Wie soll man diskutieren?
Wie soll man ein Thema diskutieren, dass keine Thesen hat, sondern nur nicht falsifizierbare Hypothesen?
Das ist weniger Philosophie als eine Mischung aus religiösem Offenbarungseid und Kaffeeklatsch. Ich versuchs mal mit Ideengeschichte und Soziologie.
1. Der Geist ist ewig und individuell.
(Streng genommen sind das 2 Thesen)
Es gibt keinen Beleg für einen ewigen Geist, allerdings viele Indizien, dass er nicht ewig ist. So gibt es Körper in denen der Geist erloschen ist. Dann zu sagen "Er ist irgendwo hingegangen, wo er nicht mit uns kommunizieren kann, aber da ist er ganz sicher" ist, was es ist: Glauben. Es ist genauso plausibel zu sagen, dass der Geist in eine Fliege wandert oder sich als Loch im Käse manifestiert oder einfach weg ist. Es mag uns weniger gefallen, weil es an unseren Narzissmus kratzt und unsere Todesangst anspricht, doch es ist genauso plausibel.
Die alten Griechen hatten übrigens eine andere Vorstellung vom Tod hatten, nämlich eine zweigeteilte: Der Tod des Körpers und der Tod des Wissens um deine Taten. Das findet sich auch in der Bibel, weswegen das Auslöschen der Erinnerung an jemanden als die größte Strafe galt, weil sie das langlebigere Sein vernichtete.
Die Trennung von Geist und Körper in der westlichen Philosophie geht auf Platon zurück und ist eine der wirkmächtigsten Ideen der Philosophie. Auch wenn es immer wieder Versuche gab dies zu überwinden, hat es sich sehr fruchtbar mit dem transzendentalten Göttern des Juden- und Christentums und des Islam verbunden. Dort wo Gott Geist ist, ist es naheliegend den Geist vom Körper zu trennen (und nebenbei den Körper abzuwerten, die Frau eher dem Körper zuzuordnen, Askese und Keuschheit zu predigen etc.)
Daran sieht man auch wie brüchig die These eines individuellen Geistes ist. Wir alle hier übernehmen Paradigmen aus 2500 Jahren Ideengeschichte und ich unterstelle mal, dass wir viel davon nicht mal als Perspektive wahrnehmen, sondern eher als Wahrheit. Um einen individuellen Geist einfach so zu propagieren muss man rund 60 Jahre Philosophiegeschichte ignorieren, sowie viele andere modernen Forschungen wie etwa sozio-psychologische Ansätze oder die Neurologie.
Es würde aber schon reichen soziologische Schriften zu lesen, dann merkt man schnell, dass der Geist eines Menschen in vielen Bereichen überhaupt nicht individuell ist.
Wir kommunizieren nicht mit individuellen Sprachen, wir denken nicht in individuellen Begriffen, wir vertreten meistens keine indviduellen politischen, ethischen Positionen. Unsere Lebensziele, Intimitätserwartungen, unsere Vorstellung was attraktiv ist, sind kulturell überformt und mehr von Gruppenzugehörigkeiten bestimmt als von dem was "Individuell" genannt wird. Trotzdem empfinden viele Leute diese Dinge als aus sich heraus kommend und ewig, selbst wenn die Ideen erst 50 oder 100 Jahre alt sind. (Stichwort: Internalisierung)
Natürlich gibt es eine individuelle sozio-kulturelle und historische Situation, die dazu führt, dass ich diesen Beitrag schreibe und nicht ihr. Doch was ich schreibe, warum ich es schreibe und wie ich es schreibe hat zu großen Teilen mit den Diskursen zu tun in denen ich mich bewege. Individualität so zu denken, wie es in den letzten 200 Jahren wurde (s.h. Liberalismus), ist vom Stand der Wissenschaft nicht haltbar, spukt aber noch als Leitidee in unserem Kopf herum.
Plausibler ist die These, dass wir in den meisten Momenten, in denen wir nämlich nicht kritisch uns hinterfragen, sondern unser Leben leben, nicht individuell sondern gruppenbezogen handeln. Es gibt sogar Leute, die in vielen Punkten gar keine eigene Meinung entwickeln, aber glauben eine zu haben. Zum Beispiel leben die Leute ihre Suche nach einem romantischen Lebenspartner als wäre das schon immer DAS Modell menschlichen Zusammenlebens gewesen. Dank mancher "historischer" Filme können sich die Leute gar nicht vorstellen, dass Menschen zu anderen Zeiten anders empfunden haben.
Kurz gesagt:
Der ewige Geist ist eine reine Hypothese ohne Stütze.
Der individuelle Geist ist eine theoretische Idee mit großer Strahlkraft, die jedoch in den letzten 60 Jahren so unter Beschuss geraten ist, dass man sie nicht an den Anfang eines Weltbildes setzen sollte. Da gibt es bessere Theorien mittlerweile. (Foucault, Butler, Derrida etc.)
2. Der Geist beherrscht den Körper (Grundsätzlich).
Dazu gibt es im Joy-Kontext die schöne Frage: "und wann hast du dich entschlossen heterosexuell zu werden?"
"Der Geist beherrscht den Körper (Grundsätzlich)" halte ich auch für falsch in seiner Absolutheit. Ich würde sagen, dass es uns möglich ist in manchen Situationen eine Distanz zwischen körperlichen Bedürfnissen und deren Erfüllung zu finden.
Ich wage mich auf die gefährliche Tour einer Analogie:
Wenn deine Mutter früher zu dir gesagt hat: "In den nächsten drei Tagen räumst du dein Zimmer auf." ...Du dann den Zeitpunkt selbst bestimmst, beherrschst Du dadurch deine Mutter?
Wenn dein Körper zu dir "sagt": "In den nächsten drei Tagen musst du etwas trinken" und du machst das später als jetzt, weil du einen Joyclub-Beitrag schreiben willst, beherrschst du dann deinen Körper?
Der Körper setzt dem Geist Grenzen durch seine Materialität und durch die Existenz des Menschen als Mangelwesen. Ohne diesen Fakt hätten die Menschen wahrscheinlich niemals Maschinen entwickelt, oder Utopien und Romane... oder die Idee eines ewigen Geistes und eines transzendentalen Gottes.
Ich würde die Gegenthese aufstellen:
Gerade weil der Geist NICHT den Körper beherrscht, sondern durch die Rahmung des Geistes durch den Körper, sind wir Menschen was wir sind. Weil die ungemeine Bedrohung existiert, dass dieser labile und immobile Körper meinen so fluiden und regen Geist mit ins ewige Nichts reißen kann, phanatisiere ich darüber wie ich den Körper beherrsche und sich mein Geist nach dem Tod von diesem unzuverlässigen Körper loslöst.
Der letzte Triumph eines in seiner Größe beleidigten Geistes über seinen Gefährten... begleitet von dem nagenden Zweifel, weil keiner der anderen ewigen Geister ihn jemals ohne Körper kontaktiert hat... außer er würde zum griechischen Ideal zurückkehren und in einem Buch den Geist vergangener Größen sehen und sich denken:
Achilles, Homer, Platon, ihr habts geschafft!
Gruß
Brynjar