wir fühlen uns freier als je zuvor.
vielleicht, schmunzel-pue, aber ich glaube das nicht. BICINUM schreibt es ja, was wir alle wissen, dass unsere verkettungen dieselben sein können, wie vor einem jahrhundert, nur nennen wir sie anders.
der mental-emotionale zustand der melancholie dürfte den selben charakter haben, wie früher.
ich hatte geschrieben "wir sind" und korrigiere zu "wir könnten freier sein".
wir haben mehr zeit, mehr wissen, mehr raum, mehr luft, mehr licht, mehr lebensqualität etc.
die landläufigen autoritäten haben an gewicht verloren. im vergleich zu mir, war meine großmutter eine gottesfürchtige frau. sie hatte einen koffer voller aberglaubensinhalten, traumdeutungen und ahnungen, die auf mich abfärbten und die ich mir heute noch mühsam vom ärmel wischen muss, wenn sie mich bekrabbeln - aber ich kann sie abschütteln.
die idee der schuld, in der akzeption der älteren, war eine andere. die idee des fluchs hatte geltung, weit mehr als heute, obwohl sie natürlich immer noch wirkt.
ich denke nicht, dass ich da noch viel mehr aufzählen muss, was in den bereich des psychosozialen fällt.
Prägephase in Stein gemeißelt,
die idee der prägephase beäuge ich vorsichtig; ich selbst habe auch später im leben kerben und schmisse erhalten, die genauso gewichtig waren und schwer ausheilten, wie die meiner kindheit. in den lebensphasen, in denen mein ich angeknabbert und das selbst erschöpft waren und ich keinen schutz aufbringen konnte.
die mechanismen der heilung sind so komplex, wie die der verstrickung, und der therapeut ist seit alters her jener, der einen, als fährmann, über den dunklen fluss trägt.
mag jener depression oder trauer heißen, er befindet sich an einem schwer erreichbaren ort, der meinetwegen un(ter)bewusstsein heißen soll, weil man sich darauf geeinigt hat.
krisen und hemmnisse gehören zu unserem leben dazu, wie alles in der natur, sind wir einem spiraligen gang durch unsere werdung unterworfen, sollen wir uns entfalten.
nach meiner, so umsichtig wie möglich ausgedrückten auffassung, fehlt uns die akzeptanz für die dunkelheit, haben wir unsere kurventäler weder sehen, noch annehmen gelernt, und noch dazu die alten rituale abgeworfen, die den phasenübergängen dienten.
wir werfen uns ins leben und wollen fortan heiter sein, fun haben und erfolg, glücksgriffe tun, durchhalten, nie einsinken, nonstop - obwohl das nirgends anzutreffen ist, wo etwas lebt.
der fährmann muss uns dann an den ort bringen, an dem diese irrungen ein ende haben, in den mythologien ist es das reich der unterwelt. überhäufig steigt der mythenheld in eine höhle hinab, um an den urgrund seiner historie zu gelangen, in einem akt der überwindung, der meist von einem ratgeber, einem orakel, einem traum zugewiesen wird - dem therapeuten.
je weniger wir zugang zu unseren nächten haben, desto mehr wird der tagesdruck anwachsen, desto fehlerfreier wollen wir funktionieren, desto mehr pflichten auf uns laden. platz für die nächtlichen aufräumarbeiten, die in den trauerphasen, in den zerwürfnissen stattfinden, haben wir nicht mehr - sie wandern also nach außen, werden outgesourced und der institution übertragen, dann baggern andere in unseren höhlen herum.
ein stück freiheit steckt darin, die unfreiheiten zu sehen und (sich ihrer) anzunehmen.
nach dem abspeichern noch ein danke an cioccolata:
wenn mensch seine sicht auf krankheit ändert, dann verändert sich vieles