tl;dr Werbung ist einfach komplex!
Hallo zusammen. Gerne mache ich zu dem Thema "Werbung" mein erstes Posting in dieser Gruppe. Sorry für die Länge.
Für oder gegen etwas werben heisst, jemande(n) oder etwas (via Blütenstaub, sehr schön) in seinem Sinne zu beeinflussen, zu bewegen. Das sind Wirkungsziele der klassischen Rhetorik: docere, delectare, movere im Sinne der ars bene dicendi, d.h. eine subjektive Überzeugung zu einer allgemeinen Sache zu machen.
Dieses lässt sich auch evolutionär ableiten. Das kann ein äusseres Verhalten sein, eine innere Überzeugung oder ein inneres Erleben. Wir alle "werben" permanent sobald wir in einem Kontext mit der Umwelt stehen und werden "umworben; ich werbe auch mit diesem Beitrag.
Das, was von Euch in diesem Forum als "Werbeprodukt" bezeichnet wird, wird als terminus technicus "Marke" (engl. brand) genannt. Es ist die subjektive, assoziative Wahrnehmung dessen, was und von wem umworben wird: ein Ver- oder Gebrauchsgegenstand, ein Subjekt, eine Idee, eine Kreation, ein Ort, eine Veranstaltung, eine sonstige Entität. "Marken" sind häufig ikonografisch verankert. Das Kreuz, der Halbmond, eine Buddha-Figur. Entscheidend sind die damit verbundenen und (sub-)kulturell gelernten Konnotationen.
"Werbung" an sich ist einfach im Kerngedanken, aber komplex im Prozess der Umsetzung. Was sind die Voraussetzungen für das Überzeugen? Z. B. muss es überhaupt erst einmal wahrgenommen werden. Was mit den Sinnen nicht aufgenommen werden kann und was den Wahrnehmungsfilter der Aufmerksamkeit (ich merke auf) nicht passiert, das kann keine inneren Erlebenswirkungen entfalten, z. B. Neugier, Angst, Lust etc. (Stichwort: Aufmerksamkeitsökonomie).
Voraussetzung dafür ist auch ein latentes Bedürfnis, einen Mangel, an irgendetwas zu haben. Dieses Mangelgefühl ist nur sehr selten im Bewusstsein, sondern existiert implizit (Bedürfnis nach Sicherheit). Es wird kompliziert, wenn das Zusammenspiel emotionaler und kognitiver Erlebensprozesse in seiner Wirkungsweise analysiert, bewertet und antizipiert werden soll, wie dieses Bedürfnis befriedigt wird. Dazu zählen auch die Überzeugungswirkungen, die von trivialen Argumenten wie "Lactose- und Glutenfrei" ausgehen können. Diejenigen, die sich davon am (sehr schönen) Beispiel "Wasser" leiten lassen, sind Nicht-Wissend und durch Unsicherheit angetrieben. Dann sind sie auch bereit mehr zu zahlen, als es wert ist. Sie Vertrauen in den Absender des Argumentes.
Und der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen. Bevor es zu Handlungen kommt, kann er "Stop" sagen. Theoretisch, wenn ihn seine Emotionen nicht überrennen. Dann sind wir aber schon mitten in der Moralphilosophie. Die Rhetorik selber ist wertfrei, die Moralität betrifft den "Werbenden".