Champions League
Ich nehme einen Inhalt von Paul Watzlawick auf; es geht um den Nullsummenspieler, der überzeugt ist, daß der Gewinn des Einen und der Verlust des Anderen immer einhergingen. Wenn Sie eine Geldbörse mit viel Geld finden und einem Dokument, das Ihnen den Besitzer ausweist, und Sie fahren dorthin, um das Portemonnaie zurückzugeben, dann kann es Ihnen passieren – Sie werden es vielleicht nicht bemerken – daß der Besitzer sich bedankt, dabei aber denkt: „Das ist ja sehr nett, daß ich mein Geld wiederbekomme, aber so blöd müsste
ich mal sein, daß ich das Geld finde und wieder abgebe.“
Es geht ihm, Watzlawick, um die >Kettenreaktion der Gütigkeit<. So oder ähnlich nennt er es, und weist darauf hin, daß der ehrliche Finder den Nullsummenspieler gewissermaßen verpflichtet, zukünftig in ähnlicher Weise zu handeln. Das passiere zwar nicht automatisch und mit sofortiger Wirkung, aber je öfter ein Nullsummenspieler mit seiner Überzeugung quasi ins Leere läuft, desto sicherer wird er sich verpflichtet fühlen.
Sollte er also an einem der folgenden Tage – sagen wir morgens nach der Fahrt zur Arbeit – sein Auto mit angeschalteten Scheinwerfern auf dem Parkplatz zurücklassen (zugegeben, ein historisches Bild), und jemand läuft ihm hinterher, um ihm zu sagen: “Sie haben die Lichter an Ihrem Auto brennen lassen.“, dann wird er sich vielleicht denken: „Wie will der mich jetzt reinlegen? Der läuft mir im Regen hundert Meter nach, nur um mir das zu sagen?“ Er selbst hätte schadenfreudig gegrinst, wenn er beobachtet hätte, daß jemand seine Lichter anlässt, und er hätte sich diebisch gefreut über die Vorstellung, daß dieser Trottel nach Feierabend mit seinem Auto nicht nach Hause fahren kann.
Mit diesen aus dem Gedächtnis wiedergegebenen Dingen will ich einigermaßen akzeptabel machen, daß es Menschen gibt, die unentwegt unglücklich sind, beispielsweise weil ihr Glück vom Unglück anderer abhängt. Ich möchte hier nicht über Extreme sprechen, obwohl diese mit meiner Theorie der Möglichkeit, unentwegt unglücklich und der Unmöglichkeit, unentwegt glücklich sein zu können, zu tun hätten: So denke ich, daß man ein Leben in Depression und ohne Glück verbringen, aber keines in Glück und ohne Depression leben kann. Bei dieser für sich genommen absoluten Idee kommen wir unweigerlich zu der Notwendigkeit, Glück und Unglück genau zu definieren, aber wir sollten dieser Versuchung nicht erliegen. Meiner Überzeugung nach führte dieser Versuch vom Eigentlichen weg, und das ist die freie Auseinandersetzung mit Ideen, wie ich sie hier formuliere. Definitionen sind im akademischen Betrieb unerlässlich, hier aber bedeuten sie das Ende der inhaltlichen und argumentbezogenen Debatte.
Wir sollten vielleicht die Grundidee dieses Themas insofern variieren, als wir uns Gedanken machten über die eigentlich zugrundeliegende Idee: Was würde uns glücklich stimmen? Im Anschluss könnten wir bedenken, warum uns das Jeweilige glücklich stimmen würde. Wir müssen nicht definieren, was Glück ist, wir bräuchten nur zu fragen, was für uns Glück sei und warum das so ist.
Ich habe meinen Wanderurlaub mit meinem Hund beschrieben, und das ist eine von vielen Möglichkeiten, die mir offenstehen. Ich wäre nicht amused, Geld für einen Flug in ein Land auszugeben, dessen Sprache ich nicht verstehe. Shanghai zum Beispiel ist ein rasend interessanter Ort, ohne Zweifel. Aber ich würde doch nicht dorthin fliegen, um mich als zwar atemlos Staunender, am Ende aber – in den eigenen vier Wänden – doch verlorener und umhergeirrter Westler zu fühlen; abgesehen von der größten Umweltsauerei, die man als Verbraucher auf der Erde verbrechen kann, wenn man ein Flugzeug besteigt.
Das ist keine Pose; es geht mir wirklich nicht gut damit. Wenn mich aber mein Sohn anruft und sagt, er brauche die ID-Nummer meines Persos, weil er gerade für sich und mich das Championsleage-Finale in Milano buchen will, ist das etwas anderes. Es ist eine Ausnahme, weil hier das Glück darin besteht, daß mein Sohn sowas mit mir machen will. Hier gilt der ansonsten für mich ungültige Hinweis, daß der Flieger ja auch ohne mich flöge. Hier befinden wir uns – meiner Auffassung nach – im Zentrum der zur Debatte stehenden Aspekte persönlicher Bedürfnisse und persönlichen Glücks auf der einen und außerpersönlicher Bedingungen seiner Erfüllungen auf der anderen Seite.
Soweit erstmal …