Die Macht der Liebe
Die Liebe ist ein zärtliches Verlangen,
Daß sich das harte Herz zur Weichheit wendet;
Von ihr hat Seele jedes Sein empfangen,
Da sie dem Leben ew'ge Jugend spendet;
Und Alles ist von Liebe ausgegangen,
Wie Alles in ihr ruht und sich vollendet.
Die Erde hier, die Sphären dort umschlingen
Als Hort des Weltenbaus der Liebe Schwingen.
Wo Liebe fehlt, da muß die Lust versiechen
Und die Erkenntniß ruht in dumpfen Schranken,
Dem bittern Mangel muß der Geist erliegen,
An eigner Armut sterben die Gedanken;
Das Herz erhebt sich nicht an That und Siegen,
Gefühllos wird es in sich selbst erkranken;
Ob noch so schön uns Mut und Schönheit scheine,
Wo Liebe fehlt, beherrscht sie das Gemeine.
Nur Liebe wird uns nah dem Höchsten bringen,
Wo sie uns auf erhabner Warte haltet;
Die kann mit Süßigkeit das Herz durchdringen,
Wo fort und fort sie dann zum Glücke schaltet;
Ihr Wunderlied kann das Gemüt bezwingen,
Daß ganz ihr Wesen in dem unsern waltet;
Die Liebe herrschet über jedes Leben
Nach dem Gesetz, das selber sie gegeben.
Wasser und Erde, Luft und Feuersgluten,
Was sichtbar ist und was dem Blick entschwindet,
Der ewigen Ruhe Meer, des Wechsels Fluten,
Was kein Gefühl bewegt und was empfindet,
Sie folgen, Liebe, deinem Wink zum Guten,
Da wie Gewalt geheimnißvoll er bindet;
Dich schmückt der unbesiegten Herrschaft Krone
Auf dem erhabensten, dem ew'gen Throne.
Du waltest in der Sternen goldnem Kranze
Der Himmel folgt dir ohne Widerstreben,
Selbst jene Welten, die mit höherm Glanze
Sich über dieses Himmelszelt erheben,
Bewegst du sanft in lichtem Sphärentanze,
Wo sie in deinen Harmonieen weben;
Hernieder dringet deines Friedens Segen
Und weiß allmählich Alles zu bewegen.
Daß nicht des Körpers Wucht uns niederdrücke
Und nicht dem Staub der Erde wir verfallen,
Befreist du uns von einer dumpfen Tücke,
Daß wir empor im lichten Fluge wallen;
Du öffnest hold den Kerker uns zum Glücke,
Es zeigt der Pfad sich zu des Himmels Hallen;
Und ruhen längst wir unter Grabes Schollen,
Wird höhern Ruhm uns doch die Zukunft zollen.
Juan Boscan Almogaver
(1490-1542)
(Übersetzt von Edmund Dorer)