Fast in jedem Philosophie-Thread geht es darum, Begriffe zu definieren, sie scharf zu umschreiben, Unschärfe aufzuheben und sie im historischen Kontext sauber einzuordnen.
Vielleicht sind die Deutschen in der Philosophie gut aufgestellt, weil sie die Ordnung so lieben und eben gut in all die Kästchen sortieren können.
Ich möchte nun das Gegenteil tun und einen kleinen Lobgesang auf die Unschärfe anstimmen. Warum sollte die Schärfe das Ziel sein, warum lassen wir Wolke nicht Wolke sein? Wir sind doch immer wieder überrascht und beglückt von den Beiträgen unserer märzmondischen Wolkenmalerin. Ihre poetisch durchtränkten Gedankenschwaden spielen genau mit der Unschärfe und rücken gerade damit den einen oder anderen Aspekt in ein neues, ungewohntes Licht.
Nur durch die Unschärfe kann es überhaupt Poesie geben. Warum wollen wir auf Teufel komm raus alles einnorden, wo unser Gehirn selbst doch ganz anders funktioniert. Es scheint zwar abgegrenzte Gebiete darin zu geben, wo bestimmte Funktionen abgerufen und verarbeitet werden. Dennoch weiß man, dass Hirnbereiche durchaus mit unterschiedlichen Aufgaben belegt werden können. Wir wissen auch, dass wir für einen Begriff nicht eine Karteikarte haben, wissen, dass er nicht als alleinstehende Information in irgend einer Synapse steckt, sondern aus einem Muster besteht, das abgeglichen wird.
Da spielen erst mal alle Sinne eine Rolle, das Auge liefert Form und Farbe, die haptischen Eindrücke Form, Material, Festigkeit, der Geruchssinn den Geruch, die Ohren akustische Informationen, den Klang eines Objekts aber auch den Klang des Begriffes selbst. Dann liefert das Hirn sämtliche Assoziationen, die mit einem Ding verbunden werden und wurden. Ich kann nicht schätzen, wie viele Synapsen beim Sehen einer Bank, beim Hören oder Lesen des Wortes angesprochen werden. Ich schätze aber, es werden weit über 10.000 sein.
Dieses angesprochene Muster ist die Wolke in uns und gottlob ist sie anders strukturiert als bei jedem anderen Mitmenschen.
Dieser Umstand führt sicher ab und zu dazu, dass wir uns missverstehen, dennoch sind die Basisstrukturen bei den meisten Begriffen bei allen ähnlich. Sonst könnten wir nicht schreiben, lesen, kommunizieren. Vielleicht triggert das Wort Bank bei mir und domsub 10.000 Synapsen an, wovon 7.945 mit gleichen Assoziationen belegt sind.
Das reicht für eine ungefähre Verständigung (-:gut, nicht immer). Nein, es soll nur die Unschärfe zeigen, so wie ich sie mir vor stelle.
Hätten wir keine Unschärfe, so kämen wir nicht weiter. Absolut scharfe Grenzen eines Begriffs, die komplette Übereinstimmung der Assoziationsstruktur zwischen domsub und mir hätte zur Folge, dass wir gar nicht kommunizieren müssten oder wollten. Wir wären quasi Klone unserer selbst.
Es gäbe auch keinerlei Kreativität mehr, wir würden nicht mehr improvisieren beim Kochen und könnten in großer Runde nicht eine "neue" Idee entwickeln. All das können wir nur dadurch, dass Begriffe unscharf sind und ihre Bedeutungen für uns noch unschärfer.
Selbst Zahlen, mathematische Symbole unterliegen der Unschärfe, weil eine Zahl eine Assoziation hervorruft. Es gibt Lieblingszahlen, es gibt bevorzugte Untersuchungsmethoden und neue mathematische Ideen, wenn alte Ideen zusammengeführt werden.
Die Entdeckung der negativen Zahlen z.B. ist eine kreative Leistung, eine phantastische Idee, die auch Widersprüche aufwirft. Wir kennen das Problem mit der Null. Sie sträubt sich immer noch, sich organisch in die restliche Zahlenwelt zu integrieren und die Mathematiker sind unterschiedlicher Auffassung von ihrer Funktion als Teiler.
Natürlich ist der abstrakte Begriff einer Ziffer scharf umrissen, aber nur, weil er ausgedacht, definiert ist. Es gibt ja keine dingliche Abbildung dessen, was der Begriff fünf aussagt.
Ich glaube, wir sind so ordnungslieb, weil wir Angst haben, zu schwimmen. Wir lassen nicht los, vertrauen zu wenig darauf, dass sich die Strukturen gegen uns wenden, wenn wir sie nicht bestimmen.
Eine in allen Bereichen bestimmte Struktur ist tot.