Im Startbeitrag wird >Probe< mit >Pose< in Zusammenhang gebracht. Das ist ein Anhaltspunkt für eine Auseinandersetzung mit den auf dieser und allen wesentlich vergleichbaren Plattformen zu findenden Profilen. Diese sind eigenständige, kleine Plattformen für die Darstellung einer Persönlichkeit, und man kann die Form und den Inhalt der jeweiligen Selbstdarstellung als Pose betrachten. In diesem allgemeinen Sinne ist der Urheber ein Poser.
Nun ist nach meiner Überzeugung jeder Mensch – in einem noch allgemeineren Sinne – ein Poser, weil er nachgerade gezwungen ist, eine Pose einzunehmen. Das heißt, daß er sich nicht nur zeigt, sondern zeigen muss. Er kann nicht anders, denn auch, wenn er sich nicht zeigt, zeigt er ebendas. Wenn er sich aber zeigt, tut er dies in einer bestimmten Art und Weise, und die immer wieder auftauchende Frage ist: Zeigt er sich so, wie er wirklich ist, oder zeigt er sich so, wie er gesehen werden will? Diese Frage ist eine äußerst verzwickte.
Sie verweist auf eine Unzahl höchst interessanter Zusammenhänge. Zunächst könnte man annehmen, daß es die allgemeine Überzeugung gibt, nach der man sich einerseits überhaupt so zeigen kann, wie man wirklich ist und andererseits, daß man etwas anderes zeigen kann. Noch allgemeiner: Es gibt etwas, das man das wirkliche Selbst nennen kann, und außerhalb dieses Etwas’ breitet sich das Universum aus, das aus allen erdenklichen Nicht-Selbsts besteht. Diese Annahme ist aber aufgrund längst anerkannter Erkenntnisse nicht mehr haltbar.
Nach meiner Überzeugung gibt es aber den einzelnen Menschen, der prinzipiell einzigartig, unwiederholbar und somit unersetzlich ist. Er ist also in der Tat ein >Individuum<, was lateinisch Dasselbe ist wie das griechische >Atom<: Das Unteilbare. Daß man im Allgemeinen davon ausgeht, daß es dieses wahre Selbst und somit eine quasi unbegrenzte Zahl von Nicht-Selbsts gibt, könnte an einem Missverständnis liegen, demnach man hinter der Folie der Unteilbarkeit das Atom, also den Kern eines Menschen ausmacht und alle sonstigen Teilchen – sprich: Erscheinungen dieses Menschen – als nicht echt anerkennt.
Das ist ein Missverständnis, weil man von einem Kern und damit von etwas ausgeht, das man dingfest machen kann. Diesen Kern gibt es aber nur in den Überzeugungen jener, die der romantischen Vorstellung anhängen, wonach der Weg zur einzigen reinen, authentischen und kompromissfreien Selbstdarstellung gefunden werden kann und daher muss. Übersehen wird dabei, das jede Äußerung, jede Geste; überhaupt jedes Zeichen der Welt der Bedeutungen angehört und somit schlecht etwas Wirkliches sein kann im Sinne von rein, authentisch und kompromissfrei. Unsere Zeichen, die Mittel, mit denen wir uns äußern, sind eben Zeichen, die nur vermitteln können und damit niemals unmittelbar sein können.
Das ist, was den Menschen ausmacht: Die Fähigkeit, in der Welt der Bedeutungen zu leben und damit prinzipiell in der Lage zu sein, frei zu wählen. Diese Freiheit ist unser Segen, soweit wir uns überhaupt des freiheitlichen Charakters bewusst sind. Ansonsten ist sie unser Fluch.
Mit dem Gesagten soll nahegelegt werden, daß wir selbst es sind, die handeln und sich verhalten, und daß es sich immer um dieses >selbst< handelt: Wir äußern uns zwar immer in einem Kontext und damit nie in derselben Weise, aber immer vor dem Hintergrund und unter den daraus erwachsenen Bedingungen unserer persönlichen und unvergleichlichen Geschichte. Somit ist alles, was wir tun, authentisch. Wenn wir uns äußern, sind es immer wir selbst. Ob wir spontan und direkt oder vordergründig und manipulativ handeln; es gehört zu uns als Aspekt unserer Persönlichkeit.