Ich mache es mal weniger philosophisch und gehe die Fragen ganz praktisch an.
Was das Gute ist, hat die Gesellschaft schon definiert, bevor ich geboren bin. Da definiert die Gesellschaft natürlich immer weiter dran und so ändern sich die Werte auch beständig, allerdings selten sprunghaft und auch nicht besonders schnell.
Da bin ich also nun hinein geboren in diese Welt, in das große Andere. Anfangs werde ich weder wissen, was gut, noch was schlecht ist. Die Eltern tragen in der Regel die verpflichtende Idee in sich, mir Gutes zu tun, mich zu füttern und zu erziehen.
Dann sitze ich im Sandkasten, klaue meinem Kollegen die Schaufel und schaue, was passiert, wenn ich die dem auf den Kopp knalle. Großes Geschrei bei dem und Aufregung unter den Erziehern und ein Eingerede auf mich. Das tue man nicht und schon, dass ich ihm die Schaufel weg genommen habe, sei sittenwidrig.
So ergeht über mich das gesamte Erziehungsprogramm, nichts anderes als eine kollektive Gehirnwäsche. Läuft alles nach Plan, so werden die moralischen Werte der Gesellschaft so unweigerlich in mir verankert.
Die Sandkastenzeit ist auch die Zeit, in der ich sehe, wie weit ich bei meinen Eltern gehen kann. Ein jedes Kind testet die Grenzen des Ertragbaren bei seinen Eltern. Wie weit kann ich gehen, bis diese so weit sind, dass ihnen die Hutschnur platzt. Dabei tue ich nicht unbedingt gutes, sondern nerve ganz schön rum. Ist aber völlig richtig und normal, denn zu erkennen, wann ich den anderen verletze, ist lebensnotwendig im sozialen Zusammensein.
Dann geht alles seinen Weg, bis ich in die Pubertät komme und merke, dass gar nicht alles so gut ist, wie die Altvorderen mir erklärten. Ich beginne erneut, zu opponieren, hinterfrage, ob das Gute heute wirklich noch das Gute sei und das kann so weit gehen, dass ich dabei Böses tue. Ich hinterfrage zum Beispiel Gesetze, die mich verpflichten, Dinge nach festgelegten Mustern zu tun.
Später folgt die Phase, wo ich ruhiger werde und selber zum großen Anderen werde, dem sich meine Kinder dann gegenüber sehen.
Inwieweit wir das Gute verpflichtend in uns tragen, ist sehr unterschiedlich. Sehe ich jemanden in einer Notlage, so fühle ich mich verpflichtet, zu helfen. Die Eltern fühlen sich verpflichtet, das Kind groß zu ziehen. Ich fühle mich nicht verpflichtet, bei jeder Spendenaktion mitzumachen. Das Pflichtgefühl hat da seine Grenzen und die werden bei jedem anders liegen.
Das Pflichtgefühl wird bei der Sozialisation in uns aufgebaut und danach durch die eigene Vernunft bestärkt.
Es bleibt dennoch die Frage danach, was das Gute ist, immer und immer wieder. Denn vom Guten glauben wir nur, dass es gut ist, es entzieht sich meist einer objektiven Bewertbarkeit. Das Gute müssen wir täglich neu erfinden, müssen es ständig hinterfragen, denn oft genug entpuppt sich das Gute später als böse.