisch zu beweisen, dass etwa Drogen- und Menschenhandel ein schlechtes Geschäft seien. Sklavenarbeit rechnet sich, zumindest in niedrig qualifizierten Segmenten - die schiere Unzahl an chinesischen Knochenmühlen und Arbeitslagern, die mittlerweile einen Großteil unseres kapitalistischen Warenstroms herstellen, macht es unübersehbar deutlich... Ließe man dem kapitalistischen Konkurrenzprinzip völlig freie Hand, wie manche der religiöseren Anhänger des wirtschaftsliberalen Evangeliums fordern, wäre Bürgerkrieg das schließliche Ergebnis, der Krieg aller gegen alle, der tendenziell, von der objektiven Situation her, ja immer schon ansteht und in allerlei vollends verrückt gewordenen Phänomenen wie dem Rassismus oder dem Mobbing sichtbar wird.
Nun ist es so, dass diese gefährliche, "egoistische" Tendenz den Bürgern und Kapitalisten selbst schon längst aufgefallen ist. Wenn schon nicht im eigenen Verhalten, so doch mit Sicherheit bei der Konkurrenz bzw. den Nachbarn. Der einzelne, noch so gewinnbesessene, "egoistische" Kapitalist kommt trotz all seines Drangs nach "unternehmerischer Freiheit" nicht umhin, gewisser Garantien zu bedürfen, die er selber als einzelner Kapitalist nicht leisten kann. Es bedarf langfristig einer gewissen Rechtssicherheit, die das entstehende Eigentum bitteschön auch halbwegs zuverlässig schützt, und auch Währungsstabilität wäre insgesamt von Vorteil. Der einzelne Kapitalist strebt unweigerlich zum Monopol, und doch muss er es als faktische Abschaffung des Marktes fürchten, wenn es seiner Konkurrenz vor ihm gelänge. So kommt "wieder" ins Spiel, was schon bei den historischen Gründungsverbrechen des Kapitalismus' (etwa Enteignung und Proletarisierung von Bauernmassen, Kolonialismus) eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte:
Der Staat ist immer schon als ideeller Gesamtkapitalist zur Stelle, bremst (im hochgradig idealistischen Idealfall, an welchen so viele unbedingt glauben wollen) den übermäßigen "Egoismus" des einzelnen Kapitalisten aus, treibt aber auch rigoros die politisch-ökonomischen Prozesse voran, die der gesteigerten Verwertung des Menschenmaterials dienen. Der Staat ist immer auch die "Wir haben verstanden"-Fraktion des Kapitals. Von den englischen Vagabundengesetzen im 18. Jahrhundert bis zu Gerhard Schröders - zunächst von unerträglich dummen, weil deutschen Malochern bejubeltem - Hartz IV zieht sich ein ewig sozialistisch-roter Faden emsig organisierten Zwangs, sich mit der nuttigsten Begeisterung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung halten zu müssen, tapfer auf das längst als
utter bullshit durchschaute Ticket vom Tellerwäscher zum Millionär setzend, auf den absurden und sogar nachweislich lebensgefährlichen Jackpot hoffend, der längst zur Ausnahme geworden war, die die Regel bestätigt. Dass die politischen Nachfahren der einstigen Arbeiterbewegung (Labour, SPD) die fragwürdige Ehre hatten, sowohl in England wie in Deutschland die Illusion von "Wohlstand für alle" zu Grabe zu tragen und unter Blair bzw. Schröder nicht nur Osteuropa, sondern auch die eigene, historisch als strunzdumm erwiesene Klientel abgewickelt wurde, erscheint nur denen als ein schlechter Scherz, die die Geschichte der Sozialdemokraten seit Ferdinand Lasalle nicht zur Kenntnis haben nehmen wollen.
Der einzelne Mensch sieht sich
hic et nunc in einer solchen gesellschaftlichen "Ordnung", welche immer nur noch gründlichere Verwertung, noch gründlichere Herrschaft anstrebt, vollends überwältigt. Die politökonomische Macht wird ihm zur zweiten Natur, der gegenüber er sich fast genau so ausgeliefert und ohnmächtig fühlt wie sein höhlenbewohnender Vorfahre gegenüber Blitz, Donner und Säbelzahntiger. Selbst die verzweifelt "antikapitalistischen", "staatsfeindlichen" Ausbruchsversuche, etwa die linken wie rechten Experimente, führten allesamt letztlich auch nur umso tiefer in die Unfreiheit.
Das ist das eigentliche Dilemma: So, wie es jetzt ist, wird es über kurz oder lang und immer wieder zum Wahnsystem, zum
fascist circus, weil seine historisch entstandenen Prämissen und Kategorien zutiefst irrational sind und sie - falls ungebremst - fatal dahin streben. Es muss aber konstatiert werden, dass die bisherigen, bewussten Aufhebungsversuche (Sozialismus usw.) nicht nur gescheitert sind, sondern auch die Destruktivität erst recht entfesselten, die dem bürgerlichen Zeitalter allgemein schon zueigen ist. Man sieht sich also gelegentlich in der recht unbequemen Position, das dumme, korrupte und herzlose "Bürgertum" - in seiner ganzen, wirklich unerträglichen Zigeunerschnitzelspießigkeit - gegen diejenigen verteidigen zu müssen, die "die ganze Scheiße" (Karl M.) im Namen einer vermeintlich besseren Welt, im Namen der sogenannten 99%, im Namen irgendwelcher unterdrückten "Völker" angeblich abschaffen wollen.