Der Sex, die Liebe und die Erotik
Es geht dir also um eine Abgrenzung von Handlungen in einer stimmigen Theorie. So gesehen willst du
1) eine Handlungstheorie erstellen, die sich dann auch auf erotische und sexuelle Handlungen anwenden lässt und
2) gleichzeitig eine Unterscheidung zwischen Erotik, Sex und Liebe ermöglicht.
Davon geht meine Antwort aus. Wenn das falsch verstanden wurde von mir, passt meine Antwort wohl nicht.
Zuerst zu 1):
Es gibt diverse Handlungstheorien in der Philosophie. Eigentlich basieren alle auf der Frage welches Menschenbild du hast, was du "frei" nennst. Wenn du vom klassischen Subjekt ausgehst, dem souveränen, autonomen Individuum, dann kommst du zur sogenannten "negativen Freiheit". Freiheit ist die Abwesenheit äußerer Zwänge, die mich an meiner Intention zu handeln hindern. Eine Handlung ist in diesem Sinne Ausdruck eines freien Willens, der über etwaige Gegenkräfte obsiegt. (Freiheit von etwas)
Spätestens ab Kant und Herder kennen wir auch die positive Freiheit. Es ist die Freiheit zu etwas, die Möglichkeit eigene Ziele zu setzen. Geschichtlich sind Kant und Herder verständlicherweise isolationistisch und wollen dem Subjekt ermöglichen unabhängig (von der reflexionsfeindlichen Gesellschaft ihrer Zeit) zu sein.
Heute werden Handlungen oft im Zusammenhang mit anderen Gesehen. Axel Honneth hat in diesem Zusammenhang von der "sozialen Freiheit" gesprochen. Will heißen Freiheit entsteht im Miteinander mit anderen.
Der für mich überzeugenste Ansatz für eine Handlungstheorie ist der poststrukturalistische. Er geht, in Kurzform, davon aus, dass es verschiedene Arten von Handlungen gibt. Manche Dinge werden von den Menschen einfach gemacht, hinter anderen stehen reflektierte Entscheidungen. Wenn du also unhinterfragt einem geschlechtsmarkiertem Dresscode folgst, oder dem Inzestverbot oder du gruppenspezifische Intimitätserwartungen für allgemeingültig hälst und deswengen einfach nachlebst, dann sind das Taten, aber weniger "Handlungen".
Bei dir sehe ich eine gewisse Verwirrung. Denn einerseits beschreibst du Intentionen, dann wieder was tatsächlich passiert. Im ersten Schritt würde ich klären, ob du eigentlich von Handlungen/Entscheidungen sprechen willst, also einem Subjekt, dass sich in einem Moment der Freiheit für eine von mehreren Varianten entscheidet. Oder ob dich mehr die Kategorisierung dessen interessiert was passiert und wie man es unterscheiden kann, unabhängig ob das Subjekt in dem Moment frei ist, oder von gesellschaftlichen, biographischen, geschlechtlichen etc. Zwängen beherrscht wird.
Ich gehe bei Schritt 2 von letzterem aus, da deine bisherigen Äußerungen dahin zu zielen scheinen.
Zu 2.)
Ein ganz basaler Fakt: Eine Identifzierung verlangt immer eine vorhergehende Differenzierung. Um etwas als etwas zu identifzieren zu können, muss ich es von dem Anderen abgrenzen. Daher ist es richtig was geschrieben wurde: Sex, Erotik und Liebe müssen getrennt werden.
Diese Trennung musst du schon rechtfertigen. Das geht, wenn du z.B. sagst, dass es nur um eine Analytik geht und nicht um eine Trennung in der Lebenswirklichkeit. Denn in der Wirklichkeit verschwimmen die Gesten in einer Vielzahl der Fälle bzw. sie überlappen sich oder vereinen sich gar.
Hier musst du noch klarer dein Erkenntnisinteresse formulieren. Geht es dir darum jene Handlungen zu identifizieren die NUR Sex sind, oder den Anteil von Sex, Erotik und Liebe in einer Handlung zu quantifizieren? Oder geht es nur darum in einer Handlung die dahinterliegenge Intention zu verstehen? Oder welche Folgen die Handlung hat sowohl für den Handelnden als auch für diejenigen welche die Folgen tragen? Oder willst du alles in deiner Theorie haben.
Für ein Theorievorhaben ist die Abgrenzung was du NICHT untersuchst genauso wichtig, wie die Frage was du untersuchst.
Gehen wir davon aus, dass es dir um das geht was passiert und du herausfinden willst, was die "reinen" Fälle sind, denn so liest sich dein Text mit den Beispielen. Weiter liest er sich, so als ginge es dir vor allem um die Perspektive des Handelnden. Du definierst den Charakter einer Handlung aus der Intention des Handelnden heraus. In diesem Fall führt dich deine Theorie zu der Frage, wie der Handelnde zu seiner Intention kommt:
Der aktuelle Stand in der Philosophie, jedenfalls der Überzeugenste für mich, ist die Verschränkung von Materie und Diskurs. Wir haben eine Materie die bestimmten Deutungen und Ausprägungen Widerstand entgegenbringt, anderen neutral oder affirmativ entgegensteht.
Beispiel:
Wenn du joggst oder durch tanzen deinen Körper in eine leichte Anstrengung versetzt, dann öffnest du die Materie für verschiedene Deutungen. Wieso? Weil dein Körper diese Anstrengung nicht unterscheiden kann durch Aufregung weil du einem potentiellen Sexualpartner begegnest. Das führt dazu, dass Menschen kurz nach dem Sport Bilder von Menschen sexualisierter und emotionaler betrachten als wenn sie keinen Sport machen. Das Hirn reagiert auf Körpersignale und deutet sie in Bezug auf die soziale Situation. "Oh, du siehst auf das Bild und gleichzeitig schwitzt du etwas und dein Herz schlägt schneller? Wir finden ihn attraktiv!!"
Ähnlich geht es mit Männerbeinen in der Modeindustrie. Wenn du Männern ein Bein eines Mannes zeigst, der für Damenstrümpfe wirbt (gibts wirklich), dann sind Männer von diesem Bein im Strumpf leicht erregbar. Zeigst du den ganzen Mann mit Strumpf und dann das Bein, rührt sich nichts mehr.
Anders gesagt: Begehren ist eine Mischung aus Reizen und sozialer Situation, schon auf einer Ebene, die die meisten Leute noch rein biologisch erklären würden. Warum ist das wichtig?
Weil du die Definition von Erotik und Sexualität oder Liebe überhaupt nicht über die Biologie regeln kannst. Messwerte biologischer Reaktionen sind immer schon kulturell eingefärbt...
Was also gilt es zu tun?
1) Ist eine Handlung nur eine Handlung wenn sie frei ist, oder reicht es dir über "Taten" zu sprechen?
2) Warum willst du die Handlungen trennen und geht es dir um "Reinheit" oder auch um die Taten in denen sich das ganze mischt?
3) Gilt für die Kategorisierung nur der Standpunkt des Handelnden? Hat er die Macht die Tat zuzuweisen? Was ist wenn die Täterin eine liebevolle Handlung begeht, die das Gegenüber als erotische Offerte betrachtet?
4) Ist "Erregung" als biologischer Terminus hilfreich? Was ist mit sexuellen Handlungen, die der Täter aus Gründen der Macht ausführt (oft bei Vergewaltigung und Missbrauch). Dort wird nicht selten von kaum vorhandener sexueller Erregung gesprochen, während der Akt definitiv als sexuell erlebt wird vom Opfer.
5) Willst du mit der Theorie etwas verstehen, erklären oder analysieren? Deine Intention beeinflusst das Forschungsfeld nämlich erheblich, da die Methode unterschiedlich sein wird.
Danach kann man weiter gehen.
gruß
Brynjar