Tragen wir die verpflichtende Idee des Guten in uns?
Die empirischen Naturwissenschaften können uns nicht sagen, was das ethisch richtig oder falsch ist. Sie lässt uns ohne Maßstäbe für unser Handeln. Auch kann die Naturwissenschaft nicht klären, warum uns ethische Werte verpflichten. Worin liegt dann das "Ob" und "Warum" eines sittlichen Sollens?Kant meint hierzu in seiner Kritik der reinen Vernunft, Inselausgabe von Weischedel, Band 2, S. 323:
"Wer die Begriffe der Tugend aus Erfahrung schöpfen wollte, wer das, was nur allenfalls als Beispiel zur unvollkommenen Erläuterung dienen kann, als Muster zum Erkenntnisquell machen wollte (wie es wirklich viele getan haben), der würde aus der Tugend ein nach Zeit und Umständen wandelbares, zu keiner Regel brauchbares , zweideutiges Unding machen. Dagegen wird ein jeder inne, dass, wenn ihm jemand als Muster der Tugend vorgestellt wird, er doch immer das wahre Original bloß in seinem eigenen Kopf habe, womit er dieses angebliche Muster vergleicht und es bloß darnach schätzt. Dieses ist aber die Idee der Tugend, in Ansehung deren alle möglichen Gegenstände der Erfahrung zwar als Beispiele aber nicht als Urbilder Dienst tun. Dass niemals ein Mensch demjenigen adäquat handeln werde, was die reine Idee der Tugend enthält, beweist gar nicht etwas Chimärisches in diesem Gedanken. Denn es ist gleichwohl alles Urteil über den moralischen Wert oder Unwert nur vermittelst dieser Idee möglich; mithin liegt sie jeder Annäherung zur moralischen Vollkommenheit notwendig zu Grunde, so weit auch die ihrem Grade nach nicht zu bestimmenden Hindernisse in der menschlichen Natur uns davon entfernt halten mögen."