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Wie wollen wir wissen wollen, was wir erkennen können, wenn wir nicht ermitteln , was von allem wir verstehen können.
Soweit ich Kant verstanden habe, ist Erkenntnis Sache der Vernunft insofern als diese untersucht/bestimmt, ob die in der Erkenntnis formulierte Aussage durch richtiges urteilen/schließen entstanden ist. Die Vernunft übernimmt dabei die vom Verstand übermittelten, noch unbenannten Vorstellungen, weist diesen Begriffe zu und untersucht dann diese Begriffe
1) synthetisch, indem mehrere Begriffe zusammengefasst werden
2) analytisch, indem ein einzelner Begriff in seine Einzelteile zerlegt wird.
Die vom Verstand übermitttelten unbenannten Vorstellungen fasse ich modern als Regelwerke auf, mit denen die ungeordnete Mannigfaltigkeit der Wahrnehmung zu einer Einheit synthetisiert wird.
Modern neurophysiologisch interpretiert würde ich das im Hirn nicht lokalisieren wollen, sondern Kants Architektur unseres Denkapparats metaphorisch mit der neueren Forschung zu synchronisieren versuchen.
Der Hirnforscher John Eccles hat hierzu vor geraumer Zeit sehr interessante Ergebnisse präsentiert und zusammen mit Karl Popper versucht, dies philosophisch zu deuten. (Popper&Eccles: "Das Ich und sein Gehirn" erschienen bei Pieper), insbesondere bei den ersten Schichten der Sehnerven bei Katzen:
Das Licht triggert zunächst die Retina, auf der quasi ein Pixelbild entsteht (allerdings durchaus auch in Farbe). Die dort ansässigen Neuronen feuern in die erste Abstraktionsschicht ihre Impulse. Durch die evolutionär gewachsene Struktur der Verdrahtung führt dies dazu, dass in dieser zweiten Schicht jedes Neuron nur dann weiterfeuert, wenn die in der Verdrahtung codierte Struktur(=Vorstellung) dem Lichteinfall entspricht. Beispielsweise ein hell-dunkel-Kontrast, der sowas wie eine "grüne Ecke" im linken unteren Gesichtsfeld repräsentiert. In der nächsten Abstraktionsschicht werden mehrere solcher Impulse wiederum zusammengefasst (sogar mit kaum noch berechenbaren Rückkopplungseffekten). Erstaunlich schnell ensteht so nach nur wenigen Schichten bereits eine Einheit, in der irgendein Neuron nur genau dann feuert, wenn sich so etwas wie ein "Buchenblatt" dort im Gesichtsfeld befindet.
Für mich besteht die Tätigkeit des Verstandes (als modern interpretierter Kantischer Begriff) in eben jener Synthesis der Mannigfaltigkeit der eingehenden Nervensignale. Nicht an einem einzigen Ort im Gehirn, sondern als Prinzip der Funktionsweise. Die Struktur der Verdrahtung läßt sich mathematisch theoretisch als Axiomentsystem=Regelwerk beschreiben, auch wenn es sehr schwierig ist, dies empirisch zu erforschen. Der Verstand IST die Struktur dieser Verdrahtung; quer über das Hirn verteilt, überall anders aufgebaut, aber überall demselben Prinzip folgend, weshalb es legitim ist, dieses Gesamtsystem als Verstand zu bezeichnen.
Diese Verdrahtung leitet permanent Myriarden von Nervenimpulsen=Vorstellungen an die höheren Abstraktionsschichten weiter. Das meiste davon läuft unbewußt ab. Auch die Hirne von Tieren arbeiten auf diese Weise, weshalb wir das Gefühl bekommen, dass sie sinnvoll handeln. Logisch, sonst könnten sie ja kaum überleben. Tiere haben in dieser Interpretation also durchaus Verstand. Dieses Handeln als "vernünftig" zu bezeichnen, ginge aber zu weit bzw enspräche nicht mehr Kants Gebrauch dieser Begriffe.
Vernunft bedarf der Begriffe, also der Sprache.
ist das nachvollziehbar? Ich will das nicht apodiktisch festsetzen, sondern hoffe, mit diesen Formulierungen einem Verständnis von Kants Text näher zu kommen. Bitte schreibt, wenn ich mit der Analogie irgendwo schräg liege.