Cogito, ergo sum
Es ist dieses Wort - "Cogito, ergo sum" -, das dazu geführt hat, daß wir Existenz immer mehr auf den Kopf reduzierten und unsere leib-seelische Einheit - die Erfahrung des ganzen Menschen und des wahren Seins in seinem Reichtum und seiner Fülle - verloren haben. Wir leben kaum noch. Ich weiß nicht, von wem ich diesen Satz abschreibe. Er ist so allgegenwärtig, daß man ihn von den Gesichtern der Fahrgäste öffentlicher Verkehrsmittel ablesen kann. Wir leben kaum noch, weil wir drei Jahrhunderte lang geglaubt haben - und es war wirklich ein Glaubenssatz : Ich denke, also bin ich.
Wie ist es möglich, daß uns die Absurdität dieses Satzes während rund zehn Generationen menschlichen Denkens, Forschens, Lebens nicht aufgefallen ist ? Am intensivsten bin und lebe ich doch gerade dann, wenn ich nicht denke. Im Erlebnis einer Landschaft. Auf dem Gipfel eines Berges. Vor - oder gar - in den Wellen des Meeres. Eingetaucht in den Klangwellen einer Musik.
Am allerstärksten und allerintensivsten BIN ich in der Liebe - in ihrer Lust und Ekstase. Jede(r) hat das schon bemerkt: Wenn ich da zu denken anfange, mache ich die ganze Erfahrung kaputt - die intensivste Seins-Erfahrung, die wir machen können.
Haben abendländische Philosophen eine solche Erfahrung nicht gemacht ? Natürlich haben sie. Aber sie haben ihr Leben und Lieben so sehr von ihrem Denken abgekoppelt, wie es der Satz "Ich denke, also bin ich" postuliert.
Schon ein Zeitgenosse von Descartes spottete: "Wenn Cartesius (so wurde er damals genannt) meint: "Ich denke, also bin ich", dann könnte er ebensogut gesagt haben: "ich furze, also bin ich"
Und Paul Valery - einer der großen Rationalisten unseres Jahrhunderts, keines esoterischen Denkens auch nur im geringsten verdächtig - umkreiste Descartes Satz sein Leben lang und kam zu dem Ergebnis: "Manchmal denke ich, und manchmal bin ich"